Erfahrungen von hetero trans Frauen

Ist Berlin die europäische Hauptstadt der Transmisogynie?

1. Juli 2025 Alvina Chamberland
Bild: Tiresia
Alvina Chamberland ist Autorin des Romans „Love the World or Get Killed Trying“

Alvina Chamberland ist Autorin des Romans „Love the World or Get Killed Trying“ und stellt in diesem Essay die provokante Frage: Ist Berlin die europäische Hauptstadt der Transmisogynie? Sie spricht über die scheinheilige Offenheit von vermeintlich liberalen cis Männern, das Othering von trans Frauen und das Problem der queeren Szene mit Femininität

Es mag nach einer absurden Frage klingen. Schließlich hat Berlin den Ruf, ein sicherer Zufluchtsort für Queers zu sein. Aber hetero trans Frauen machen ganz andere Erfahrungen als schwule Männer und lesbische Frauen. Wir befinden uns zwischen den Communitys und passen in keine davon. Die meisten meiner Freundinnen, die hetero und trans sind, haben von Berlin die Schnauze voll und wollen fort. Viele sind bereits weggezogen: nach Istanbul, Brasilien, Spanien – und ich selbst nach Athen.

Aber warum verlassen so viele von uns die Stadt? Zunächst einmal muss man verstehen, dass Nordeuropa eine reiche Geschichte in Bezug auf Schwule und Lesben hat, während Transsein eher in Südeuropa, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Südostasien eine Geschichte besitzt – sowohl in der vorkolonialen als auch in der zeitgenössischen. Wir sind seit Jahrtausenden ein wichtiger Teil vieler Kulturen. In Ländern wie Griechenland, der Türkei, Argentinien und Brasilien waren die Transbewegungen und prominente trans Frauen bereits in den 70er und 80er Jahren die lautesten und sichtbarsten Vertreterinnen des LGBTIQ*-Spektrums. Das hatte Auswirkungen auf die jeweilige Gesellschaft.

In Deutschland hingegen wird Transsein immer noch als „etwas Neues“ gesehen, während Lesben und Schwule in Bezug auf Sichtbarkeit, Rechte und Akzeptanz viel weiter sind. Deshalb neigen die Leute und insbesondere heterosexuelle Männer dazu, uns weniger als Frauen zu behandeln, sondern eher als „Andere“ oder „Homosexuelle, die zu weit gegangen sind“.

Feminin gleich konservativ?

Abgesehen davon ist Berlin auch eine Stadt, die femininem Sexappeal missbilligend begegnet und ihn mit Konservatismus und Sexismus assoziiert. Eine trans Frau, die stolz auf ihre Femininität ist, wird mit solchen Werten in Verbindung gebracht. Wenn ich in Athen in einem Minikleid, mit langen Haaren und rotem Lippenstift durch die Straßen gehe, falle ich nicht weiter auf, während ich in Berlin eher als trans Frau wahrgenommen werde. Oder als Russin. Oder als High-Class-Escort – oder als alles zusammen.

Das ist leider Teil der deutschen protestantischen Version von Ernsthaftigkeit und Feminismus, derzufolge Femininität als unnötiger Exzess, frivol, unangenehm und als Gegenteil eines intellektuellen Daseins angesehen wird. Femininer Sexappeal kann nicht als freudvoll angesehen werden, sondern nur als Anbiederung an den männlichen Blick.

Wie soll ein Feminismus, seinem Namen gerecht werden, wenn er Femininität abwertet, während er Maskulinität und Androgynität als Inbegriff von Radikalität verherrlicht?

Selbst die queere Bewegung in Berlin hat seit langem ein Problem mit Femininität und kann sie nur als ein Nachgeben gegenüber patriarchalen Idealen sehen. Wie soll ein Feminismus, sei es im heterosexuellen oder im queeren Kontext, seinem Namen gerecht werden, wenn er Femininität abschaffen will und abwertet, während er Maskulinität und Androgynität als Inbegriff von Radikalität verherrlicht?

