Häusliche Gewalt in lesbischen Beziehungen: „Wie konnte das passieren?“
Unter Lesben sind wir sicher? Auf keinen Fall. Auch in lesbischen Beziehungen findet Gewalt statt, doch darüber wird noch immer meist geschwiegen – oder traumatische Erfahrungen werden als „Drama“ verharmlost. SIEGESSÄULE-Redakteurin Annabelle Georgen traf zwei Frauen, die sich aus missbräuchlichen Liebesgeschichten retten konnten
Plötzlich gab es wieder diese Funkstille. Paolas* Freundin meldete sich nicht mehr, ließ die besorgten WhatsApp-Nachrichten unbeantwortet. Nach sechs Monaten gemeinsamen Glücks begann die Idylle zu bröckeln. „Sie zeigte mir immer häufiger die kalte Schulter für Nichtigkeiten, ohne dass ich wusste, was ich getan hatte“, sagt Paola im Gespräch mit SIEGESSÄULE. Ihre Ex-Partnerin war krankhaft eifersüchtig: Sie warf Paola immer wieder vor, dass sie sie mit jeder und jedem betrügen wolle. „Es dauerte eine Weile, bis ich kapierte, dass sie ein Problem damit hatte, dass ich auf Instagram aktiv war. Sie hasste das. Manchmal hörte sie schlagartig auf, mit mir zu kommunizieren, das ging auch bis zu zwei Tagen. Und das nur, weil ich ein Selfie mit meinem Hund gepostet hatte“, erinnert sich Paola. Silent Treatment nennt sich diese Art von psychischer Gewalt, bei der Schweigen als Bestrafung verwendet wird.
Die Täter*in-Opfer-Umkehr ist ein typisches manipulatives Vorgehen bei gewalttätigen Partner*innen, um das Opfer zu verunsichern, und kommt Gaslighting gleich.
Ein Jahr lebte Paola in dieser alptraumhaften Beziehung. Die 39-Jährige war den alltäglichen Wutausbrüchen ihrer Partnerin ausgeliefert: „Sie brüllte mich an wie ein Vater, der seine Tochter beim Stehlen erwischt hatte.“ Alles, was Paola sagte und tat, wurde von ihrer Ex umgedeutet und als „gewaltvoll“ abgestempelt. Die Täter*in-Opfer-Umkehr ist ein typisches manipulatives Vorgehen bei gewalttätigen Partner*innen, um das Opfer zu verunsichern, und kommt Gaslighting gleich – eine Form der emotionalen Manipulation, bei der Betroffene anfangen, an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln.
Woche um Woche machte sich Paola kleiner. „Ich fühlte mich für alles schuldig, weil sie ja alles verärgern konnte. Ich begann mehr und mehr mein Ich zu unterdrücken, ich verabschiedete mich von den fröhlichen Teilen meiner Persönlichkeit. Am Ende fühlte es sich an, als hätte meine Seele Löcher gehabt. Wie eine Osteoporose der Seele.“ Ein solches Anpassungsverhalten ist ein Beweis dafür, dass die Betroffene Kontrollzwang in der Beziehung ausgesetzt ist.
Als „Lesbian Drama“ verharmlost
Paolas schmerzhafte Erfahrung ist eine von vielen, die lesbische und bisexuelle Frauen mit anderen Frauen oder nicht binären Partner*innen machen. Allerdings wird über gewalttätige lesbische Beziehungen in der Community nur wenig gesprochen. Statistiken gibt es keine. Einige Bücher zwar schon, aber nur, wenn man genau sucht. Betroffene finden jedoch Ansprechpartner*innen bei Initiativen wie L-Support und der Lesbenberatung. Letztere hat sogar 2011 eine kleine Broschüre zu dem Thema herausgegeben: „Handlungsmöglichkeiten bei Gewalt in Beziehungen“. Auf dem Cover heißt es: „Endlich glaubt mir mal jemand, dass eine Frau so etwas tun kann“. In diesem kurzen Satz wird das Problem greifbar: Häusliche Gewalt bei Lesben wird oft bagatellisiert, unter dem humoristischen Label „Lesbian Drama“ verharmlost und in vielen Fällen verschwiegen.
„Es ist immer noch ein riesiges Tabuthema“, sagt Charlotte vom Antigewaltprojekt L-Support gegenüber SIEGESSÄULE. In der lesbischen Community ist der Irrglaube verbreitet, dass Lesben vor Gewalt sicher sind. „Die Betroffenen fragen sich dann: ‚Wie konnte das passieren? Warum passiert mir diese Gewalt, die doch eigentlich so patriarchal konnotiert ist?‘“, fasst Charlotte zusammen.
Auch Paola, die bi ist, dachte, dass sie mit einer anderen Frau „safe“ wäre: „Was sie mir angetan hat, hätte ich bei einem Mann nie toleriert. Irgendwie bin ich besser darin geschult, bereits die kleinsten Anzeichen von Gewalt bei einem Mann zu erkennen und zu stoppen.“ Gerade bei einer Frau, die „eine selbst ernannte Feministin ist und an jeder Demo gegen Gewalt an Frauen teilnimmt“, hätte sie das nie erwartet. Charlotte beschreibt es als „einen radikalen Vertrauensbruch der lesbisch-queeren Community“. Die sonst so heile lesbische Community-Bubble zerplatzt. Das steht vor allem im krassen Kontrast zu den vielen Posts über Queer Joy, die gerade viral gehen.
