Geplantes „HIV Cure Center“

Heilung in Sicht? HIV-Forscher Prof. Christian Gaebler im Interview

1. Dez. 2025 Lea Siebarth
Bild: Jason Harrell
Professor Christian Gaebler arbeitet an der Charité an der Heilung von HIV

Christian Gaebler ist weltweit einer der wichtigsten Wissenschaftler auf dem Gebiet der HIV-Forschung und Professor an der Charité. Anlässlich des Welt-Aids-Tages am heutigen 01.12. sprach er über seine bahnbrechende Forschung und das geplante „HIV Cure Center“ mit SIEGESSÄULE-Autorin Lea Siebarth

Mit dem zweiten Berliner Patienten, den Sie selbst in der Charité behandelt haben, sind es jetzt weltweit zehn Fälle, in denen HIV geheilt werden konnte. Können Sie erklären, wie und warum das gelang? HIV ist als Virus insofern eine Herausforderung, als es genau jene Zellen befällt, die dafür verantwortlich sind, Viren und Bakterien zu bekämpfen: unsere Immunzellen. Das heißt, HIV hat sich evolutionär so entwickelt, dass es seinen Gegenspieler, das Immunsystem, schwächt, indem es die Zellen befällt, die für die Immunantwort zuständig sind. Das Virus infiziert die Zelle und nistet sich dann wie ein blinder Passagier in ihre genetische Information ein. Dort kann es für viele Jahre verweilen, aber zu jedem Zeitpunkt wieder reaktiviert werden und neue Viren bilden, die dann wiederum neue Zellen infizieren können.

Bei einer unbehandelten HIV-Infektion führt das dazu, dass diese Immunzellen nicht mehr regeneriert werden können. Da sie ein zentraler Teil der Immunantwort sind, resultiert das in einer ausgeprägten Immunschwäche und kann dafür sorgen, dass sogar kleinere Infektionen, die ein gesundes Immunsystem relativ leicht bewältigen könnte, zum Tod führen können. Stammzelltransplantationen waren in diesen Fällen deshalb eine Heilungsmöglichkeit für HIV, da aufgrund der vorliegenden Krebsdiagnose der Patient*innen Zellen des blutbildenden Systems, zu denen auch unsere Immunzellen gehören, von Krebs befallen waren. Mit einer Stammzelltransplantation wird sozusagen einmal der Reset-Button gedrückt. Im Rahmen der recht invasiven Krebstherapie wird das eigene Immunsystem, und damit auch die von HIV befallenen Zellen, der Patient*innen so weit reduziert, dass Platz für ein neues Immunsystem geschaffen wird, das dann dort anwachsen kann.

Durch die Stammzellspende werden diesen Menschen dann gesunde, blutbildende Zellen und Immunzellen geliefert, die krebsfrei sind und gleichzeitig auch die verbleibenden Krebszellen, die im Vorfeld nicht erreicht werden konnten, eliminieren. Und im Rahmen der HIV-Infektion wird dieser „blinde Passagier“ mittherapiert. In den Fällen, in denen die Heilung geglückt ist, hatte man noch den zusätzlichen Sicherheitsmechanismus, dass man eine*n Stammzellspender*in mit doppelter Resistenzmutation gegenüber HIV gesucht hat. Das Ziel war, sowohl die Krebsdiagnose zu behandeln, als auch ein resistentes Immunsystem zu übertragen. Das hat dann im Endeffekt zur Heilung geführt.

„Das Neue an dem zweiten Berliner Patienten, ist, dass die Heilung langjährig geglückt ist, obwohl die Resistenzmutation sowohl bei ihm selbst, als auch in den gespendeten Stammzellen nur in einfacher Variante vorhanden war.“

