Mobbing an Moabiter Grundschule: Alptraum eines Lehrers

Der Fall des schwulen Pädagogen, der an einer Moabiter Grundschule homofeindlich gemobbt wurde, schlug große mediale und politische Wellen. Oziel Inácio-Stech fühlt sich dennoch ignoriert und von den zuständigen Stellen schlecht behandelt. Besonders gegen die Bildungssenatorin erhebt er Vorwürfe
Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung machte im Mai die Vorgänge an der Carl-Bolle-Grundschule in Moabit überregional bekannt. Im Nachgang schrieben zahlreiche Medien voneinander ab, dass Schulkinder den Förderlehrer eine „Schande für den Islam“ genannt haben sollen oder ihm zugerufen hätten: „Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef.“ Die Berichte lösten eine heftige Debatte über religiös motivierte Queerfeindlichkeit an Schulen und ihre rechtspopulistische Instrumentalisierung aus.
Bis heute kann der Pädagoge Oziel Inácio-Stech nicht unterrichten. Panikattacken und eine posttraumatische Belastungsstörung haben ihn in den Krankenstand gezwungen. Was ihn krank machte, waren aber vornehmlich seine Schulleitung und die Behörden, die ihn immer wieder schikaniert hätten. „Ich habe so etwas noch nie erlebt“, erzählt der Lehrer im Gespräch mit SIEGESSÄULE.
Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hätte seit Dezember 2024 von dem mutmaßlichen Mobbing wissen können, griff aber nicht persönlich ein. Damals erreichte ein Schreiben des Anwalts von Inácio-Stech ihr Büro. Auf neun Seiten skizzierte dieser, wie sein Mandant vergeblich Hilfe suchte: bei der Schulleitung und der Schulaufsicht Berlin-Mitte. Doch statt ihrem Mitarbeiter den Rücken zu stärken, hätten Vorgesetzte und sogar die Schulaufsicht ihn weiter kleingemacht. Das Schreiben vom 4. Dezember liegt SIEGESSÄULE vor.
Eskaliert sei der Psychoterror im Juni 2024, als eine Kollegin Inácio-Stech bei der Schulleitung meldete: Er habe bei der Vorführung eines Lehrvideos unangemessene Nähe zu zwei Kindern gesucht. Die Schulleitung zeigte Inácio-Stech zwar an, doch zweifelte sie offenbar selbst an der Anschuldigung. Die Anzeige bezog sich nämlich gar nicht auf Missbrauch, sondern auf eine mutmaßliche Verletzung der Fürsorgepflicht im Kontext ganz anderer Situationen. Auch stellte sie Inácio-Stech nicht vom Dienst frei. Die betreffenden Schüler*innen entlasteten den Lehrer sehr deutlich von den Vorwürfen. Kolleg*innen hoben überdies hervor, Inácio-Stech bestärke die Schüler*innen in ihrer körperlichen Selbstbestimmtheit. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein.
Immer wieder habe der Rechtsbeistand von Inácio-Stech Hinweise an den ermittelnden Referatsleiter der Schulaufsicht geschickt, die die Aussagen der Kollegin entkräften sollten. Sie habe Inácio-Stech aus rein persönlichen Gründen angeschwärzt. Doch der Referatsleiter habe den Ursprung der falschen Vorwürfe nie ernsthaft hinterfragt, sondern allein der Lehrerin geglaubt, so der Anwalt.
„Ich wurde an der Schule wie ein Krimineller behandelt.“
Obwohl inzwischen der Tatverdacht gegen Inácio-Stech aus dem Weg geräumt war, weigerte sich der Referatsleiter ihn zu rehabilitieren. Zu SIEGESSÄULE sagt Inácio-Stech: „Ich wurde an der Schule wie ein Krimineller behandelt.“ Im September reichte er Beschwerde im Sinne des Antidiskriminierungsgesetzes (AGG) ein. Sie richtete sich auch gegen den Referatsleiter der Schulaufsicht, der einseitig ermittelt habe. Dann folgte ein unerhörter Vorgang: Die Senatsverwaltung für Bildung betraute mit dem Anliegen genau jenen Referatsleiter als Sachbearbeiter, gegen den sich die Beschwerde richtete.
Mutmaßliche Befangenheit
Bildungssenatorin Günther-Wünsch hätte ihn spätestens dann abziehen können, als der Anwalt sie mit dem Brief vom Dezember auf eine mutmaßliche Befangenheit des Mitarbeiters hinwies. Inzwischen räumte sie ein, das Einschreiben zunächst nicht persönlich gelesen zu haben. Die Beschwerde über die Schulaufsicht blieb beim Referatsleiter. Der wies sie im Januar 2025 ab, ebenso zu einem anderen Zeitpunkt den Antrag von Inácio-Stech auf Versetzung an eine andere Schule.
