Pride

Loud and proud: Zehn wichtige queere Hymnen

28. Juni 2022

Judy Garlands Interpretation des Songs „Over The Rainbow" ist bis heute einer der bedeutendsten queeren Hymnen. Anlässlich ihres 100. Geburtstags am 10. Juni dieses Jahres und dem Jahrestag von Stonewall am 28. Juni haben wir zehn Songs zusammengetragen, die zu Pride-Hymnen der LGBTIQ*-Community wurden

Judy Garland: „Over the Rainbow“

Im Jahr 1939 erschien der US-amerikanische Musikfilm „The Wizard of Oz“, in dem die damals 17-jährige Judy Garland die Hauptfigur Dorothy verkörperte. In einer Schlüsselszene singt sie das 1940 mit einem Oscar ausgezeichnete Lied „Over the Rainbow“ – im Text geht es darum, dass sie sich in ein Land hinter dem Regenbogen wünscht, in dem es keinen Ärger gibt und die Vögel fröhlich zwitschern. Besonders LGBTIQ*, die damals unter extremen Repressionen litten, identifizierten sich mit den Lyrics. Im Laufe der Jahre wurde „Friends of Dorothy“ zu einer verschlüsselten Bezeichnung für schwule Männer. Garland stieg zur LGBTIQ*-Ikone auf. Sie verstarb 1969 nur wenige Tage vor den Stonewall Riots. Ob die Trauer um ihren Tod den queeren Aufstand begünstigte, wird bis heute diskutiert. Als der Künstler Gilbert Baker 1978 die Regenbogenflagge entwarf, waren Judy Garland und „Over the Rainbow“ eine Inspiration für das Symbol, das bis heute die Vielfalt der Community repräsentiert. Ihr Song wurde spätestens damit zur wichtigsten queeren Hymne aller Zeiten.

Sylvester: „You Make Me Feel (Mighty Real)“

„You Make Me Feel (Mighty Real)“ ist so was wie der Urknall aller Empowerment-Hymnen. Die 1978er-Single der flamboyanten Falsetto-Queen Sylvester wurde an der Seite von Donna Summers „I Feel Love“ zum Blueprint elektronischer Tanzmusik von Disco über Hi-NRG bis hin zu House und Techno. Textlich traf Sylvester, der den Song mit James Wirrick schrieb und mit dem legendären schwulen Produzenten Patrick Cowley an den Synthesizern aufnahm, ein Grundgefühl der LGBTIQ*-Liberation: Der Song transportierte eine selbstbestimmte Sexualität, feierte den eigenen Körper und die eigenen Begierden. Ein tanzbarer Befreiungsschlag. Und Sylvester lebte, was er sang: Aus einem restriktiven, streng religiösen Elternhaus stammend, sprengte der genderqueere Individualist alle Fesseln: Er ging Ende der 60er nach San Francisco, wo er sich kurzzeitig der legendären queeren Hippietruppe The Cockettes anschloss, um im Folgenden in all seiner queeren Pracht zwischen Dragqueen und androgynem Disco-Wesen seine Solokarriere zu starten. Am 16. Dezember 1988 verstarb Sylvester an den Folgen von Aids. jano

Bronski Beat: „Small Town Boy“

Der 1984 veröffentlichte Song „Small Town Boy“ erzählt die triste Geschichte eines schwulen Jungen, der vor den homophoben Erfahrungen in seiner provinziellen Heimatstadt flieht. Getragen von Jimmy Somervilles androgynem Falsettgesang machten die schwulen Jungs der britischen Band Bronski Beat daraus einen pulsierenden Electropop-Knaller, der die Tanzflächen füllte. Ein Welthit, der sich deutlich als schwuler Protestsong verstand und ganz konkret über die sozialen Realitäten und Probleme der LGBTIQ*-Community sprach. Selbst in den 80er-Jahren, in denen sich immer mehr Künstler*innen mit queeren Ästhe-tiken und Ausdrucksweisen befassten, war das noch eine Pionierleistung. Bronski Beat waren nicht nur Musiker, sie waren auch Aktivisten, die ihren Kampf gegen den LGBTIQ*-feindlichen Thatcher-Konservatismus jener Jahre in ihren Songs zum Ausdruck brachten. So war Jimmy Somerville immer wieder an verschiedenen queeren Demos und Widerstandsaktionen beteiligt – z. B. von Act Out –, die ihn teilweise gar in Konflikt mit dem Gesetz brachten.