Darüber hinaus gibt es etwas an nordeuropäischen weißen hetero Männern, insbesondere jenen aus der Mittelschicht, das sie zu den transfeindlichsten Menschen dieser Welt macht. Keine der trans Frauen, die ich in Berlin kenne, hatte jemals eine längerfristige Beziehung mit einem deutschen Mann, sondern nur mit Männern aus Brasilien, der Türkei, Griechenland, Syrien, Iran oder Irak.

Zu Beginn meiner Transition in Berlin waren es arabische Männer, die mir Liebe und Zuneigung entgegenbrachten, während mir deutsche Männer die kalte Schulter zeigten. Das hat mir klargemacht, dass das gesellschaftliche Narrativ, wonach nordeuropäische weiße Männer aus der Mittelschicht fortschrittlich und liberal sind und Männer aus dem Nahen Osten konservativ, weit von der Wahrheit entfernt ist.

Das ständige Othering von trans Frauen

Im Verlaufe meiner Transition, als mein Passing anfing, öffneten sich mir mehr Türen, und sexuell aufgeschlossene hetero Männer, oftmals weiß und aus der Mittelschicht, begannen sich für mich zu interessieren. Aber wie behandeln diese Männer trans Frauen normalerweise? Ihre ernsthaften Beziehungen führen sie immer mit cis Frauen. Trans Frauen reduzieren sie auf wilde Nächte im KitKat und Berghain – einmal genossen und dann weggeworfen. Selbst polyamouröse pansexuelle Männer scheinen eher mit cis Frauen ein geregeltes Leben zu führen während sie mit trans Frauen nur unverbindliche Affären eingehen.

Die meisten dieser Männer bezeichnen sich selbst als Feministen, aber ihr Feminismus scheint nur darin zu bestehen, mit cis Frauen aus der Mittelschicht besser zu kommunizieren und ihnen Liebe und Sicherheit zu geben. Nordeuropäische linke Männer mögen vielleicht versuchen, weniger sexistisch zu sein, aber ihre Transmisogynie und das ständige Othering von trans Frauen dekonstruieren sie meist nicht.

Ich habe im Laufe der Jahre in Berlin so viele Erfahrungen gemacht und Geschichten gehört. Von Männern, die lautstark verkünden, dass sie sich für Body Positivity einsetzen und alle Körpergrößen akzeptieren. Sie bezeichnen sich als queer, wenn sie genderfluide AFAB Partner*innen haben. Doch wenn sie eine trans Frau kennenlernen, ziehen sie sich schnell wieder zurück, sobald diese sich outet – selbst wenn sie cis-normativen Schönheitsidealen entspricht und post-OP ist.

Ich schätze, ihre Body Positivity schließt alle und alles ein außer uns. In Griechenland sagte mir einmal ein Mann, den ich datete: „Es wäre mir vielleicht peinlich gewesen, mit dir in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, wenn du hässlich wärst, aber da du heiß bist, ist es für mich okay.“

Natürlich sind das sexistische Schönheitsideale, aber zumindest werden wir nach ähnlichen Maßstäben beurteilt wie alle anderen Frauen, anstatt zu völlig anderen Wesen gemacht zu werden.

Natürlich ist auch das sexistisch, aber zumindest werden wir nach ähnlichen Maßstäben beurteilt wie alle anderen Frauen, unabhängig davon, ob wir eine Vagina haben oder nicht, anstatt zu völlig anderen Wesen gemacht zu werden.

Die Straßen Berlins sind auch definitiv kein sicherer Ort für trans Frauen. Jetzt, wo ich fast vollständig als cis wahrgenommen werde, werde ich größtenteils in Ruhe gelassen. Aber noch vor fünf Jahren gehörte es zum Alltag, angespuckt und mit Flaschen beworfen, direkt nach einem Blowjob oder Sex gefragt und von Männern über mehrere Straßen hinweg belästigt zu werden. Es ist, als gäbe es in Berlin eine ungeschriebene Regel: Cis Frauen, insbesondere weiße cis Frauen, werden viel weniger sexuell belästigt, während trans Frauen für vogelfrei erklärt werden – grapschen und die vulgärsten Anmachsprüche, kein Problem. Da habe ich mich vergleichsweise in den Straßen von Delhi, Athen, Istanbul und Rio de Janeiro um einiges sicherer gefühlt.

