Kommentar zum Selbstbestimmungsgesetz

Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung

25. Mai 2023 Lou Kordts
Bild: Change.org/TINklusiveUNI CC BY-NC 2.0 Quelle
Kundgebung vor dem Bundestag zum Trans* Day of Visibility 2021

Der Entwurf zum neuen Selbstbestimmungsgesetz erntete scharfe Kritik aus der Community. Trans-Feministin Lou Kordts sieht im Gesetzesentwurf nicht nur eine verpasste Chance, sondern befürchtet sogar mehr Diskriminierung und eine Verhärtung von Geschlechterrollen als Folge

Das Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes war einfach: Es sollte eine Möglichkeit von Vornamens- und Personenstandsänderungen für trans, inter, agender und nonbinary (TIAN) Personen bieten. Für die unterschiedlichen Communitys würde es dabei verschiedene Ansätze brauchen: Für trans Personen muss das Transsexuellengesetz (TSG) mit Gerichtsprozess und Gutachten wegfallen, für inter Personen die verpflichtenden pathologisierenden Erklärungen von Mediziner*innen, die im Paragraph 45b des Personenstandsgesetzes („Dritte Option“) festgeschrieben sind. Nonbinary und agender Personen brauchen überhaupt erst eine Möglichkeit, ihre Vornamen und den Personenstand zu ändern.

Die Erwartung war, dass das neue Gesetz alles einfacher machen würde. Nun sollen etwa fünf Seiten TSG und zwei Seiten Gesetz zur Änderung des Personenstands durch 68 Seiten Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Neben unnötigen Einschränkungen, wie einer Zwangsfrist von drei Monaten, sind auch zahlreiche Paragraphen und Erklärungen u.a. den Themen Sauna, Toilette, Gefängnis, Wehrdienst, Kriegsfall, Sport und Medizin gewidmet.

Transfeindliche Klausel zum Hausrecht

Insbesondere beim Thema geschlechtergetrennte Sauna wird Angst geschürt. In dem Entwurf werden Allgemeines Gleichstellungsgesetz (AGG) und Hausrecht von Betreiber*innen gegeneinander ausgespielt. TIAN Personen, insbesondere trans Frauen, werden als Gefahr für das „Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit“ dargestellt. Betreiber*innen wird der Ausschluss von Einzelpersonen als Möglichkeit präsentiert, den sie (auch nur bei befürchteter Belästigung) auf trans Personen anwenden könnten.

Die Ernüchterung in der Community wiegt schwer. Statt der erhofften Erleichterung müssen Betroffene nun befürchten, dass das Gesetz Alltagsdiskriminierung verstärkt. Das Selbstbestimmungsgesetz scheint sich – wie auch die mediale Debatte darum, darauf zu konzentrieren, die Rechte von trans Frauen weiter einzuschränken. Dabei trauen sich nur die wenigsten TIAN Personen überhaupt in Saunen, ins Schwimmbad und teils auch auf öffentliche Toiletten, weil das Potenzial diskriminiert zu werden so hoch ist. Versprochen wurde Selbstbestimmung, aber geliefert wurde Fremdbestimmung und Stigma.

„Nur die wenigsten TIAN Personen trauen sich überhaupt in Saunen.“

Queerbeauftragter Sven Lehmann erklärte, dass die Hausrechtsklausel nichts ändere, aber Ängste bei Betroffenen auslöse. Auch Ferda Ataman, die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, stellt klar, dass das AGG Ausschlüsse rein auf Basis der äußeren Erscheinung verbiete. Sollte die Hausrecht-Klausel im fertigen Gesetz enthalten sein, dann müssen Betroffene die Arbeit der Regierung übernehmen und sich in zehrenden Gerichtsprozessen ihre Rechte zurückkämpfen. Das können nur die wenigsten und es wird Jahre dauern, falls der Prozess überhaupt erfolgreich ist. Die Community könnte das Geld, die Zeit und Energie, die ein solcher Prozess bedeutet, anders besser verwenden.

Marco Buschmann zeigt sich überzeugt, dass der Entwurf die Chance zu einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung habe. Aber bei den Rechten von marginalisierten Gruppen sollte nicht gesellschaftliche Zustimmung der Fokus sein, sondern die Auflösung von Diskriminierung und Ungerechtigkeit. Und gerade in Zeiten, in denen rechter Kulturkampf aus der USA nach Deutschland rüberschwappt und queere Menschen zum Feindbild erklärt werden, braucht es keine Vermittlung mit queerfeindlichen Kräften, sondern Solidarität.

Verhärtung von Geschlechternormen

Die Hausrechtsklausel wird nicht nur Betreiber*innen, sondern auch Besucher*innen ermutigen, das Geschlecht anderer Personen zu hinterfragen. Jede*r Besucher*in wird extra beäugt, ob sie*er in die binären Vorstellungen reinpasst. Die Politisierung der Frauenräume wiegt extra schwer, weil aus rechtspopulistischen und konservativen Kreisen, wie auch jetzt durch das Selbstbestimmungsgesetz selbst, TIAN Personen dort zu Täter*innen erklärt werden.

„Die Hausrechtsklausel wird auch Besucher*innen ermutigen, das Geschlecht anderer Personen zu hinterfragen.“

Folglich werden alle Personen, die nicht in eine sehr enge und eurozentrische Vorstellung von Weiblichkeit passen, unter Beobachtung gestellt: Breites Kreuz, kurze Haare, zu viel oder zu wenig Make-up, nicht weiß, zu viel Körperbehaarung, butchy Auftreten, falsche Kleidung – jedes Detail kann die Vermutung erwecken, dass es sich um eine trans Frau handelt.

Der Blick auf die USA zeigt, welche Konsequenzen das Gesetz nach sich ziehen könnte: Letztes Jahr wurde z. B. in Ohio ein trans Mann vom Betreiber eines Campingplatzes dazu aufgefordert, die Damentoilette zu benutzen. Die anderen anwesenden Gäste auf der Toilette hielten ihn für eine trans Frau, woraufhin ihn eine Gruppe von Cis-Männern verprügelte. Cis-Männer sehen sich nun also berufen, die Frauen zu schützen und dringen als Retter selbstgerecht in die Räume ein, die sie geschlechtlich rein halten wollen. Sie belästigen Personen vor/in Toiletten, Umkleiden und Saunen und wollen entscheiden, wer Frau genug ist.

Für TIAN Personen wird jeder binärgeschlechtlich getrennte Ort zur Gefahr, wenn sie als zu unweiblich für die Frauenräume und zu unmännlich für die Männerräume wahrgenommen werden. Die Gefahr von Belästigung, Übergriffen und Gewalt führt dazu, dass sich TIAN Personen aus dem öffentlichen Leben zurückziehen müssen.

„Das Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes wurde komplett verfehlt.“

Klar ist: Das Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes wurde komplett verfehlt. Wer Diskriminierung aussät, wird Unrecht ernten. Nach über 40 Jahren TSG ist das Selbstbestimmungsgesetz nicht nur eine vertane Chance, sondern auch eine Beleidigung für die TIAN Communitys, die statt der versprochenen Selbstbestimmung nun Stigma und eine regidere Festsetzung binärer Geschlechterrollen erwarten müssen. Es ist ein Gesetz, das statt Selbst- eher Fremdbestimmung stärkt und die Gefahr birgt, TIAN Personen zusätzlich aus dem sozialen Leben auszuschließen.

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