Kommentar

Ein Jahr Selbstbestimmungsgesetz: Kein Aufatmen

31. Okt. 2025 Julia Monro
Bild: Sally B.

Am 1. November 2024 trat das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft – ein Meilenstein für die TIN*-Community. Ein Jahr später ist eine Meldedatenverordnung geplant, die sensible Daten offenlegen würde. Der erhoffte trans-politische Kurswechsel bleibt aus. Julia Monro kommentiert.

22.645 Änderungen des Geschlechtseintrags. Das statistische Bundesamt hat anlässlich des Jubiläums die vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht. Seit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) ist von November 2024 bis Juli 2025 diese stolze Zahl zusammengekommen. Im Gesetzestext hatte man mit etwa 4000 gerechnet. Doch diese statistische Überraschung ist leicht zu erklären. Sie zeigt wie sehnsüchtig viele Menschen auf diese vereinfachte Möglichkeit gewartet hatten. Beim TSG waren die Zahlen zuletzt rückläufig gewesen. Von Januar bis Oktober 2024 haben nur 596 Menschen ihren Geschlechtseintrag über das veraltete Gesetz geändert.

Rückblick: Am 12.04.2024 stimmte der Bundestag über das Selbstbestimmungsgesetz ab. 372 Ja-Stimmen. Gesetzesentwurf angenommen. Ein Meileinstein. Das Selbstbestimmungsgesetz gehört zu den größten querpolitischen Errungenschaften und markiert einen Paradigmenwechsel: Weg von einer diskriminierenden Begutachtungspraxis, hin zu Selbstbestimmung. Keine Fremdbestimmung mehr, die Menschen lediglich kategorisiert, ihnen Labels überstülpt und stigmatisiert.

Ich weiß noch wie viele aus meinem Freundeskreis diesen Tag zelebrierten. Teilweise feierten die Standesämter mit und überreichten Blumen. Es war nicht nur ein Tag der Freude – es war auch ein Siegeszug gegenüber jahrzehntelanger konservativer Politik, die an traditionellen Menschenbildern festhielt. Nur durch das Bundesverfassungsgericht wurde mehrfach deutlich gemacht, dass deren Vorstellung von Geschlecht überholt ist. Mit der Ampelregierung keimte erstmals Hoffnung auf. Es ergab sich die Chance diese Praxis menschenfreundlicher zu gestalten und so dem Vorbild anderer Staaten zu folgen. Das Transsexuellengesetz war schließlich endgültig Geschichte. Keine Zwangsscheidungen mehr, keine erzwungene Fortfplanzungsunfähigkeit mehr, und nun auch keine psychologische Begutachtung mehr. Nun werden zum Jubiläum die neuen Zahlen bekannt gegeben. Viele feiern wieder, doch nicht allen ist danach zumute.

Selbstbestimmung ist der Union ein Dorn im Auge

Denn es war zu erwarten, dass konservative Kräfte diesen Sieg wieder anfechten würden. Dass die Union trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären (tin*) Personen keine Selbstbestimmung zugestehen möchte, war nie ein Geheimnis. Schon in der Vergangenheit tat sie alles, um Menschen über angeblich objektive Merkmale zu kontrollieren. Und schon im Wahlkampf sagte Friedrich Merz, er könne Trumps Entscheidung „nachvollziehen“, dass es nur zwei Geschlechter gebe. Eine Kampfansage. So erhielt auch – trotz großer Versprechen der SPD, an diesem Gesetz festhalten zu wollen – schnell ein Abschnitt im Koalitionsvertrag Einzug, der die Marschrichtung vorgab. Das Gesetz sollte nun früher als geplant evaluiert werden. Und das altbekannte populistische Argument, vermeintlich Frauen und Kinder schützen zu wollen, durfte natürlich auch nicht fehlen.

Als schließlich die Pläne des Bundesinnenministeriums zur Meldedatenverordnung bekannt wurden, machte sich Panik breit. Dobrindt soll gerade mal zwei Tage im Amt gewesen sein, als er veranlasste die Verordnung auf den Weg zu bringen. Von „Sonderregister“ und „Rosa Listen“ wurde gesprochen und an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte erinnert.

Statt Menschenwürde und Gleichstellung setzt die neue Bundesregierung auf Zwangsoutings und Kontrolle.