Gloria Gaynor: „I Will Survive“

„I Will Survive“ war ursprünglich nur die B-Seite von Gloria Gaynors 1978er-Single „Substitute“ – gegen den Willen der Künstlerin. Gaynor nämlich erkannte das Hitpotenzial des Disco-smashers. Das Label Polydor weigerte sich jedoch, „I Will Survive“ als eigene Single zu veröffentlichen. Doch die Diva wusste sich zu helfen und spielte den Song dem DJ Richie Kaczor zu. Dieser legte die Platte im legendären Studio 54 auf. Wie ein Lauffeuer verbreitete er sich anschließend über Clubs und Radiostationen, sodass Polydor schließlich nachgeben musste. Die daraufhin veröffentlichte Single erhielt 1980 einen Grammy. In den 90ern erlebte der Song durch seine Verwendung im queeren Kultfilm „Priscilla – Königin der Wüste“ einen neuen Beliebtheitsschub. Die Lyrics handeln von einer Frau, die sich nach einer Trennung selbst davon überzeugt, dass sie das Drama überleben wird. Ein empowerndes Statement, mit dem sich besonders queere Menschen identifizieren konnten. Bedeutend wurde dies vor allem während der Aids-Krise, als der Song buchstäblich zu einer Hymne des Überlebens und der Hoffnung auf ein besseres Morgen wurde.

Lady Gaga: „Born This Way“

„No matter gay, straight, or bi, lesbian, transgender life/I‘m on the right track, baby, I was born to survive“ – „Born This Way“, die Leadsingle und der Titeltrack von Lady Gagas zweitem Fulltime-Album, das am 23. Mai 2011 veröffentlicht wurde, ist vermutlich der einzige Song in unserer Auswahl, der explizit mit der Intention geschrieben wurde, eine LGBTIQ*-Hymne zu werden. Und das klappte auch vorzüglich. Der auf dem Zenit des Gaga-Hypes veröffentlichte Song verneigte sich nicht nur explizit vor dem Mut und der Schönheit queerer und anderer marginalisierter Communitys, sondern ebenso vor Madonna und ihrem Song „Express Yourself“ – einer wichtigen feministischen Hymne der späten 80er. Die Grand Dame des Pop reagierte seinerzeit allerdings relativ verschnupft und sagte über Gagas Hommage: „It feels reductive.“ Soll heißen: schlicht, plump, reduziert. Die LGBTIQ*-Community kümmerte das wenig, und der Song wurde binnen kürzester Zeit zum queeren Klassiker, mit dem sich vor allem jüngere Generationen identifizieren konnten.

Melissa Etheridge: „Like The Way I Do“

„Als es sich gerade richtig angefühlt hat, sagtest du, dass du eine andere gefunden hast, die dich hält – hält sie dich so wie ich?“ Dieses Liebesdrama besang Melissa Etheridge 1988 auf ihrem Debütalbum in „Like The Way I Do“, einem Song, der in Deutschland zum Dauerbrenner auf allen Lesbenpartys werden sollte. Lange übrigens vor ihrem eigenen öffentlichen Coming-out. Doch die Lesbencommunity erkannte in dem Song über eine zerbrochene Liebesbeziehung, Eifersucht und Selbsterniedrigung sofort das eigene Schicksal. Später nahm sich Melissa Etheridge vor, etwas lebenbejahendere Texte zu schreiben. In einem Interview mit L-MAG zeigte sich die Rocksängerin amüsiert und sehr verwundert, dass ihr tragischer Drama-Song auch über 20 Jahre später noch immer auf keiner Lesbenparty fehlen darf. Anders als die Musikerin selbst scheinen die Lesben an der Selbstaufgabe aus Liebe gern festzuhalten, wie es im Song so schön heißt: „Wer würde betteln stehlen und lügen? Kämpfen, töten und sterben, nur um dich zu halten, so wie ich?“

Frankie goes to Hollywood: „Relax“

Ende 1983 wurde der Song „Relax“ veröffentlicht und hielt sich unglaubliche 52 Wochen in den britischen Charts: ein von Produzent Trevor Horn aufgeblasenes Hi-NRG-Popspektakel, das vom Hinauszögern des Orgasmus handelt und laut Musikjournalist Simon Reynolds nach einem „akustischen Poppers-Flash“ klingt. Wie das queere S/M-Image von Frankie goes to Hollywood waren Produktion und Präsentation des Songs vor allem eins: aggressiv! Für den Musik-Mainstream bedeutete die Band aus Liverpool eine ungeheure Zäsur. Denn im Gegensatz zu den meisten queeren Künstler*innen der 80er spielten Frankie goes to Hollywood offensiv mit Bildern schwuler Sexualität und sexueller Ausschweifungen. Die Botschaft der beiden aus der Punk- und Lederszene kommenden Sänger Holly Johnson und Paul Rutherford war kein freundlich angepasstes „Wir sind genauso normal wie ihr Heteros.“ Stattdessen stellten sie lustvoll ihr Anderssein aus und forderten sexuelle Anarchie. In der Folge verboten u. a. die BBC und Radio One den skandalösen Song, was seinen Erfolg nur noch beflügelte.

