Interview mit dem queeren Jugendnetzwerk Lambda

LGBTIQ*-Jugend in der Krise

15. März 2022 Florian Bade
Bild: Sally B.

Pandemie, Klimawandel, Ukraine-Krieg: in diesen unsicheren Zeiten ist es schon für Erwachsene schwer, die sich überschlagenden Ereignisse zu verarbeiten. Doch wie gehen queere Jugendliche mit diesen Problemen um? Wir fragten Erik Jödicke vom Bundesvorstand von Lambda e.V., dem queeren Jugendnetzwerk in Deutschland

Erik, du arbeitest mit queeren Jugendlichen zusammen. Mit welchen Problemen sind sie in diesen schwierigen Zeiten konfrontiert? Queere Jugendliche bleiben momentan doppelt auf der Strecke. Zum einen, weil sie queer sind, zum anderen, weil sie Jugendliche sind. Nehmen wir Corona als Beispiel. Die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie waren vor allem auf den Schutz der heteronormativen Kleinfamilien ausgerichtet und es wurde überhaupt nicht mitgedacht, dass viele queere Menschen nicht in diesen Familienstrukturen leben können oder wollen. Und als Jugendliche sind sie hinten runtergefallen, da sich alle zwei Wochen änderte, ob die Schulen offen waren oder nicht. Über lange Strecken mussten sie ohne Unterstützung zu Hause alleine lernen. Viele Jugendliche haben durch die Pandemie mit extremen psychischen Problemen zu kämpfen und sind in gewaltvolle Familienstrukturen zurückgedrängt worden.

Hat dies auch Einfluss auf den Prozess des Coming-outs gehabt? 

Der normale Lauf der Dinge ist ja, dass sich Jugendliche outen, kurz bevor oder nachdem sie das Elternhaus verlassen haben. Es gibt Sicherheit, zu wissen: „Okay, wenn es nicht gut läuft, dann bin ich bald aus diesen Strukturen raus.” Diese Option ist für viele weggefallen, weil sie nicht das Auslandsjahr nach dem Abi oder die Ausbildung machen konnten. Wir bekamen mit, dass viele sich aus Angst nicht geoutet haben, obwohl sie innerlich dafür bereit gewesen wären.

„Sie konnten erleben, wie stark und empowernd Gemeinschaft ist."

Queere Jugendliche sind eine vulnerable Gruppe. Inwieweit hat die Pandemie dies noch verschärft?

 Berichte von der Stadt Berlin und Maneo haben gezeigt, dass sowohl Obdachlosigkeit als auch Suizidraten angestiegen sind. Und selbst kleine Anstiege in diesen Zahlen müssen uns schon aufhorchen lassen, da man eine hohe Dunkelziffer mit einberechnen muss. Wir haben mit unseren Beratungs- und Freizeitsangeboten versucht, da gegenzusteuern. Denn die Orte, wo queere Jugendliche sonst Entspannung, Zuflucht und Ruhe gefunden haben, sind ja in dieser Zeit komplett weggebrochen. Und die enorme Resonanz hat uns gezeigt, wie notwendig diese Unterstützung war und bleibt.



Eine traumatisierte Generation, die sich ins Virtuelle zurückzieht?

 Es gibt auf jeden Fall eine ganze Generation, die aus zwei Jahren Pandemie herauskommt und erstmals psychisch so belastet, ist, dass längerfristige Probleme zurückbleiben und auch nachhaltige Hilfen gebraucht werden. Aber wir haben auch gesehen, wie sie kreative Lösungen gefunden haben, sich nachmittags online verabredet haben und generell Hilfe zur Selbsthilfe leisteten. Dadurch konnten sie erleben, wie stark und empowernd Gemeinschaft ist. Aber sie haben gleichzeitig auch verstanden, dass sie die Präsenz unserer zusammenstehenden Community auch offline brauchen.

Der Krieg in der Ukraine überschattet seit zwei Wochen alles andere. Wie könnt ihr queeren Jugendlichen helfen mit der Situation umzugehen? Ich finde es wichtig, dass wir mit ihnen reden und diesen Krieg – so gut es geht – runterbrechen, damit sie die Situation zumindest in Ansätzen verstehen. Auch dass es für queere Menschen Gefahren gibt. Denn wir haben bereits in anderen Konflikten gesehen, dass Jugendliche, wenn ihre Ängste nicht ernst genommen werden, sich abkoppeln. Es braucht die Auseinandersetzung. Die Angst bricht sich sonst anderswo Bahn. Das ist jetzt unsere gesellschaftliche Aufgabe, dies aufzufangen. Es gibt von verschiedenen Kinder- und Jugendhilfswerken bereits Leitfäden zum Ukrainekrieg. Wir von Lambda sammeln gerade in unserem Peer-2-Peer-Projekt „In&Out”, damit wir bestmöglich beraten können.

Erik Jödicke vom Bundesvorstand von Lambda e.V.

Spendenaktion Queere Nothilfe Ukraine

Zahlreiche Organisationen der deutschen LGBTIQ*-Community haben sich zum Bündnis Queere Nothilfe Ukraine zusammengeschlossen. Es werden Spenden gesammelt, die für die notwendige Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen in der Ukraine verwendet werden. Link zur Spendenseite: https://altruja.de/nothilfe-ukraine/spende

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