Queere Filmlegende

John Waters: „Die Attacke auf das System muss von innen heraus erfolgen."

30. Juni 2017 Lawrence Ferber
Bild: Greg Gorman

John Waters ist mit Filmen wie „Pink Flamingos“, „Desperate Living“ oder „Female Trouble“ zum König des queeren Undergroundkinos geworden. Vor allem mit der Dragqueen Divine schuf er in den 70ern ein Kultkino der Perversionen gegen alle Regeln des Anstands und die „kranke, langweilige Welt der Heteros“. Autor Lawrence Ferber hatte die Chance, die Filmlegende zum Gespräch zu bitten

In „Pink Flamingos“ trägt die Familie von Babs Johnson (Divine) stolz den Titel „Widerlichste Menschen der Welt“. Würden sie die Trumps als ernsthafte Konkurrenz betrachten? Deren Apartment sieht ja bereits aus wie der Wohnwagen der Johnsons – zumindest wenn Jeff Koons ihn entworfen hätte.

Was denkst du über die Trumps? Ich denke Donald Trump hätte bereits am ersten Tag aus dem Amt gejagt werden sollen für seine Musikauswahl bei der Vereidigung – die war schlecht genug! Vizepräsident Mike Pence ist aber wahrscheinlich noch schlimmer. Die ganze Sache finde ich nicht besonders lustig. Allerdings wäre es nun eine gute Zeit für eine neue Studentenrevolte. Ich kann nicht verstehen, wie Studenten einfach zu Hause sitzen und lernen können, anstatt auf der Straße zu protestieren.

Dein Film „Serial Mom“ ist in den USA auf Blu-ray erschienen. Kathleen Turner spielt darin eine Hausfrau, die alle umbringt, die ihr auf die Nerven gehen. Wer könnte diese Rolle in einem Remake spielen und wäre das nicht ein toller Stoff für eine Netflix-Serie? Kathleen Turner würde die Rolle wieder spielen, sie wäre einfach nur älter und es hieße dann eben „Serial Grandmother“. In einer Serie müsste sie dann auf drei Morde pro Woche kommen. Ich finde, sie ist eine großartige Schauspielerin und kann jede Rolle spielen. Sie würde es sogar hinbekommen, eine Achtjährige darzustellen.

Welche Menschen würde „Serial Mom“ heute um die Ecke bringen? Für welche Unverschämtheiten würde sie sich rächen? Zum Beispiel Lügner, die irgendetwas vortäuschen, nur um als Erste ins Flugzeug einsteigen zu können. Oder Leute, die behaupten, Lebensmittelallergien zu haben, und sich deswegen unverschämt gegenüber dem Restaurantpersonal benehmen. Da gäbe es eine Menge Auswahl.

Im Film quält Kathleen Turner ihre Nachbarin mit gemeinen Telefonstreichen. Wer wäre dein Opfer? Ich sitze nicht irgendwo rum, und denke darüber nach, jemandem einen Telefonstreich zu spielen. Aber ich würde gern Eminem anrufen, weil ich ihn treffen möchte und ich weiß, dass er mich nicht treffen will.

„Wenn ihr Lügen verbreitet, komme ich zurück und verfolge euch aus dem Grab heraus."

Deine Filme haben viele Tabus gebrochen. Wie kann man heute noch subversiv sein? Es gibt neue Wege, um junge Menschen aus der Reserve zu locken. Und es ist auch die Pflicht junger Leute, subversiv und ungehorsam zu sein. In meinem neuen Buch „Make Trouble“ gebe ich genaue Anweisungen, wie das gelingen kann. Heute muss die Attacke auf das System von innen heraus erfolgen. Ich bin für Insider! Es geht nicht darum, sich als Outsider in irgendwelchen Nischen bequem einzurichten. Das Buch soll Mut machen, große Risiken einzugehen und ein neues Kapitel im Leben aufzuschlagen, egal wer du darin sein wirst.

Was würdest du von einem John-Waters-Biopic halten? Es gäbe eine Menge Möglichkeiten, so etwas umzusetzen, aber es wäre auch ziemlich hart für mich. Mein gesamtes Umfeld ist noch am Leben und ich bin sehr besorgt um die Reputation meiner Freunde. Wenn es darum ginge, wie sie im Film porträtiert werden, wäre ich wahrscheinlich zu empfindlich. Also müsst ihr noch warten, bis ich tot bin. Doch selbst dann: Wenn ihr Lügen verbreitet, komme ich zurück und verfolge euch aus dem Grab heraus.