Bild: Slava Mogudin
Alvina Chamberland schreibt über ihre Erfahrungen als trans Frau
Was die Repräsentation in den Medien angeht, liegt Deutschland hoffnungslos zurück.

Was die Repräsentation in den Medien angeht, liegt Deutschland hoffnungslos zurück. Mir fällt so gut wie keine deutsche Mainstream-Fernsehserie ein, in der trans Frauen eine Haupt- oder auch nur eine größere Nebenrolle spielen – geschweige denn, dass trans Frauen an Drehbuch und Produktion mitgewirkt hätten. Mir fällt auch kein einziger Roman ein, der von einer trans Frau geschrieben und von einem größeren Verlag veröffentlicht worden wäre. Fast die gesamte Sichtbarkeit kommt der schwul-lesbischen und nicht-binären Community zu, während die Sichtbarkeit von trans Frauen in den großen deutschen Medien zwanzig, dreißig oder sogar vierzig Jahre hinter anderen Ländern zurückliegt.

Dennoch gibt es einige positive Dinge an Berlin. Und zwar wichtige Dinge, wie etwa dass trans Frauen seltener ermordet werden. Oder dass Deutschland Geld hat und daher unsere Hormone und einige unserer Operationen von der Krankenkasse bezahlt werden. Außerdem gibt es hier mehr Arbeitsmöglichkeiten als an vielen anderen Orten auf der Welt. Wir werden nicht ganz so stark in die Sexarbeit gedrängt. Dennoch sind die Hälfte meiner hetero trans Freundinnen in Berlin Sexarbeiterinnen, und die meisten trans Frauen, die ich kenne, haben finanzielle Probleme und Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden.

Ausgegrenzt von Queers, missachtet von hetero Männern

Einige lesbische und bisexuelle trans Frauen finden ihre queere Bubble in Berlins riesiger Lesben- und Schwulenszene. Das Gleiche gilt für trans Frauen in T4T- Beziehungen, nicht zuletzt dank der großen transmaskulinen Community in der Stadt.

Doch viele meiner trans Schwestern fühlen sich – so wie ich – vor allem zu cis Männern hingezogen. Tatsache ist, dass die meisten hetero trans Frauen in der queeren Community kein erfülltes Leben führen können. Wir müssen uns mit der hetero Gesellschaft auseinandersetzen.

Tatsache ist, dass die meisten hetero trans Frauen in der queeren Community kein erfülltes Leben führen können. Wir müssen uns mit der hetero Gesellschaft auseinandersetzen.

Vor sechs Monaten hatte ich meine SRS-Operation (Anm. d. Red.: sex reassignment surgery; geschlechtsangleichende Operation) und verließ daraufhin Berlin. Ich bin nicht ins Paradies gereist. Gott weiß, dass es kein Paradies für trans Frauen gibt, die Männer begehren – die queere Szene ist für uns immer ein Ort der teilweisen Ausgrenzung, und heterosexuelle Männer behandeln uns fast nie mit dem Respekt, der uns gebührt. Ich wünschte, es gäbe einen Ort auf der Welt, an dem das nicht so wäre. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein.

Also können wir vorerst nur versuchen, die Gesellschaft zu verändern, und nach Orten suchen, an denen unser Leben ein bisschen lebenswerter ist. Und da sowohl ich als auch fast alle hetero trans Frauen, die ich kenne, wegziehen möchten, ist Berlin ganz sicher nicht dieser Ort. Vielleicht ist es übertrieben zu behaupten, dass sie die Hauptstadt der Transmisogynie ist, aber angesichts all der Umstände, von denen ich gerade berichtet habe, ist sie vielleicht nicht allzu weit davon entfernt.

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