Folgen der Haushalskürzungen: Angriff auf die Vielfalt

Nach sechs Monaten Sparkurs zeigt sich: die viel umstrittenen Kürzungen des schwarz-roten Senats bringt viele Kulturstätten und queere Projekte in Not. SIEGESSÄULE-Autor Sascha Suden liefert ein Stimmungsbild
„Liebe Komische Oper, ich wünsche mir mehr kreativen Protest gegen die Einsparungen: Den ersten Akt konsequent im Dunkeln spielen, den zweiten Akt ohne Kostüme, ohne Choreografie und nur mit der Hälfte der Instrumente und Singenden, den dritten Akt ausfallen lassen.“ Das war der humorvolle Vorschlag der Berliner Travestiekünstler*in Margot Schlönzke auf der Facebook-Seite des Opernhauses, als die Komische Oper im Januar 2025 bekannt gab, dass das geplante Stück „Mein Freund Bunbury“ wegen der Sparmaßnahmen des Senats im Juni nicht aufgeführt werden kann. Für Intendant Philip Bröking war es nur die logische Konsequenz: „Weniger Geld, weniger Angebote.“ Und nicht nur das: „Wir sind auch ein Ort des Austauschs. Es bedeutet einen Verlust an gesellschaftlichem Leben“, sagt er gegenüber SIEGESSÄULE. Wegen der Sparmaßnahmen laufen außerdem die Sanierungsarbeiten an dem historischen Standort in der Behrenstraße langsamer als geplant – „mit reduzierter Geschwindigkeit, weshalb das Ringen um jeden Euro und jedes Jahr Bauzeit weitergeht“, heißt es in einer Pressemitteilung der Komischen Oper.
Der Sparhammer des Berliner Senats, allein die Einsparungen in der Kultur von 130 Millionen für dieses Jahr, trifft den Kulturbereich bis ins Mark. 2026 werden weitere Kürzungen folgen, deren Ausmaß noch niemand kennt. „Obwohl der Kulturetat nur 2,1 Prozent des Gesamthaushaltes beträgt, wurde mit 12 Prozent überproportional gekürzt“, sagt Johanna Lühr, Pressesprecherin der Schaubühne. Schuld daran sei der zurückgetretene Kultursenator Joe Chialo, der sich anscheinend nicht genügend gegen die Kürzungen gewehrt habe.
Berlins Kulturlandschaft wird unattraktiv
In der Schaubühne, die Texte von queeren Autor*innen wie Édouard Louis, Didier Éribon oder Virginie Despentes regelmäßig inszeniert, mussten zwei Produktionen der Spielzeit 2025/26 gestrichen werden. Die zweite Bühne Studio wurde vorübergehend geschlossen und damit ist ein Ort für den Nachwuchs verloren.
„Die Kürzungen treffen gerade die Orte, die queeres Leben sichtbar machen und gesellschaftliche Diskurse anstoßen.“
„Die Kürzungen treffen gerade die Orte, die queeres Leben sichtbar machen und gesellschaftliche Diskurse anstoßen“, sagt Johanna Lühr. „Kultur ist der Raum, in dem Vielfalt gelebt wird. Wenn dieser Raum kleiner wird, wird auch das soziale und kulturelle Miteinander kleiner“, ist sie sich sicher.
Andere Theaterhäuser sind dagegen von den Kürzungen verschont geblieben, wie das HAU. Sein Pressesprecher, Micha Tsouloukidse, ärgert sich aber über „die schlechte Kommunikation“ vonseiten des Senats „und die dadurch große Verunsicherung im Team“. So wurden sicherheitshalber Produktionen abgesagt.