Anfang des Jahres sagtest du in einem Interview, dass du deine Filme nicht über Crowdfunding finanzieren möchtest, obwohl du seit „A Dirty Shame“ (2004) kein neues Filmprojekt realisieren konntest. Hast du deine Ansicht mittlerweile geändert? Ich bin kein besonders guter Heuchler. Soll ich sagen: „Helft mir Geld für ein Filmprojekt zusammenzubekommen" Und das Filmteam? Soll das ohne Bezahlung arbeiten? Das ist doch lächerlich! Ich besitze drei Häuser! Ich könnte diese verkaufen und einen Film machen, wenn ich will.

Im Grunde genommen entscheidet das Publikum, ob es möchte, dass du einen neuen Film machst. Und ich vermute, dein Projekt wäre innerhalb von Sekunden finanziert. Wenn es Crowdfunding bereits in meinen frühen Tagen gegeben hätte, wäre das vielleicht eine Möglichkeit gewesen, meine Filme zu finanzieren. Aber jetzt werde ich nicht mehr um Geld bitten. Außerdem schreibe ich im Moment Bücher, die toll laufen. Ob meine Spoken-Word-Shows, meine Filme oder meine Bücher – im Prinzip ist es immer das Gleiche für mich. Ich erzähle nur eine Geschichte. Ich springe von einer zur anderen, und an welchem Ort sie sich auch immer ereignen wird, ich werde da sein!

Aus diesem Grund dürftest du dann ja viel unterwegs sein. Was ist denn dein schlimmstes Reiseerlebnis? Ich war in einem Flugzeug nach Australien. Auf halbem Weg sagten sie, dass Flugzeug sei zwar in Ordnung, aber wir müssen noch in Hawaii zwischenlanden, weil jemand Schwangerschaftsprobleme habe. Ich dachte nur, du solltest nicht fliegen, wenn du schwanger bist. Hawaii lag wirklich überhaupt nicht auf dem Weg. Als das Flugzeug wieder Richtung Australien startete, teilten sie uns mit, dass bei der Frau alles in Ordnung sei. Alles in Ordnung? Ich meine, ich hätte nicht gewollt, dass ihr Baby stirbt. Aber alles in Ordnung? Wegen ihr verspäteten sich die Leute im Flugzeug um ganze zwei Tage. Sie hätten sie wenigstens zur Beobachtung dabehalten können. Ich war froh, dass es ihr gut ging, aber es hätte mich nicht gestört, wenn sie wenigstens ein bisschen gelitten hätte.

Gibt es auch eine Geschichte über Berlin? Ich war vor Kurzem dort und habe Plakate gesehen mit der Aufschrift „Ausländer, geht nach Hause“. Aber damit waren Hipster gemeint! Denn in Berlin steigen die Mieten, weil die Hipster in die Stadt kommen. Ich wette, die Albaner und Syrer sind erleichtert und froh, dass die Berliner*innen jemand anders hassen.

„Man will ja nicht mit seinen Fans ficken."

Benutzt du Grindr? Nein, aber sie haben mir einen Job angeboten. Sie hatten herausgefunden, dass die meisten Leute auf Grindr nicht auf der Suche nach Sex sind, sondern eher bei der Arbeit Zeit totschlagen. Und für diese Gruppe wollten sie spezielle Inhalte mit Werbung. Ich habe abgelehnt, aber ich war sehr geschmeichelt, dass sie gefragt haben. Also nein, ich benutze Grindr nicht. Außerdem würde es sich für mich komisch anfühlen zu sagen: „Hey, ich bin John Waters. Komm vorbei!“ Wie unangenehm! Man will ja nicht mit seinen Fans ficken. Zumindest ich nicht!

Du redest heute offen darüber, dass du einen Freund hast. Wie hat dich das verändert? Lass uns sagen, dass mich das auf eine positive Weise verändert und es mich wahrscheinlich glücklicher gemacht hat.

Wie lange seid ihr jetzt schon zusammen? Oh, ich werde dir nichts über meinen Freund erzählen. Das wird Teil eines Buches sein.

Könnte daraus auch die Geschichte einer schwulen Hochzeit werden? Natürlich bin ich dafür, dass homosexuelle Paare heiraten dürfen. Es ist wirklich erstaunlich, dass sich jemand davon bedroht fühlt. Ich persönlich würde es aber nicht tun, denn es gibt nicht nur schwule Hochzeiten, sondern auch schwule Scheidungen und schwule Unterhaltsklagen.

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