Neues Festival im HAU

„Fierce Foundations“ bringt die internationale Ballroom-Szene nach Berlin

2. Juli 2025 Interview: Annabelle Georgen
Bild: Carolin Windel
Bei einem Voguing Ball von House of Saint Laurent

Anfang Juli trifft sich die Crème de la Crème der internationalen Ballroom-Szene in Berlin. Beim „Fierce Foundations“-Festival werden Voguing und Ballroom-Kultur vermittelt, diskutiert und zelebriert. SIEGESSÄULE-Redakteurin Annabelle Georgen traf die beiden Leiterinnen des Festivals, Litchi St. Laurent und Legendary Mother Leo St. Laurent aka Georgina, zum Gespräch

Georgina und Litchi, ihr seid zurück im HAU mit dem Fierce Foundations Festival. Was steckt hinter diesem neuen Projekt? Georgina: Unsere erste Intention war die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Initiative House Lives Matter, die die House Lives Matter Conference organisiert, ein internationales Netzwerktreffen für die Ballroom-Community. So schaffen wir einen Space im HAU, wo mehrere Generationen und Realitäten aufeinandertreffen werden.

Litchi: Die Szene in Deutschland ist jetzt auch so groß, dass es der richtige Zeitpunkt für eine Konferenz ist, damit die Community weiter zusammen- und gesund wachsen kann.

Welche Aspekte der Ballroom-Kultur werden beim Festival beleuchtet und wer ist dabei? G.: Beim Community-Workshop-Day werden drei sehr bekannte amerikanische Gäste den Teilnehmer*innen Ausdrucksarten wie Runway, Face und Vogue Fem beibringen. Unsere internationalen Members vom House of St. Laurent werden natürlich auch da sein. Besondere Gäste für mich sind Tabytha Margiela, Mother Asia Allure und Icon Tempress. Sie haben einen sehr bekannten Podcast auf YouTube, der heißt „FQ Crazy Sexy Cool“. In der Community haben diese drei Schwarzen trans Frauen einen Status als Legendary oder Icon, so wie auch der Rest der Gäste des Festivals.

Es wird auch Panels zum Thema Ballroom-Kultur geben ... L.: Der erste Talk am Freitag dreht sich um die Initiative House Lives Matter. Beim zweiten Talk am Samstag, der sehr ambitioniert ist, mit sehr vielen Gästinnen, werden wir verschiedene trans Künstlerinnen aus der Ballroom-Szene haben, die aber auch darüber sprechen, was sie außerhalb vom Runway machen. Das geht von Gesang über Tanz bis zu Cybersecurity, Jugendarbeit und anderen Initiativen. Denn es ist uns wichtig zu zeigen, dass die Ballroom-Community viel facettenreicher ist, als man denkt.

„Es ist uns wichtig zu zeigen, dass die Ballroom-Community viel facettenreicher ist, als man denkt.“

Das Festival endet mit einem „Revolution Ball“. Warum habt ihr diesen Namen ausgewählt? G.: Weil zurzeit einfach sehr viel in der Welt passiert, politisch gesehen: Genozide, Polizeigewalt, Abschiebungen, Rechtsruck. Es fühlt sich so an, als ob wir kurz vor einer Revolution stehen. Und das ist auch ein wichtiger Bestandteil von Ballroom – eine revolutionäre Kultur, die in einer marginalisierten Gruppe entstanden ist und sich inzwischen weltweit wiederfindet. Nicht nur als Community, sondern auch in der Mode, in Filmen, auf Red Carpets, in der Alltagssprache. Das wollten wir damit highlighten.

Georgina, du hast mit House of Melody 2012 das erste deutsche Ballroom House gegründet. Wie sah es damals aus, als Voguing in Deutschland noch nicht Mainstream war? G: Es war eine sehr kleine Community, was die Teilnehmer*innen angeht, noch nicht sehr queer, noch nicht sehr BIPoC, noch nicht sehr trans*. Zuschauer*innen dagegen gab es von Anfang an viele.

Was hat sich geändert? L.: In den letzten Jahren sind mehr jüngere trans* und BIPoC-Menschen zur Community gekommen.

Warum hat Wettbewerb einen so zentralen Platz in der Ballroom-Kultur? Warum sind Balls so wichtig für die Szene? G.: Ballroom ist eine Schwarze, trans* und Latinx-Kultur. Die ersten Generationen mussten durch die HIV-Krise hindurch. Sie wurden von der Mainstream-Gesellschaft nicht akzeptiert – und auch nicht von der weißen queeren Community. Daher ist das tägliche Leben schon eine Competition: Man muss sich wappnen, sich selbst tragen, sich sagen: „Ich bin viel wert“, weil die Welt es nicht tut, im Gegenteil. Und das ist, glaube ich, die DNA, die man beim Ballroom nicht vergessen darf. Die Ballroom-Competition ist eine Spiegelung dessen, was draußen passiert, wo Schwarze, BIPoC, queere und trans* Personen alltäglich kämpfen müssen. In diesem sicheren Raum kann man aber Selbstbewusstsein üben, sich austauschen und sich auch messen. Ich sehe die Competition als etwas Positives, weil wir das Beste voneinander fordern, um dann gegeneinander anzutreten – in a fun way, hopefully.

L.: Diese Kultur ist mit den Rassismuserfahrungen verbunden, die wir machen – an der Schnittstelle von Trans*-, Queer- oder Schwulsein. Viele andere Kulturszenen haben nicht diese Verbindung. Und ich glaube, das ist der Grund, weshalb Ballroom so wichtig ist und weshalb so viele Menschen dort Anschluss finden.

G.: Selbst Menschen, die vielleicht nicht queer sind, aber Rassismuserfahrungen gemacht haben.

„Die Ballroom-Competition ist eine Spiegelung dessen, was draußen passiert, wo Schwarze, BIPoC, queere und trans* Personen alltäglich kämpfen müssen. In diesem sicheren Raum kann man aber Selbstbewusstsein üben, sich austauschen und sich auch messen.“

In den letzten Jahren wird das Voguing bei weißen Menschen oft mit kultureller Aneignung in Verbindung gebracht. Wie seht ihr das? Ist jede*r willkommen in der Ballroom-Szene? L.: Ja, jede*r ist willkommen, solange man auch wirklich etwas mit der Community zu tun haben will und als Ally zur Kultur etwas beiträgt. Wenn man aber einfach nur Voguing oder Runway lernen will, von irgendwelchen Tänzer*innen, die nichts mit der Ballroom-Kultur und -Community zu tun haben, aber Choreos posten –, dann ist das kulturelle Aneignung. Außerdem ist es gar nicht so einfach, reinzukommen. Im Gegenteil: Es ist viel Arbeit. (lacht) Und es geht nicht nur darum, etwas zu bekommen. Wichtiger ist: Was willst du der Ballroom-Community geben?

SIEGESSÄULE präsentiert
Fierce Foundations,
03.–06.07., HAU2
The Revolution Ball,
06.07., 16:00, HAU2
hebbel-am-ufer.de

Bild: House Of Saint Laurent
Festivalleiterinnen Litchi und Georgina (v. li. n. re.)

Folge uns auf Instagram

#BIPoC#Ballroom#Festival#HAU#HAU2#Hebbel am Ufer#Latinx#Performance#Tanz#Voguing#international#trans*

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.