Buch „Den Rest hab ich verdrängt“

Interview mit Pierre Sanoussi-Bliss übers Dschungelcamp und seine Autobiografie

30. Sept. 2025 Kevin Clarke
Bild: Detlef Eden
Pierre Sanoussi-Bliss wurde 1962 in Ost-Berlin geboren

Der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss avancierte beim letzten „Dschungelcamp“ überraschend zum Fan-Liebling. Via RTL sorgte er für LGBTIQ*-Sichtbarkeit bei Millionen Reality-TV-Zuschauer*innen. Jetzt erscheint seine Autobiografie „Den Rest hab ich verdrängt“. SIEGESSÄULE traf den 63-Jährigen in seiner Wohnung in Pankow

Hallo Pierre. Ursprünglich sollte dein Buch beim renommierten Aufbau Verlag rauskommen. Wie kamen die auf dich? Das lag an der Lektorin Franziska Günther, die Frau des berühmten DDR-Regisseurs Egon Günther. Wir kannten uns und sie fand mich interessant. Sachen wie: Ja, es gab vor mir keinen Schwarzen in der DDR, der Schauspiel studiert hat. Oder dass meine Mutter, als sie hochschwanger war, aus Mittweida bei Karl-Marx-Stadt regelrecht flüchten musste. Sie wurde bespuckt, weil sie ein uneheliches Kind und dann noch von einem Schwarzen gekriegt hat. Sogar meine Oma beschimpfte sie als „N****hure“. Sie ging daraufhin nach Berlin, wo ich dann geboren wurde.

„Bei einer Autobiografie hatte ich plötzlich ein Problem, das mir vorher nicht bewusst war. Ich dachte andauernd: „Interessiert das die Leute? Ist es wichtig, dass ich dies oder jenes aufschreibe?“

Dein Buch sollte 2017 fertig sein ... Irgendwie schreibe ich dir ja alles, vom Kinderbuch über Drehbücher bis zu was weiß ich. Aber bei einer Autobiografie hatte ich plötzlich ein Problem, das mir vorher nicht bewusst war. Ich dachte andauernd: „Interessiert das die Leute? Ist es wichtig, dass ich dies oder jenes aufschreibe?“ Ich stehe mir bei jeder Zeile selbst im Weg.

Wie hast du das Problem gelöst? Ursprünglich hatte ich eine Ghostwriterin. Das war meine beste Freundin, die hieß auch noch Gabi: Gabriele Kister. Sie war eine tolle Drehbuchautorin, zum Beispiel hat sie „Die Wanderhure“ geschrieben, was super als Beschreibung für mein Leben passen würde. Von Gabi sind auch sämtliche Rosamunde-Pilcher-Filme im ZDF, diese Sonntagabendherzschmerztitel.

Wolltest du dein Leben als Herzschmerzstory erzählen? Nein. Aber wir kannten uns gut und mochten uns. Wir haben stundenlang gequatscht. Sie schrieb einen ersten Entwurf. Dann kam der Krebs und Gabi starb im Dezember 2016. Danach ging‘s nicht weiter. 2024 löste der Verlag meinen Vertrag. Netterweise musste ich nicht mal den Vorschuss zurückzahlen.

Was gab dann den Anstoß für einen Neustart? Ich habe Marc Lippuner vom Querverlag kennengelernt. Dadurch, dass ich ins „Dschungelcamp“ zog, habe ich 2025 noch mal eine andere Aufmerksamkeit gekriegt und gedacht: „Na gut, ehe man das halbfertige Manuskript einfach wegschmeißt, versuche ich es noch mal.“

Durch deine „Dschungel“-Prominenz hättest du das Buch auch bei einem größeren Verlag rausbringen können. Bist du aus queerer Solidarität zum kleinen Querverlag gegangen? Ja, man kann das als Solidarität interpretieren. In der Community sind mir viele nicht wohlgesonnen, weil es oft so rüberkommt, als würde ich mich nicht für LGBTIQ*-Belange einsetzen. Ich bin halt nicht auf jedem Event dabei. Ich lasse mich auch nicht überall als Galionsfigur einspannen. Ich denke, ich leiste genug, einfach dadurch, dass ich von Anfang an immer offen gelebt habe. Bis heute und trotz aller Angriffe im Internet, wo ich Sachen lese wie: „Ich möchte dich blutig gepeitscht durch Brandenburg treiben“ oder „Für euch Schwuchteln sollte man A. H. wieder zum Leben erwecken, der hätte schon eine Idee, was man mit euch macht“. Von diesem Kommentar habe ich einen Screenshot gemacht und auf Facebook gepostet, woraufhin Meta mich gesperrt hat wegen Hassrede.

Wie hat sich dein Leben nach dem Dschungel verändert? Gar nicht. Außer, dass ich ein paar mehr Follower*innen habe und jetzt für RTL für „GZSZ“ und für „Unter uns“ gedreht habe. Ansonsten habe ich Theaterverträge bis 2027, aber die hatte ich schon vorher. Die Leute denken immer, weil man nicht im Fernsehen ist, ist man nicht da. Ich spiele gern Theater. Und ich lese gern Bücher ein, zum Beispiel die Romane des Literatur-Nobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah. Ab 6. September stehe ich in Ferdinand von Schirachs „Sie sagt. Er sagt“ in den Hamburger Kammerspielen als Richter auf der Bühne, also die höchste Instance in dem Stück. Im November spiele ich dann in Berlin „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ im Theater am Frankfurter Tor, mit Ute Lubosch und meinem guten Freund Matthias Freihof (den viele aus dem Film „Coming Out“ kennen, wo ich auch mitspiele). Ich finde also statt, nur nicht für RTL-Zuschauer*innen.

Am 13. Oktober erscheint die Autobiografie von Pierre Sanoussi-Bliss
„Ich habe die besten Erfahrungen damit gemacht, so zu bleiben, wie ich bin, mich nie zu verstellen. Es sei denn für Geld auf der Bühne oder im Film, aber nicht im Privatleben.“

Was könnten junge Queers von deiner Geschichte lernen? Queer sein! Ich habe die besten Erfahrungen damit gemacht, so zu bleiben, wie ich bin, mich nie zu verstellen. Es sei denn für Geld auf der Bühne oder im Film, aber nicht im Privatleben. Dann eckt man eben mal an. Aber man muss nicht wegen allem sofort aufschreien und sich als Opfer sehen. Wenn jemand mir den Stinkefinger zeigt, muss ich nicht an die Öffentlichkeit gehen und sagen, wie schlimm man mit mir umgeht. Hätte ich das getan, hätte ich nicht überlebt.

Ist das eine Botschaft, die du im Buch transportierst? Ich habe keine Botschaft in diesem Buch. Ich mag anderen Leuten nicht etwas aufdrängen. Ich will nicht missionieren. Ich mag nicht sagen: „So und so ist es richtig.“ Ich berichte von Fehlern, die ich gemacht habe oder von Scheiß, den ich angestellt habe. Ich bin kein Gutmensch. Ich schreibe für die, die es interessiert, was mir passiert ist, ohne Fazit. Es ist ja auch noch nicht zu Ende. Vielleicht werde ich noch das Arschloch des Jahrhunderts … wenn der Testosteronspiegel sinkt, werde ich womöglich eine böse alte Frau.

Sollte dein Buch je verfilmt werden, wer soll dich spielen? Meryl Streep. Die kann alles.

Pierre Sanoussi-Bliss: „Den Rest hab ich verdrängt“
Querverlag, 256 Seiten, 20 Euro
ab 13. Oktober
querverlag.de/den-rest-hab-ich-verdraengt
pierre_ sanoussi_bliss

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