Christiane Rösingers neues Musical

Feministische Utopie: „Planet Egalia“ am HAU

19. Nov. 2021 Muri Darida
Bild: Dorothea Tuch
Christiane Rösinger (Mitte) lädt zu einer queer-feministischen intergalaktischen Reise. Mit dabei: SIEGESSÄULE- Redakteurin Kaey (re.)

Christiane Rösingers Singspiel „Planet Egalia“ kritisiert heteronormative Konzepte und Unterdrückung. Dabei ist das Stück beinflusst von feministischer Science-Fiction aus den 70er-Jahren und queerfeministischen Forderungen von heute. Vom 22. bis zum 25. November ist es im HAU zu sehen

Feministische Science-Fiction, Utopien und Parodien auf das Patriarchat haben Tradition. In die reiht sich Christiane Rösinger mit ihrem neuen Stück „Planet Egalia“ im Hebbel am Ufer (HAU) ein. „Planet Egalia“ ist ein Singspiel – das heißt, es wird viel gesungen, aber, anders als etwa in der Oper, auch viel gesprochen.

Rösinger hat nicht nur die Produktion des Stücks übernommen, sondern singt und spielt selbst mit. In erster Linie ist Rösinger für ihre Musik bekannt. Außerdem hat sie Bücher geschrieben, die romantische Zweierbeziehung und die bürgerliche Mittelschicht kritisiert und arbeitet seit einigen Jahren am Theater. Nach „Stadt unter Einfluss – das Musical“ im HAU und Rösingers Mitwirken bei „Feminista, Baby!” im Deutschen Theater folgt nun das Singspiel „Planet Egalia“, das auf dem Klassiker „Die Töchter Egalias“ basiert, eine feministische Parodie der norwegischen Autorin Gerd Brantenberg.

„Da werden Männer zum Beispiel zu Hause unterdrückt oder müssen einen PH tragen – also ihren Penis in eine Röhre stecken”, sagt Rösinger. Das Motiv der Umkehrung taucht immer wieder in feministischen Arbeiten auf. „Häufig höre ich, dass wir heute doch schon weiter seien und über die binäre Idee der zwei Geschlechter hinaus”, sagt Rösinger. „In ,Planet Egalia‘ geht es natürlich nicht nur um Männer und Frauen. Aber ich finde Umkehrung nach wie vor ein gutes Mittel, um Dinge aufzuzeigen.”

Gender-Lehrstück

Für das Singspiel hat sie mit ihrem Team aus Personen verschiedener Hintergründe noch weitere Einflüsse eingebracht. So zum Beispiel Texte von Autorinnen wie Marge Piercy, Joanna Russ und Ursula K. Le Guin – den „Grandes Dames der feministischen Science-Fiction”, wie Rösinger sagt. „Das Tolle finde ich, dass die Autorinnen in den 70ern Ideen und Forderungen hatten, die uns heute weit voraus sind.” In deren Werken ginge es nicht nur um klassische feministische Themen wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit, sondern außerdem darum, Lohnarbeit, Klassen- und Geschlechterverhältnisse gleich ganz abzuschaffen.

Die gedanklichen Vorlagen für „Planet Egalia” seien also auch sozialistische und ökologische Utopien. Und das Ergebnis ist queer. Denn während Rösinger die erste Hälfte des Singspiels als einen „feministischen Schwank” beschreibt, sei der zweite Teil eher ein Gender-Lehrstück. Dafür reisen die Figuren mit dem Publikum auf andere Planeten und besuchen Universen, in denen Geschlecht komplett anders gehandhabt wird als auf der Erde im Jahr 2021. Das bedeutet, dass auch die Darsteller*innen auf der Bühne unterschiedliche Geschlechter haben. „Planet Egalia” stellt konkrete Forderungen: die Abkehr von der binären Kultur etwa und gleiche Rechte für trans* Personen. „Geschlecht abzuschaffen reicht aber nicht, um den Kapitalismus abzuschaffen”, sagt Rösinger. Queerness bedeute in der Arbeit vor allem Systemkritik. „Wir stellen uns klar gegen den sogenannten First World Feminism.” Gemeint ist ein Feminismus, der Frauen aus der Ober- und Mittelschicht zentriert und sein Ziel erreicht sieht, wenn weiße cis Frauen Kinder haben und arbeiten gehen können, während die prekär bezahlte Haus- und Pflegearbeit etwa auf migrantisierte Frauen verlagert wird.

Kritik an der Zweierbeziehung

Auch queere oder nicht normative Beziehungsformen spielen eine Rolle – ein Lebensthema Rösingers. „Im zweiten Teil kläre ich die Bewohner*innen anderer Universen darüber auf, dass wir auf der Erde noch in monogamen Paarbeziehungen leben”, sagt sie. Ihre Kritik an der romantischen Zweierbeziehung ist eine feministische. Gerade für heterosexuelle Frauen sei dieses Modell ein Hort der Unfreiheit, außerdem sei es überfrachtet und gleiche einer Ersatzreligion. Es werde vehement verteidigt, auch von heterosexuellen Frauen. Rösinger arbeitet etwa mit dem Satz „Die Liebe war für Männer wahnsinnig praktisch in den letzten Jahrhunderten. Da liegt der Gedanke nahe, dass sie sie erfunden haben.” Denn Frauen und andere Geschlechter würden in dem klassischen Liebesmodell nicht mitgedacht.

„Ab einem gewissen Alter wird Frauen dann die Attraktivität abgesprochen.” Fragen wie Ageism, also Diskriminierung aufgrund des Alters, spielen für „Planet Egalia” also auch eine Rolle, weil Unterdrückungsmechanismen zusammenhängen. Beispielsweise sind vor allem Frauen von Altersarmut betroffen. Für das Stück habe sich das gesamte Team regelmäßig getroffen und diskutiert. „Wir haben im Team vorab viel gelesen, Denker*innen wie Bini Adamczak eingeladen“, sagt Rösinger.

Auf der Bühne seien über ein Dutzend Performer*innen anwesend, aber auch Regie, Kostüm und alle weiteren Aufgabenbereiche seien von Menschen besetzt, „die voll im Thema sind.” Das heißt auch, dass die Entstehung von „Planet Egalia” ein ständiger Aushandlungsprozess war. „Wir behandeln sehr empfindliche Themen”, sagt Rösinger. Trotzdem hat sie sich bewusst dazu entschieden, ihre Arbeit „Singspiel” zu nennen. Damit ist auch gemeint, dass der Inhalt heiterer ist. Der Schluss des Stücks findet auf der Erde im Jahr 2021 statt. „Ich komme mit einer Mission zurück auf die Erde”, sagt Rösinger. „Es geht darum, die bestmögliche Zukunft für alle zu erreichen.“ Diese Zukunft soll mit „Planet Egalia“ zumindest für ein paar Abende auf der Bühne des HAU1 schon heute passieren.

Planet Egalia – Ein feministisches Singspiel,
22.–25.11., 19:00, HAU1

hebbel-am-ufer.de

Bild: Dorothea Tuch

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