„In Varieté Gaga geht es auch um mein Schwulsein“

Noch bis Sonntag (20. Juli) kann man die Berlin-Show des Wintergarten „Varieté Gaga“ (wieder)sehen. Die Revue ist eine Liebeserklärung an die deutsche Hauptstadt, ihre wilden Nächte und ihre innewohnende Queerness. Wir trafen den Entertainer Jack Woodhead und den Regisseur Rodrigue Funke, der auch künstlerischer Leiter und stellvertretender Intendant des Wintergarten Varieté Berlin ist, zum Gespräch
Rodrigue, welche Idee steckt hinter Varieté Gaga? Ich bin selbst Berliner, ich bin hier geboren und liebe diese Stadt. „Varieté Gaga“ erzählt von jemandem, der nach Berlin kommt, und die Stadt verändert ihn. Berlin kitzelt das, was in einer Person ist, und bringt das zum Vorschein. Diese Person spielt Jack Woodhead, mit dem ich schon seit Jahren arbeiten wollte.
Jack, du bist der Wintergarten-Hausconférencier. Die Show basiert auf deiner eigenen Geschichte. Du bist vor 15 Jahren nach Berlin gekommen. Wie fühlt es sich an, diesmal etwas persönlicher auf der Bühne zu stehen? Jack Woodhead ist eine Figur, die ich seit 15 Jahren spiele. Normalerweise habe ich ja meinen schrillen Paradiesvogel-Charakter, wenn ich auf der Bühne bin. In der Show bin ich ein bisschen mehr privat, was mich am Anfang ein bisschen nervöser als sonst machte. Es ist ja meine Geschichte, wie ich 2010 aus Manchester nach Berlin gekommen bin, aber es ist auch eine Geschichte für jeden Menschen. Man verlässt sein Land oder sein deutsches Dorf – und in einer so großen Stadt wie Berlin kann man sich selbst finden.
„Die Challenge war, Künstler*innen zu finden, die bereit sind, auch eine Sexarbeiterin oder eine Bürgeramt-Sekretärin auf der Bühne zu spielen. Ich fand es ganz interessant, mit diesen Berliner Stereotypen zu spielen.“
Rodrigue, wie hast du die Cast zusammengestellt? Kannst du einen Einblick geben? Ich probiere natürlich wie immer, die besten Artisten ihres Genres zu finden. Die Challenge diesmal war aber, Künstler*innen zu finden, die bereit sind, auch eine Sexarbeiterin oder eine Bürgeramt-Sekretärin auf der Bühne zu spielen. Ich fand es ganz interessant, mit diesen Berliner Stereotypen zu spielen. Wir haben ein wahnsinnig internationales Cast: Wir haben den Guinness-Buch-Rekordhalter im Jonglieren, Danil Lysenko aus Kiew, sowie Ameli Bylik am Schlappseil, auch aus der Ukraine – sie ist die beste Artistin der Welt im Moment. Wir haben auch die polnische Luftartistin Emilia Dawiec, die an den eigenen Haaren hängend tanzt. Sie ist eine ganz tolle queere Person, die in der Show zusätzlich eine Rolle zwischen den Geschlechtern spielt. Dann ist mein ehemaliger Trapezpartner Christophe Gobet aus der Schweiz dabei. Mit ihm habe ich noch eine Hommage an „Chantal's House of Shame“ gebaut, wo er als Chantal verkleidet erscheint. Christophes Partner, der deutsche Julian Kaiser, ist Weltmeister in der Jonglage. Dann haben wir kolumbianische Motorradfahrer, die VR-Universal Drivers, die sich in einer Motorradkugel bewegen. Diese Kugel haben wir extra für diese Show anfertigen lassen. Es ist die kleinste der Welt, mit einem Durchmesser von 3,80 Metern.
Aus Platzgründen können wir leider nicht den ganzen Cast hier präsentieren. Deine Karriere, Rodrigue, hast du eigentlich als Akrobat begonnen, bevor du Regisseur wurdest ... Ich war früher Trapezartist. Ich habe hier in Berlin meine Ausbildung an der Staatlichen Artistenschule gemacht. Ab 2000 habe ich dann mit meinem Trapezpartner Christoph eine sehr gute internationale Karriere hingelegt. Wir haben in Monte Carlo, Russland, China und überall performt. Berlin blieb aber für mich als gebürtiger Berliner immer das Zentrum, obwohl wir elf Monate im Jahr unterwegs waren. Irgendwann hat der Rücken dann nicht mehr mitgemacht. Während der Trapezzeit habe ich aber auch immer mal Regie geführt – das hat mich immer interessiert. Vor acht Jahren hat mich der Wintergarten gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, in einer sehr zirkuslastigen Show Regie zu führen. Das ist jetzt die achte Produktion! Im Laufe der Jahre wurde es immer privater: In meiner vergangenen Inszenierung, „Josephine“ (Wintergarten-Revue aus 2024 über das Leben der Künstlerin und Aktivistin Josephine Baker), beschäftigte ich mich mit meinem eigenen Schwarzsein, und in „Varieté Gaga“ geht es schon auch um mein eigenes Schwulsein. Und das quasi dem Wintergarten-Publikum unterzujubeln, ohne dass es das offensiv ins Gesicht geklatscht kriegt – und trotzdem am Ende einen super Abend hat –, das ist immer so die Challenge.
„In England war ich entweder eine Dragqueen oder ein Comedian oder ein Sänger oder ein Pianist. In Berlin dagegen gibt es ein Genre dafür: Varieté und Cabaret.“
Jack, wie hat sich Berlin angefühlt, als du hierhergekommen bist? War es auch ein Sehnsuchtsort für dich als schwuler Mann? In England war ich entweder eine Dragqueen oder ein Comedian oder ein Sänger oder ein Pianist. In Berlin dagegen gibt es ein Genre dafür: Varieté und Cabaret. Hier kann ich Beethoven spielen – in High Heels und Make-up. In Manchester gibt es dafür keine Bühne. Und ich komme eigentlich aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Manchester. Als Kind habe ich nie ein schwules Paar gesehen. Es gab auch keine schwule Bar. Absolut gar nichts. In Berlin gibt es so viel Platz für meinen eigenen emotionalen Ausdruck und meine queere Identität. Berlin ist ein Paradies, eine Wahlheimat für mich, wo ich selbst sein und meine Arbeit machen kann. Keiner sagt mir: „Warum die High Heels, warum das Make-up?“ Das ist keine Frage. Ich bin einfach Jack Woodhead.
Varieté Gaga – The Crazy Berlin Show
19.07., 20:00 Uhr
20.07., 18:00 Uhr
wintergarten-berlin.de
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