Geschichte des trans*Aktivismus: „Genderation“
Mit der Dokumentation „Gendernauts“ hat Monika Treut 1999 der genderqueeren Szene San Franciscos ein filmisches Denkmal gesetzt. Zwei Jahrzehnte später hat die deutsche Regisseur*in für „Genderation“ einige der legendären Protagonist*innen noch einmal besucht, wie etwa die Computer-Nerd Sandy Stone, die Sexaktivistin Annie Sprinkle oder Susan Stryker, die Mitbegründerin der Trans* Studies
Monika, mit „Gendernauts“ hattest du seinerzeit gewissermaßen den Pioniergeist einer neuen, nämlich genderqueeren Bewegung eingefangen. Wie bist du damals zu diesem Thema gekommen? Ich war damals sehr oft in San Francisco, unter anderem, weil ich am dortigen Art Institute unterrichtet habe, und so hat es sich mehr oder weniger organisch ergeben, dass ich in der lesbisch-schwulen und dann genderqueeren Szene heimisch geworden bin. Ich hatte bereits Anfangs der 90er in dem Kurzfilm „Max“ die Transition von Max Wolf Valerio dokumentiert. Meine späteren Protagonist*innen fanden, dass ich mit Max sehr respektvoll umgegangen bin, und vertrauten mir deshalb. Das war nicht so selbstverständlich, weil ich ja eine cis Frau bin. Mittlerweile würde ich mich als nicht binär definieren, aber diesen Begriff gab es damals noch gar nicht.
Was hat San Francisco so besonders gemacht, dass du eine solche Szene nur dort und nicht beispielsweise in Berlin hättest porträtieren können? Die Bevölkerung von San Francisco hatte immer einen hohen Anteil an Außenseiter*innen – ob Künstler*innen, Bohemiens, Hippies – und eben auch sexuell beziehungsweise gendermäßig unangepassten Menschen. Das ist fest in der Geschichte dieser Goldgräberstadt verankert und hat auch die Politik geprägt. Dort gab es beispielsweise weltweit die ersten Polizeischulungen, wie mit Menschen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind, sensibel umgegangen werden soll.
„Das Land, in dem weltweit am offensten mit trans* Menschen umgegangen wird, ist aktuell übrigens Argentinien“
Nicht binäre und trans* Identitäten hatten vor 20 Jahren etwas „Exotisches“, ja fast Utopisches. Heute setzt sich sogar die Dudenredaktion damit auseinander. Hat dich diese gesellschaftliche Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten überrascht? Ich hätte es tatsächlich nicht für möglich gehalten, dass doch so viel passiert und auch so offen darüber diskutiert wird. Damals war das in der Tat noch ein Exotenthema. Das Land, in dem weltweit am offensten und sensibelsten mit trans* Menschen umgegangen wird, ist aktuell übrigens Argentinien. Das hätte ich zum Beispiel nicht erwartet. In den USA ist die Situation von Staat zu Staat sehr unterschiedlich. In Deutschland hängen wir vielen anderen europäischen Staaten, wie etwa den skandinavischen Ländern, hinterher.
Was waren aus deiner Warte die auffälligsten Veränderungen? Die Wahrnehmung in den Medien. Es gibt mittlerweile sehr viele Filme und Serien, in denen trans* Menschen im Mittelpunkt stehen, „Transparent“, „Pose“ oder Lukas Dhonts Spielfilm „Girl“, um nur ein paar zu nennen. Das Thema ist – zumindest in der westlichen Welt bzw. in den Medien – in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
„Es sind allesamt sehr besondere Menschen, deshalb wollte ich sie unbedingt auch noch mal im Alter porträtieren“
Was hat dich bewogen, deine Protagonist*innen von damals nun noch einmal vor die Kamera zu holen? Es sind allesamt sehr besondere Menschen, deshalb wollte ich sie unbedingt auch noch mal im Alter porträtieren. Zum einen weil ich es wichtig finde, dass dieses Erbe erhalten bleibt. Pionier*innen wie Sandy Stone und Susan Stryker – die erste Akademikerin, die offen trans* war und deshalb viele Probleme hatte – sind beides wichtige Theoretiker*innen und prägende Figuren der trans* Bewegung. Mein Film erzählt daher ganz nebenbei auch die Geschichte des trans*Aktivismus. Zum anderen komme ich ihnen auf persönlicher Ebene sehr nahe und kann den Zuschauer*innen das Transsein noch einmal auf andere Weise erfahrbar machen. Mittlerweile gibt es zwar viele Filme über den Transitionsprozess, aber recht wenig über ältere trans* Menschen. Haben sie zu ihrer Identität gefunden? Welche Rolle spielt für sie das Älterwerden? Sandy Stone etwa ist mittlerweile 84, aber auch Stafford muss mit Anfang 50 mit sehr veränderten Lebensbedingungen umgehen. Vor 20 Jahren war San Francisco eine Stadt, in der man als Freelancer und Bohemien preiswert wohnen und leben konnte. Doch wer nicht das Glück hatte, dass sich die Partner*in damals preisgünstig ein Haus kaufen konnte, wurde mittlerweile aus der Stadt vertrieben.
Dennoch wirken eigentlich alle auf ihre Weise glücklich. Sie haben sich nie unterkriegen lassen – trotz aller Brüche und Herausforderungen, wie der Tod des Partners oder die Gentrifizierung. Notfalls haben sie ihr Leben tatkräftig noch einmal neu ausgerichtet. Oder täusche ich mich da? Es gibt natürlich Abgründe, die im Film immer wieder auch durchscheinen. Der Schriftsteller Max Wolf Valerio etwa ist jetzt über 60 und hat mit Hilfe eines Stipendiums ein Studium begonnen. Dazu aber musste er zu seinen Eltern in die Vorstadt von Denver (Colorado) ziehen, weil er sich die Miete in San Francisco nicht mehr leisten konnte. Ein selbstbestimmtes Leben sieht sicher anders aus.
„Wir sollten nicht unsere Energie darauf verschwenden, uns auseinanderzudividieren“
Nicht nur hierzulande erleben wir im Kontext der Genderfragen zum Teil erbitterte Graben- und Kulturkämpfe etwa zwischen Feminist*innen und bestimmten Fraktionen in der Lesbenbewegung mit der trans* Community. Die Protagonist*innen in deinem Film scheinen von solchen Debatten unberührt ... Sie finden, wie ich im Übrigen auch, diese immer ausdifferenzierteren Einteilungen völlig bescheuert. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie sich nicht mehr primär mit ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität auseinandersetzen müssen. Diesen Prozess haben sie schon lange abgeschlossen. Sie schauen vielmehr alle über ihren Tellerrand hinaus und engagieren sich gesellschaftlich in den unterschiedlichsten Bereichen. Susan Stryker sagt das im Film einmal sehr deutlich: Wir haben so viele gemeinsame Feinde und derzeit so viele Probleme, mit denen wir uns herumschlagen – sei es die Gentrifizierung oder der Klimawandel. Da sollten wir nicht unsere Energie darauf verschwenden, uns auseinanderzudividieren. Und trans* Identitäten bieten, wie ich finde, immer auch die Möglichkeit, sich progressiven gesellschaftlichen Politiken und Bewegungen anzuschließen.
Genderation, ab 21.10. im Kino
D 2021, Regie: Monika Treut. Mit Annie Sprinkle, Beth Stephens, Stafford, Sandy Stone, Susan Stryker, Max Wolf Valerio
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