Statt Menschenwürde und Gleichstellung setzt die neue Bundesregierung auf Zwangsoutings und Kontrolle. Der frühere Geschlechtseintrag, der vorherige Vorname sowie das Änderungsdatum sollen erfasst und uneingeschränkt für Behörden einsehbar sein. Eine Widerspruchsmöglichkeit wird Betroffenen nicht eingeräumt und der dringend notwendige Schutz einer äußerst vulnerablen Minderheit wird verweigert. Wie das mit dem Offenbarungsverbot in Einklang zu bringen sein soll, erscheint deshalb ziemlich paradox. Der erste große Versuch das Gesetz auszuhöhlen. Vorbei am Parlament, ohne Abstimmung. Einfach per Verordnung, quasi wie ein Trump-Dekret. Es war klar, dass sich in der Community Widerstand formieren würde. Eine Petition sammelte 260.000 Unterschriften.

Im Bundesrat vorerst gestoppt

Von dieser Verordnung sind aber auch die Bundesländer betroffen und der Bundesrat muss darüber abstimmen. Am 17. Oktober war es schließlich so weit und zur Überraschung vieler Menschen wurde der Punkt plötzlich von der Tagesordnung genommen. Im Hintergrund fanden zahlreiche Gespräche statt. Wo Grüne und Linke im Bundestag der Opposition angehören, haben sie bei einer Mehrheit der Bundesländer eine Regierungsbeteiligung. Der Widerstand war nicht mehr nur in der Community zu spüren. Etwa eine Woche vorher gaben die meisten Länder ihre Entscheidung durch, wie sie denn abstimmen würden.

Für eine Mehrheit waren mindestens 35 von 69 Stimmen erforderlich. Berechnungen zufolge wären mehr als 40 Stimmen dagegen gewesen oder hätten sich enthalten. Das Bundesinnenministerium geriet offensichtlich in Panik und setzte noch hektisch ein Schreiben auf, um die Länder vor den „Folgen einer Ablehnung“ zu warnen. Das Schreiben des BMI dürfte bei vielen Bundesländern für Irritation gesorgt haben. Am Vorabend gab es bereits einen Stimmungstest beim sogenannten „Kamin-Gespräch“ und es wurde deutlich, dass man die Abstimmung am nächsten Morgen wohl verlieren würde. Der Punkt wurde kurzerhand von der Tagesordnung genommen.

Merkwürdig erscheint aber auch die Argumentation in dem Last-Minute-Brief des BMI. Es komme angeblich mehr Arbeit auf die Länder zu, weil die Standesämter die Daten von Hand erfassen und dann per Post versenden müssten. Das sei ein zusätzliches Diskriminierungsrisiko für die Betroffenen. Ein Sinneswandel im BMI? Sorgt man sich plötzlich um die Bedürfnisse von tin* Personen, obwohl bis heute trotz massiver Kritik kein Gespräch gesucht wurde? Wäre diese Sorge echt, dann hätte das BMI die Kritik der Verbände und die Petition mit 260.000 Unterschriften ernstgenommen. Stattdessen wurde sie ignoriert. Jetzt werden unsere Ängste auch noch instrumentalisiert. Viele in der Community sind entsprechend sauer.

Unsichere Zukunft

Die Vertagung ist vielleicht erstmal ein Erfolg des Widerstands. Allerdings ist aufgeschoben noch lange nicht aufgehoben: Das BMI und insbesondere die Union wird für ihr Anliegen weiter lobbyieren. Oder sie warten die kommenden Landtagswahlen ab und bringen die Verordnung dann mit neuen Mehrheiten in den Bundesrat ein. Derzeit sind mehrere Konstellationen denkbar. Man munkelt auch, dass nun SPD-Politiker*innen auf die Grünen zugehen würden, um für die Verordnung zu werben. Ausgerechnet die SPD, die nun erneut als verlängerter Arm der Union die schwierigen Themen abräumen soll. Ausgerechnet die SPD, die schon bei den Koalitionsverhandlungen ihr Versprechen gebrochen hat.

Solange frühere Daten vor einer Transition gegen unseren selbstbestimmten Willen offengelegt werden sollen, kann es keine Kompromisse geben.

Für die Trans*-Community ist eines klar: Solange frühere Daten vor einer Transition gegen unseren selbstbestimmten Willen offengelegt werden sollen, kann es keine Kompromisse geben. Wir erwarten einen Regierungsstil mit Respekt und Verantwortung statt Autorität und Einschüchterung. Wir wollen nicht mehr zittern. Wir wollen uns nicht ständig verteidigen und bei jeder Gelegenheit rechtfertigen müssen. Wir wollen als Menschen behandelt werden.

Bild: Julia Monro / julia-monro.de
Julia Monro ist Aktivistin, Journalistin, Autorin und setzt sich für die Rechte von TIN*-Personen ein

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