Against Me!: „True Trans Soul Rebel“

Wer in den Charts nach Songs sucht, die sich konkret mit der Lebensrealität von trans* Personen und trans* Empowerment befassen, kann nicht unbedingt aus dem vollen schöpfen. Deshalb stammt unsere trans* Hymne in dieser Strecke aus dem Indie-Bereich und ist vielleicht nicht allen geläufig. Die in den USA recht erfolgreiche Punkband Against Me! erlangte 2012 weltweite Bekanntheit, als sich Sängerin und Songwriterin Laura Jane Grace im Rolling Stone als trans outete. In der von Machismen und Heteronormativität geprägten Punkrock-Szene ein Schritt, der das Ende ihrer Karriere hätte bedeuten können. Die 2013 erschienene EP „True Trans“ und das 2014 folgende Album „Transgender Dysphoria Blues“ – auf beiden war der Song „True Trans Soul Rebel“ – bewiesen eindrucksvoll das Gegenteil. Vor allem das Album, das sich unverklausuliert mit trans* Themen befasst, ist bis heute die meistverkaufte Platte der Band und erreichte in den USA Platz 23 der Billboard-Charts, Empowerment vom Feinsten! Und „True Trans Sould Rebel“, der eingängigste Song der Platte, wurde zur Hymne.

Madonna: „Vogue“

Der mit sechs Millionen verkauften Exemplaren erfolgreichste Song des Jahres 1990 markierte einen wichtigen Punkt in der LGBTIQ*-Sichtbarkeit. Der damals neuartige House-Musik-Backtrack wurde von Shep Pettibone komponiert und aufgenommen, Madonna schrieb anschließend den Text. Der Titel „Vogue“ bezieht sich auf den Tanzstil, der in den 1970er-Jahren als Ausdruck der queeren BPoC- und Latinx-Communitys in New York entstand, inspiriert von den Posen der Models in der Zeitschrift Vogue. Im Laufe der Jahre wurde Madonna wiederholt kulturelle Aneignung vorgeworfen, da sie den Ausdruck marginalisierter Communitys für ihren eigenen Erfolg ausgenutzt habe – ihr Song wurde zur Nummer eins in den Charts etlicher Länder. Vergessen wird dabei aber häufig, dass die Tänzer Jose und Luis vom „House of Xtravaganza“, die auch das Video choreografierten, ihre Tournee mit Madonna nutzen konnten, um mehr Sichtbarkeit für die queere Szene zu schaffen. Madonna kämpfte ihrerseits mitten in der Aids-Krise öffentlich gegen die Krankheit und ihre Stigmatisierung.

Peaches: „Fuck The Pain Away“

Mit seinem bassigen, dreckigen Electro-clash-Rhythmus sorgt „Fuck The Pain Away“ für einen sofortigen Wiedererkennungswert. Im Jahr 2000 veröffentlichte Peaches ihre bahnbrechende Platte „The Teaches of Peaches“, mit der sie in diesem Jahr (pandemiebedingt mit zweijähriger Verspätung) weltweit auf Jubiläumstour geht. „Fuck The Pain Away“ ist gleich der erste Track des Albums und der berühmteste der etlichen Hits, die die in Berlin lebende queere Ikone in den letzten zwei Dekaden ausspuckte. Fun Fact: Der Song, den sie auf einer Roland TR-909 komponierte – einer legendären Drummachine, die viele Technoklassiker gebar – wurde noch nie in einem Studio aufgenommen. Die weltberühmte Albumversion des Songs ist eine Liveaufnahme seiner ersten Aufführung bei einem Konzert in Toronto. In der sexpositiven, queer-feministischen Subkultur genießt der Song Kultstatus: „Fuck The Pain Away“ ist nicht nur fulminant sexuell aufgeladen, sondern auch ein starker empowernder Schrei nach Freiheit und der Zerschlagung überkommener Genderrollen.

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