Materialschlacht: Lady Gagas neues Album „Chromatica"

Mit „Chromatica“ ist nun das fünfte Studioalbum von Lady Gaga erschienen. Der Rummel um die Platte ist wieder mal filmreif. Warum auch nicht, ist die New Yorkerin doch mittlerweile selbst Oscar-prämiert. Vor einem Flop schützt das allerdings auch nicht
Eine neue Platte von Lady Gaga besitzt immer etwas von einem weiteren Teil einer Blockbuster-Filmreihe – also so was mit Superhelden, ständigen Explosionen und aufwendigen Kostümen. Man ist sofort interessiert, sieht vorm inneren Auge ein paar unterhaltsame Stunden der Popcornfresserei ablaufen. Das wird wieder schön! Das darf man nicht verpassen! Über dieses wohlige Körpergedächtnis legt sich dann allerdings eine kleine Spielverderber-Stimme. Die wagt es doch tatsächlich, daran zu erinnern, dass man die letzten Sequels bereits mit mäßiger emotionaler Beteiligung verfolgt hat. So mäßig, dass man die jüngsten Namen und Ereignisse jener Blockbuster-Reihe schon gar nicht mehr im Kopf hat.
Herzlich willkommen bei Lady Gaga 2020.
Nicht falsch verstehen, ich würde für Stefani Germanotta eine Kugel fangen – für ihr Werk der fortschreitenden 10er-Jahre allerdings nicht mehr. Aber ich könnte mir vorstellen, dafür hätte sie selbst sogar Verständnis. Dennoch sorgt die Ankündigung einer neuen Gaga-Platte kurz für Schnappatmung, man ist doch auch nur ein Mensch. Und hey, vielleicht ist doch alles wieder wie früher. Man wird sich ja wohl noch mal was vormachen dürfen!
Immerhin gab die erste Single „Stupid Love“ der haltlosen Nostalgie durchaus Nahrung: Im Clip tanzt Lady Gaga Choreos mit einem exzentrisch kostümierten Ensemble und singt „I want your stupid love”. Wer denkt da nicht an die goldenen Zeiten von „Bad Romance“ (2009) und zieht Parallelen zum dortigen „I want your ugly, I want your disease“, was damals ebenfalls in ein „I want your love“ mündete?
Doch wo „Bad Romance“ noch in Wort und Bild herausgefordert hat, will „Stupid Love“ nur noch im abgesteckten Hit-Vorgarten ein kleines Firmenpicknick abhalten. Alles sieht aus wie immer, hat aber die ursprüngliche Besonderheit eingebüßt, die Lady Gaga der Jetztzeit ist bestenfalls Status quo. Dazu wirkt auch das Songwriting hörbar egaler und der Text gibt sich nicht mal besondere Mühe, bei seinem Random-Worthülsengulasch („freak out“, „peace“, „shame“) so zu tun, als solle man hinter der aseptisch durchproduzierten Oberfläche noch nach etwas suchen. Mehr Tiefe verspricht die zweite Single, also das Duett mit Ariana Grande, veröffentlicht am Jahrestag des Anschlags auf ein Konzert von jener. „Rain On Me“ gelingt es allerdings schnell, all die vermutete Brisanz in ein paar bouncende Beats und Wohlgefallen aufzulösen. Superman vs. Batman, Gaga vs. Grande ... am Schluss auch hier die Frage: War da was?
Bezeichnenderweise lässt sich der emotionale Höhepunkt der ganzen Platte sekundengenau ausmachen: bei Minute 2:07 im Stück „Sine From Above“. Der blubbernde Eurobeat-Track wacht kurz auf, wenn Duettpartner Elton John die Stimme erhebt und in den Kitschkramladen der viel zu vielen Producer und Songschreiber ein Moment Wahrhaftigkeit Einzug hält: „When I was young, I felt immortal!“ Na also, da ist doch kurz noch mal Drama. Doch diese Zeilen sind schnell verhallt und die routinierte Pop-Materialschlacht kann weitergehen.
Lady Gaga gibt sich zwar weiterhin den Anschein des grellen Power-Chamäleons, das man so gern in ihr sehen möchte, doch ihre Kunst selbst ist heute einfach bieder. Nun ja, bis zum nächsten „Avengers“-Teil beziehungsweise zur nächsten Gaga-Platte hat man das alles garantiert wieder vergessen – und kann sich dann aufs Neue enttäuschen lassen. So geht die Zeit auch rum, Leute!

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