Diesen Dezember werden Sie Ihre Forschung zu dem Fall des zweiten Berliner Patienten veröffentlichen. Welche neuen Erkenntnisse konnten Sie in diesem Fall gewinnen? Man ging immer davon aus, dass diese doppelte Resistenz der transplantierten Stammzellen der Hauptgrund für die Heilung ist. Das Neue an dem zweiten Berliner Patienten, ist, dass die Heilung langjährig geglückt ist, obwohl die Resistenzmutation sowohl bei ihm selbst, als auch in den gespendeten Stammzellen nur in einfacher Variante vorhanden war. Das ist ein ganz neuer Mechanismus, ein weiterer Aha-Moment. Die Resistenzmutation ist also nicht der einzige Faktor, der zu einer Heilung führen kann, es gelingt auch in Fällen, wo diese Mutation nicht in vollständiger Form vorliegt. Das stellt für uns immer erstmal viele Fragen, und viele Fragen sind gut, denn das gibt uns Stoff nachzudenken und weiter zu gucken. Das heißt, in diesem Fall mussten wir sehr genau gucken, was dazu geführt hat, dass die Heilung geglückt ist. Wir haben herausgefunden, dass der Patient selbst vor seiner Krebsdiagnose eine immunologische Antwort auf HIV entwickelt hat – also spezielle Antikörper gegen das Virus. Diese Antikörper waren dann, nachdem die Krebsdiagnose dazukam und eine Stammzelltransplantation notwendig wurde, zusammen mit dem neuen Immunsystem in der Lage, die durch die Krebstherapie verminderte Zahl der von HIV und Krebs befallenen Zellen zu eliminieren. Es war also einerseits eine gute Grundvoraussetzung aufgrund der prä-existierenden Resistenzmutationen in dem Patienten selbst, plus die glückliche Fügung, dass sein Immunsystem in der Lage war, diese Antikörper zu bilden, und diese Stammzelltransplantation, die dazu geführt hat, dass alle HIV-Reservate, zumindest die, die eine neue Virusinfektion hervorrufen, eliminiert wurden. Zurzeit laufen HIV-Immuntherapie-Studien mit diesen Antikörpern, mit dem Ziel, verträgliche Maßnahmen gegen HIV in die Praxis zu überführen und anwenden zu können.

„Zurzeit laufen HIV-Immuntherapie-Studien mit diesen Antikörpern, mit dem Ziel, verträgliche Maßnahmen gegen HIV in die Praxis zu überführen und anwenden zu können.“

Sie haben im März dieses Jahres mit Alfonso Pantisano, dem Queerbeauftragten des Berliner Senats, über ein „HIV Cure Center“ gesprochen, das 2026 öffnen soll. Was können wir uns darunter vorstellen? Genau, das Gespräch im März würde ich als eine Art „Sneak Peek“ bezeichnen. Zurzeit befinden wir uns in Planungsgesprächen. Das HIV-Heilungszentrum wird ein interdisziplinäres Zentrum mit der Expertise verschiedenster medizinischer Fachrichtungen. Wir sehen hier in Berlin und gerade als größtes Universitätsklinikum Europas auch eine große Menge an Menschen mit chronischen Virusinfektionen. Deshalb lohnt es sich hier, gemeinschaftlich mit unseren klinischen Partnern in verschiedenen medizinischen Disziplinen dieses Zentrum für HIV-Heilung aufzubauen. Man darf es sich erst mal nicht als ein örtliches Zentrum vorstellen, sondern eher als Zusammenschluss verschiedener Abteilungen mit Zentrumsstruktur. Es soll uns die Möglichkeit geben, uns einfacher mit anderen medizinischen Disziplinen vernetzen zu können und gemeinschaftlich zu forschen.

„Gerade das ist uns enorm wichtig, da wir uns im Bereich der chronischen Virusinfektionen in der Verantwortung sehen, gemeinsam mit der Community zu arbeiten.“

Zur geplanten Zentrumsstruktur gehören regelmäßige Treffen, Kollaborationen, ein gemeinsamer Außenauftritt, Events, Fortbildungsveranstaltungen, wissenschaftliche Symposien. Das Zentrum soll uns dann nach außen Sichtbarkeit geben und nach innen die Abläufe so regeln, dass wir ideal wissenschaftlich zusammenarbeiten können, klinische Studien machen können, die Community einbinden können. Gerade das ist uns enorm wichtig, da wir uns im Bereich der chronischen Virusinfektionen in der Verantwortung sehen, gemeinsam mit der Community zu arbeiten. Wir wollen eben nicht diese typische Elfenbeinstruktur haben. Es bringt nun einmal auch nichts, medizinische Innovationen zu haben, wenn wir am Ende an den Communitys vorbeiforschen und neue Maßnahmen oder Therapien entwickeln, die letztlich nicht gewollt sind oder nicht angenommen werden. Großes Ziel ist es, diese Schritte und Absprachen im nächsten Jahr abzuschließen, um dann das Zentrum eröffnen zu können.

Infos: infektiologie-pneumologie.charite.de

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