Die Kürzungen, die das kulturelle und queere Leben betreffen, haben weitreichende Folgen. Nicht nur innerhalb der Grenzen der Hauptstadt. „Berlins internationale Anerkennung wird gerade zerstört“, sagt Malve Lippmann, Co-Leiter von Sinema Transtopia. „Einige unserer Freund*innen aus dem Ausland wollen nicht mehr nach Deutschland kommen.“ Berlin wird als weniger attraktiv wahrgenommen. Das kleine Weddinger Kino muss dieses Jahr mit einem Drittel weniger Förderung klarkommen. Noch gehe es, aber: „Wir haben Angst vor den nächsten Kürzungen“, sagt Malve Lippmann. Er sieht die Rolle des Sinema Transtopia darin, „einen Raum anzubieten, in dem man miteinander ins Gespräch kommt. Das hat auch etwas mit Demokratie zu tun.“
„Das Schwule Museum muss zwei Mitarbeitenden kündigen, den museumsoffenen Sonntag streichen sowie Einsparungen in der Verwaltung durchführen.“
Im Schwulen Museum blickt man ebenso mit Sorgen in die Zukunft. Das Projekt „Queer Outreach“, ein Bildungsprogramm in Kooperation mit den queeren Jugendzentren der Stadt, wurde abgeschafft. Doch nicht nur das: „Das Schwule Museum muss zwei Mitarbeitenden kündigen, den museumsoffenen Sonntag streichen sowie Einsparungen in der Verwaltung durchführen“, listet Luan Pertl, Co-Geschäftsführer*in des Museums, auf.
So geht es vielen kulturellen und sozialen Projekten in der Stadt, die durch ihr ehrenamtliches Engagement für queere Sichtbarkeit sorgen. Queere (Jugend-)Projekte wurden bisher auch massiv vom Sparkurs des Berliner Senats getroffen. Der queerpolitische Sprecher der Grünen, Sebastian Walter, ist entsetzt: „Die drastischen Einschnitte oder kompletten Streichungen beim Queer History Month, bei den Fachstellen Queerformat, i-Päd, Queerleben, dem LSVD und vielen weiteren intersektionalen Projekten treffen direkt die Aufklärungsarbeit an Schulen sowie Beratungen für queere Jugendliche.“
Wie dramatisch die Situation ist, bestätigt auch Leo Yannick Wild von der Schwulenberatung: „Seit dem 1. April fördert die Senatsverwaltung für Bildung nicht mehr unseren Bereich für TIN*, KiJu.“ Die Folge: „Unsere zwei Berater in diesem Fachgebiet arbeiten in geringerem Umfang.“ Die Beratung von trans*, inter* und nicht binären Kindern sei aber sichergestellt. Möglich sei dies nur durch das außerordentliche Engagement der Mitarbeiter*innen.
Leere Versprechen der schwarz-roten Koaliton
Dabei hatte die schwarz-rote Koalition Berlin im Koalitionsvertrag 2023 bis 2026 als die Regenbogenhauptstadt schlechthin gefeiert. So heißt es dort: „Angebote für queere Jugendliche wird die Koalition weiter ausbauen.“ Das Gegenteil ist der Fall. Es heißt auch: „Die Koalition wird Schutzangebote – wie Schutzwohnungen und betreute Wohnformen – ausbauen, insbesondere für trans* Personen.“ Dieses Versprechen wurde auch nicht eingehalten: „Durch den Wegfall von Beratungsstellen für Geflüchtete, vor allem in der Wohnungslosenhilfe, wird die Situation noch schlechter“, sagt Sozialpädagog*in Kathrin* Schulz von der Wohnraumberatungsstelle Queerhome*.
„Vor allem queeren Geflüchteten geht es teilweise sehr schlecht bis hin zu Suizidgedanken.“
„Vor allem queeren Geflüchteten geht es teilweise sehr schlecht bis hin zu Suizidgedanken.“ Sebastian Walter ist sich allerdings sicher, dass die Kürzungen gerade auch im queeren Bereich politisch motiviert sind. Die Notwendigkeiten von Haushaltskürzungen sieht er nur als Vorwand. „Man muss von einem Kulturkampf sprechen, der sich gegen progressive Gesellschaftspolitik für ein vielfältiges Berlin richtet“, so der grüne Sprecher. Vielleicht sollte man den Regierenden Kai Wegner an den Koalitionsvertrag erinnern, dort heißt es auch: „Wir verbinden die einzigartige Vielfalt der Stadt mit Chancen für alle. Wir schaffen neuen Zusammenhalt und mehr Gemeinsamkeit.“ Gerade ist der Senat jedenfalls dabei, diese Vielfalt auf lange Zeit zu zerstören.
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