Interview

Florentina Holzinger über Body-Optimierung und ihr neues Musical

20. Mai 2025 Annabelle Georgen
Bild: Elsa Okasaki
Florentina Holzinger inszeniert an der Volksbühne „A Year without Summer"

Mit ihren opulenten und herausfordernden Inszenierungen hat die queerfeministische Regisseurin Florentina Holzinger bereits für einige Schlagzeilen gesorgt. Ihr neuer Coup: das Body-Horror-Musical „A Year Without Summer“, das am 21. Mai Premiere feiert. In dem Stück ergründet sie Monstrosität und Körperoptimierung. SIEGESSÄULE-Redakteurin Annabelle Georgen traf sie zum Gespräch

Florentina, über deine neue Produktion ist noch recht wenig bekannt. Was kannst du uns über sie verraten? Wir beschäftigen uns mit den Ängsten des modernen Menschen in Bezug auf Fortschritt, Technik und Wissenschaft. Und mit den Konsequenzen – mit der „Erschaffung des Monsters“. Unser Arbeitstitel „A Year Without Summer“ referenziert das historische Jahr 1816. Wegen eines Vulkanausbruchs in Indonesien, der eine Aschewolke unter anderem über Europa verursachte, wurde das Jahr ungewöhnlich kalt. Während dieser Verdunkelung des Sommers und dieses großen Temperatursturzes wurden besonders viele Gruselgeschichten geschrieben. Mary Shelley hat „Frankenstein“ in diesem Jahr geschrieben. Auch Caspar David Friedrich hat in diesem Jahr sein berühmtes Bild gemalt, weil der Himmel einfach ganz anders aussah. Diese Düsternis des Klimas inspirierte auch Leute, die ersten modernen Vampirerzählungen zu schreiben. Auf der Bühne setzen wir uns mit Monstrosität und der Figur des verrückten Wissenschaftlers auseinander – mit einem feministischen Ansatz. Die Wissenschaft symbolisiert hier das Patriarchale und das Kreatürliche, die unkontrollierbare Natur somit das Weibliche.

„A Year Without Sommer“ wird ein Musical sein. Warum hast du dich für diese besonders (aber nicht immer) kitschige Form entschieden? Weil das noch auf unserer Bucket-Liste stand. Nach unserer Opern-Erfahrung mit „Sancta“ haben wir Blut geleckt im Zusammenhang mit Musik und damit, der Musik eine größere Bedeutung im ganzen Stück zu geben. Das hat sich sehr logisch angefühlt, quasi ein bisschen Broadway aus der Volksbühne zu machen. Das Stück ist aber nur zum Teil ein Musical, es entfernt sich natürlich auch wieder davon. (lacht)

Was sind deine Lieblingsmusicals? In Bezug auf diese neue Show denke ich natürlich an „Rocky Horror Picture Show“. Dann „Jesus Christ Superstar“, „Little Shop of Horrors“, „West Side Story“ sowieso, „Grease“, alles Mögliche, wirklich. Und auch „Book of Mormon“.

„Denn das Altern eines Körpers steht sinnbildlich für vieles von dem, was gesellschaftlich als monströs gilt."

Ein Drittel der Performer*innen auf der Bühne sind ältere Frauen. Wie kamst du zu diesem Cast? Wir untersuchen unterschiedlichste Formen von Monstrosität – und dabei spielt auch das Alter eine Rolle. Denn das Altern eines Körpers steht sinnbildlich für vieles von dem, was gesellschaftlich als monströs gilt. Oder für das, was es vermeintlich zu vermeiden oder wogegen es anzukämpfen gilt. Wir beschäftigen uns außerdem mit dem Mythos des Jungbrunnens und mit der Vorstellung von Unendlichkeit.