„Sie hat mich sechsmal verlassen. Und kam immer zurück. Sie drohte mir, Suizid zu begehen, wenn ich sie nicht zurücknehmen würde. Es war emotionale Erpressung.“
Helene* hat bereits mit Anfang 20 psychische Gewalt in einer Beziehung erlebt. Die Frau, die sie damals datete, verlangte von ihr, dass sie ihre ganze Freizeit mit ihr verbrachte. „Sie wollte immer mehr, es war ihr nie genug“, erinnert sich Helene, heute Ende 40. Die Beziehung dauerte nur ein paar Monate, während sich ein toxisches Muster pausenlos wiederholte: „Sie hat mich sechsmal verlassen. Und kam immer zurück. Sie drohte mir, Suizid zu begehen, wenn ich sie nicht zurücknehmen würde. Es war emotionale Erpressung“, sagt Helene, die sich zu allem Überfluss die ausführliche Zusammenfassung der Sexdates anhören musste, die ihre Partnerin in der kurzen Zeit der Trennung hatte. Irgendwann trennte sich Helene und brach den Kontakt ab.
Später traf sie eine Frau, mit der sie ein paar schöne Monate hatte, bis diese anfing, alles Mögliche an ihr zu kritisieren: „Zum Beispiel die Tatsache, dass ich meine Jeans nicht hochkrempelte. Oder dass ich mal bei einer Fahrradtour Wanderschuhe trug. Sie lachte mich aus und nannte mich wiederholt ,Trekking-Lesbe!‘“ Stichwort verinnerlichte Lesbophobie. Diesmal machte Helene aber nicht Schluss – sie wurde „von heute auf morgen ersetzt“. Ihre damalige Partnerin hatte ein neues „Spielzeug“ gefunden.
„Mich hat diese Szene traumatisiert. Danach habe ich zwei Jahre lang keine Menstruation mehr gehabt.“
Helene erzählt auch davon, wie sie Opfer sexueller Gewalt wurde. Sie merkte schnell, dass bei ihrer damaligen Partnerin „etwas nicht stimmte“, als sie Sex mit ihr hatte. „Es gab keine Kommunikation. Sie nutzte meinen Körper wie einen Gegenstand zur Selbstbefriedigung“, sagt sie. Ein besonders schmerzvolles Erlebnis, bei dem sie krank mit Regelschmerzen im Bett lag, überschritt dann endgültig Helenes Grenzen. Sie möchte dabei nicht ins Detail gehen, da sie selbst nach Jahren noch fürchtet, ihre Geschichte könnte hier erkannt werden. „Mich hat diese Szene traumatisiert. Danach habe ich zwei Jahre lang keine Menstruation mehr gehabt“, erzählt sie. Heute ist sie vorsichtiger, was Dating angeht. Derzeit ist sie Single. Sie ist aber auch selbstbewusster: „Ich bin besser in der Lage, zu erkennen, was inakzeptabel ist, und dementsprechend zu handeln.“
Auf die Trennung folgte Stalking
Paola dagegen fühlt sich auch nach vier Jahren Trennung und Therapie noch immer nicht bereit für eine Liebesgeschichte. „Als ich mich trennte, war ich am Boden, depressiv und hatte Selbstmordgedanken“, erzählt sie. „Fast zwei Jahre lang habe ich mich zu Hause eingeschlossen und bin zu keinem Date gegangen.“ Sie hat sich seitdem nicht mehr getraut, Frauen zu daten.
Die Zeit nach der Trennung war hart, besonders weil die Täterin sie stalkte. Einmal folgte sie Paola bis vor ihre Haustür, regelmäßig saß sie auf der Terrasse der Kneipe gegenüber ihrer Wohnung. Ihre Freund*innen haben ihr geholfen durchzuhalten. „Viele denken, Gewalt in der Beziehung findet nur während der Beziehung statt, aber Gewalt gibt es auch nach der Trennung“, warnt Charlotte.
„Viele denken, Gewalt in der Beziehung findet nur während der Beziehung statt, aber Gewalt gibt es auch nach der Trennung.“
Nicht selten geht es um Macht und Kontrolle über die Orte der lesbischen Szene. Der Lieblingsstammtisch oder die Lieblingspartyreihe der Ex wird zum Beispiel von der Täterin systematisch besucht und damit „besetzt“. Die Gewalt zeigt sich auch oft online durch Überpräsenz auf Social Media: „Wenn Täter*innen ständig Posts liken und dadurch Betroffenen Räume weggenommen werden, weil sie die dann meiden, aus Angst der Täter*in zu begegnen, dann ist auch das eine Auswirkung von Gewalt in (Ex-)Beziehungen“, fügt Charlotte hinzu.
Neben Support von Freund*innen, Beratungsangeboten von Fachstellen und psychologischer Begleitung brauchen Betroffene ein Bewusstsein seitens der Community und der Szene, in der sie unterwegs sind. Gewalt in lesbischen Beziehungen sollte nicht als Privatsache kleingeredet werden, Gewaltopfer sollten ernst genommen und nicht ausgegrenzt werden, nur weil Menschen sich nicht von den Angreifer*innen distanzieren wollen. Wie es in der Broschüre der Lesbenberatung heißt: „In allen Fällen gilt es, dieses Denken und Verhalten zu durchbrechen. Dazu gehört auch, dass alle – individuell und gemeinschaftlich – hinschauen, reagieren und Menschen darin unterstützen, die Gewalt zu beenden.“
* Namen geändert
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