„Die Beschwerdestellen haben allesamt versagt und mir bei den Mobbing-Vorgängen nicht geholfen.“
„Die Beschwerdestellen haben allesamt versagt und mir bei den Mobbing-Vorgängen nicht geholfen“, so Inácio-Stech. Auch die für Lehrer*innen zuständige Gewerkschaft GEW bemängelt deutschlandweit intransparente Zuständigkeiten bei Beschwerden. „Die Ungewissheit darüber, auf wessen Schreibtisch Beschwerden landen und welche Konsequenzen diese haben könnten, hemmt den Beschwerdeweg. Es ist daher naheliegend, dass viele Diskriminierungen gar nicht gemeldet werden“, so ein Sprecher.
Die queerpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Nyke Slawik, hatte erst kürzlich eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gefordert, weil laut jüngstem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes rund ein Viertel aller Ratsuchenden Diskriminierung durch staatliche Stellen gemeldet hatten. Pikant daran: Das AGG erfasst nicht Vorfälle an Ämtern und Behörden.
Auch wenn die Bildungssenatorin inzwischen ankündigte das „Dickicht“ der Beschwerdestellen lichten zu wollen, hat sie mit ihren jüngsten Versäumnissen die Ungewissheit eher weiter genährt.
Fragwürdige Prüfung
Der Queerbeauftragte des Berliner Senats, Alfonso Pantisano (SPD), solidarisierte sich wiederholt öffentlich mit Inácio-Stech, steht in ständigem Austausch mit dem Lehrer und traf sich zwecks einer Aufarbeitung mit Schulleitung, Elternvertretung und Schulaufsicht der Carl-Bolle-Schule. Er besuchte auch den Bildungsausschuss, als sich die Senatorin Anfang Juni dort Fragen der Fachpolitiker*innen stellte, nachdem sie lange geschwiegen und Presseanfragen abgeblockt hatte.
Im Ausschuss wiederholte sie das Ergebnis der fragwürdigen Prüfung. Eine „homophobe Diskriminierung“ treffe „nicht den Wesenskern“ der Beschwerde. Der Fall sei komplexer, als die Medien (und Pantisano) suggerierten, so Günther-Wünsch. Sie selbst habe geschwiegen, um nicht vorschnell zu urteilen, und lade die Abgeordneten zur Akteneinsicht ein.
„Wozu Kenntnis des gesamten Sachverhaltes meines Erachtens jedenfalls keinen Anlass bietet, sind Verallgemeinerungen und Diffamierungen“ der Carl-Bolle-Schule, erklärte sie. Für spezifische religiös motivierte Konflikte mit muslimischen Kindern gebe es einen eigenen Beauftragten. Auch „von einem Nichtarbeiten der zuständigen Stellen“ könne keine Rede sein, sagte sie.
Wer, wenn nicht die Senatorin, hat versagt, als ihr eigenes Büro die Beschwerde des Lehrers in die Hände des mutmaßlich befangenen Referatsleiters legte?
Das wirft die Frage auf: Wer, wenn nicht die Senatorin, hat versagt, als ihr eigenes Büro die Beschwerde des Lehrers in die Hände des mutmaßlich befangenen Referatsleiters legte? Inácio-Stech meint: „Die Senatorin hätte im Bildungsausschuss den Fehler zugeben können.“
Zur andauernden Diskussion über religiös motivierte Queerfeindlichkeit äußerte sich Günther-Wünsch erst im Ausschuss, und zwar beiläufig. Dabei hätte sie früher die antimuslimischen Aussagen entkräften und Hilfe im Umgang mit Mobbing anbieten können. In ihrer eigenen Partei positionierten sich die Schwulen und Lesben in der Union (LSU) per Facebook-Post Ende Mai deutlich: „Die LSU Deutschlands hat diese Entwicklung nicht zum ersten Mal angesprochen. Schon lange warnen wir vor Parallelgesellschaften und der religiösen Einflussnahme an Schulen.“
Der schwule Bildungsreferent der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee, Tugay Saraç, bezeichnete in einem Interview zu Inácio-Stech Queerfeindlichkeit in muslimischen Communitys als „riesiges Problem“. Er mahnt, dass man sie nicht ignorieren dürfe, nur weil es diese auch in christlichen und jüdischen Kontexten gebe und weil viele Angst hätten, es könnte ihnen als islamfeindliches Verhalten ausgelegt werden.
Zwar gebe es eine „islamisch motivierte Homophobie“, doch Queerfeindlichkeit sei eben kein exklusiv muslimisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Andere Stimmen warnen vor Pauschalisierungen, etwa die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Mitbegründerin des Liberal-Islamischen Bundes, Lamya Kaddor. Sie solidarisiert sich auf Anfrage mit Inácio-Stech und kritisiert eine politische Instrumentalisierung der Vorgänge. Zwar gebe es eine „islamisch motivierte Homophobie“, doch Queerfeindlichkeit sei eben kein exklusiv muslimisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Kaddor schlägt vor: Jugendarbeit müsse Diskursräume über sexuelle Vielfalt schaffen, ohne Menschengruppen unter Generalverdacht zu stellen. Hier könnten Berlins queere Bildungsprogramme helfen. Die stehen allerdings unter Druck, seit der Senat finanzielle Mittel drastisch kürzte. Politische Verantwortung dafür trägt unter anderem: Katharina Günther-Wünsch.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)
Jahresbericht 2024 verfügbar unter: antidiskriminierungsstelle.de
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