Kann man sich schon auf extreme körperliche Performances freuen, wie sie in deinen Inszenierungen üblich sind? Ja, definitiv. Deswegen haben wir uns ja auch für das Frankenstein-Narrativ interessiert. Im Topos des verrückten Wissenschaftlers schwingt die Idee von Menschen mit, die sich über gewisse körperliche und moralische Grenzen hinwegsetzen oder interessiert daran sind, sie zu überschreiten. In Bezug auf das Altern setzen wir uns mit Körperoptimierung und extremeren Schönheitsprozeduren auseinander. Es wird zum Beispiel ein ultimatives Facelifting auf der Bühne geben. (lacht)

Deine Shows sind immer spektakulär. In „Ophelia‘s Got Talent“ bringst du einen Hubschrauber ins Theater, ein Schwimmbad auf die Bühne, in „Sancta“ gibt es Maschinen und eine Kletterwand. Deine Inszenierungen sind larger than life. Warum ist die Übersteigerung von Effekten und Technik für dich wichtig? Mich hat das technische Theater schon immer sehr interessiert. Ich komme ursprünglich vom Tanz, und da ist man es gewohnt, viel am Boden zu arbeiten. Ich habe daher viel in den Zirkus investiert, um vom Boden auch mal wieder wegzukommen. Ich setze mich mit dem fliegenden Körper und mit der Schwerkraft auseinander sowie mit utopischen Ideen in Bezug darauf, was der Körper kann und wozu er fähig ist. Dabei versuche ich den Theaterraum wirklich zu nutzen, um Illusionen zu kreieren, aber auch die Grenzen der Realität zu pushen. Viele Maschinen enden bei uns auf der Bühne, weil wir uns gern mit Statussymbolen und Machosymbolik beschäftigen.

Bild: Elsa Okasaki
Florentina Holzinger ist große Musical-Liebhaberin

Deswegen sind da oft Autos oder Motorräder. Die Mehrdimensionalität vom Bühnenraum hat mich immer interessiert und das Theater im Gegensatz zu einer Galerie oder sogar zu draußen bietet viel Spielraum. Ich finde den Theaterraum so charmant, weil man dort noch sehr analog arbeiten kann. Und natürlich fordern wir auch gern das Theater selbst heraus. Der Albtraum eines jeden Theaters ist das Wasser, weil dort viel Technik herumsteht. Deswegen machen wir besonders gern Dinge, die besonders schwierig für solche Orte sind. Genau deswegen ist die Volksbühne ein guter Spielplatz für uns.

Apropos Volksbühne: Ab 2026, wenn der künftige Intendant Matthias Lilienthal seine Arbeit aufnimmt, wirst du ihm als Mitglied eines künstlerischen Beirats beratend zur Seite stehen. Warum hast du diese Rolle angenommen? Was hast du für die Volksbühne geplant? Ursprünglich habe ich mir viele Sorgen darüber gemacht, wie es mit der Volksbühne in Zukunft weitergeht, und mich sogar selbst um die Intendanz beworben. Doch dann ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, dass ich dafür keine Zeit gehabt hätte und dass ich einfach gern Kunst mache. (lacht) Da mir die Volksbühne sehr am Herzen liegt und weil ich dort schon involviert bin, bin ich jetzt im künstlerischen Beirat aktiv. Was das genau bedeutet, weiß ich selbst noch nicht. Aber es bedeutet, dass „A Year Without Summer“ wahrscheinlich nicht unsere letzte Show an der Volksbühne sein wird, wie wir es lange dachten.

„Ich arbeite gern intuitiv, mit dem Körper, und das Rationale hinkt da oft ein wenig hinterher.“

In deinen Produktionen stehst du immer mit deinem Ensemble auf der Bühne. Ist das ein Statement? Ich war bis jetzt in all meinen Shows. Das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb ich letztlich Shows mache, um selbst ein Teil davon zu sein. Ich habe das Gefühl, das ist auch notwendig in gewisser Weise: Ich arbeite gern intuitiv, mit dem Körper, und das Rationale hinkt da oft ein wenig hinterher. Wenn ich Dinge selbst erlebe, dann fällt es mir leichter, sie zu reflektieren oder Entscheidungen zu treffen, als wenn ich sie nur von außen formal betrachte und bewerte. Und das, was mich interessiert, ist definitiv nicht, ein schönes Paket zusammenzuschnüren, sondern etwas zu erschaffen, das eine bedeutungsvolle Erfahrung von innen heraus ist. That‘s very hippie, but it is like this. (lacht)

SIEGESSÄULE präsentiert „A Year Without Summer“
21.05. (Premiere)
23.05., 19:30, 25.05., 18:00,
Volksbühne

Sancta
08.+09.05., 19:00, 10.05., 15:00
Volksbühne
volksbuehne.berlin

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