Nachbericht

Berlin tanzt Abschied: Tschüss, SchwuZ!

3. Nov. 2025 Annabelle Georgen
Bild: Sergio Andretti
Bis Sonntag um 7 Uhr war der Mainfloor des SchwuZ noch voll

Am 1. November stieg die allerletzte Party im SchwuZ. Nach 48 Jahren schließt Berlins ältester queerer Club seine Pforten. SIEGESSÄULE war dabei

Der Himmel weint an diesem Samstagabend. Unter strömendem Regen pilgern Partygäste gegen 22 Uhr zum letzten Mal entlang der steilen und dunklen Rollbergstraße. In der Eingangshalle des SchwuZ sind große Kartons voller Merch aneinandergereiht: „1 Teil 5 Euro, 5 Teile 20.“ Es gibt T-Shirts aus vergangenen SchwuZ-Ären, Taschen, Feuerzeuge, Fächer, Socken, Kühlschrankmagnete, Quietscheenten … Der Andrang ist groß, jede*r will ein Stück SchwuZ mit nach Hause nehmen. „Wow, lass uns doch Merch machen!“, sagt lachend ein SchwuZ-Mitarbeiter, der am improvisierten Stand pausenlos Geldscheine kassiert – Geld, das das SchwuZ vorher gebraucht hätte, um sich aus der Insolvenz zu retten. Jetzt ist es zu spät. Nach ein paar Stunden wird auch alles restlos ausverkauft sein. So war es auch bei den Eintrittskarten in dieser letzten Clubnacht. Alle Tickets wurden innerhalb weniger Stunden verkauft, als das SchwuZ Ende Oktober zum letzten Tanz einlud.

So voll hat man das SchwuZ seit Langem nicht gesehen, vielleicht auch noch nie seit seinem Einzug 2013 in die 1500 Quadratmeter große Neuköllner Location. Deshalb sind auch alle Dancefloors offen. Im Barbereich sieht es aus wie ein großes Familientreffen: bekannte Gesichter an jeder Ecke, Schwule, Queers und Lesben zwischen 20 und 60, Stammgäste, Newcomer und fühere Partygänger*innen.

„Mein Wohnzimmer macht zu“

Meine Kumpelin Ella, 56 Jahre alt, die ich genau vor zehn Jahren hier auf der Tanzfläche auf meiner allerersten Lesbenparty kennenlernte (auf der inzwischen gestorbenen L-Tunes), ist auch da. Für sie ist die Schließung des SchwuZ eine Katastrophe: „Mein Wohnzimmer macht zu“, sagt sie. Ella war bestimmt „mehr als 300 Mal“ hier zu Gast. Vor der Pandemie ging sie freitags und samstags hier feiern. „Es war immer mein Nachhauseweg, ich blieb auch bis zum Putzlicht“, sagt sie. In den letzten Jahren war sie nicht mehr so intensiv hier tanzen, der Club blieb aber ihr Ankerplatz.

In der Menge gibt es eine Fülle an Dragqueens, noch maximalistischer denn je gekleidet. Sie sind fast alle da, die Queens, die das heutige SchwuZ geprägt haben – sei es an den Decks, auf der Bühne oder einfach nur auf der Tanzfläche: Jacky-Oh Weinhaus, Amy Strong, Lola Rose, Stella Destroy, Kaey, Betty BücKse, Gisela, Foxglove, Anna Klatsche, sowie die Kings und Quings der Dragstreet Boyz und des Rats der Ranzigen …

Bild: Sergio Andretti
Kaey sang natürlich ihr Radiohead-Cover „Creep“

Ewige Pop-Hits

Auf den drei überfüllten Dancefloors laufen die ewigen Pop-Hits, die das Markenzeichen des SchwuZ in all diesen Jahren waren: „Free From Desire“, „What Is Love“, „Toxic“, „Girls Just Wanna Have Fun“, „I Will Survive“, „Lady Marmalade“, „Bad Romance“, „Mamma Mia“, „One More Time“, „Ich liebe das Leben“, „It’s Raining Men“ … Für viele Gäste waren diese Songs auch ein Grund, warum sie nicht mehr ins SchwuZ ausgehen wollten. „Immer dieselbe Musik“, so der Vorwurf. Aber an diesem Abend will keine*r meckern.

Im Klo ist die Luft stickig, die Schlange lang, die Dame Pipi (Toilettenaufsicht) sieht erschöpft aus. Auf ihrem Tischlein steht die gleiche kitschige Trinkgeld-Dose wie immer: ein Arsch mit Geldeinwurf in der Mitte, daneben die altbekannten Deos, Haarsprays und Cremes. Jolanta ist ein Urgestein im SchwuZ, schon in der alten Location am Mehringdamm war sie da. „Das ist schrecklich, so schrecklich, dass ich mir sagen muss, das ist nur eine Pause“, sagt sie. Hier ist es für sie „wie eine Familie“: „Die Leute sind so nett hier. In 15 Jahren gab es nur ein einziges Mal Streit. Man kennt sich, mit Namen. Die Gäste sagen mir, wenn sie traurig sind oder wenn sie Erfolge haben“, so Jolanta.

Finale mit Tschaikowski

Um 1:30 Uhr steigt eine fast zweistündige, flamboyante Dragshow auf die Bühne. Jacky-Oh Weinhaus, die die Partyreihe Buttcocks im SchwuZ hostete, hat Tränen in den Augen. Für sie war der Club ein „Fountain of Inspiration“. Zu „Smells Like Teen Spirit“ wirft sie sich ins Publikum.

Bild: Sergio Andretti
Jacky-Oh Weinhaus beim Stagediving

Anna Klatsche vergleicht das SchwuZ mit einem Parfüm, das „süßlich“, aber auch „nach Schweiß riecht“, und das alle in Erinnerung behalten sollten. Kaey singt selbstverständlich zum x-ten Mal ihr Signature-Cover von „Creep“. Dass sie am Ende des Songs die Worte „I do belong here“ hinzufügt, stimmt traurig. „Ich arbeite seit 20 Jahren in diesem Scheißschuppen. Damals kostete der Eintritt 7 Euro“, erzählt sie, sichtlich berührt, auf der Bühne. „Ein Ende kann nur ein Anfang sein“, sagt sie.

„Wenn es die Möglichkeit gibt, diese Geschichte weiterzuschreiben, wird sie auch weitergeschrieben.“

Ein wenig Hoffnung gibt es auch seitens des SchwuZ-Vorstands, der kurz auf die Bühne kommt: „Wenn es die Möglichkeit gibt, diese Geschichte weiterzuschreiben, wird sie auch weitergeschrieben“, heißt es. Die Shownummern folgen aufeinander, die Hoheiten der Dragszene überraschen mit atemberaubenden Kostümen und Choreografien – zum großen Finale ertönt das tragische Schwanenthema Tschaikowskis. Aus der Menge peitschen Fächerstöße durch die schwüle Luft.

Gegen 5 Uhr sind die Dancefloors immer noch voll, vor allem die „Kathedrale“. Carlos, 29, schwarze Sonnenbrille, hätte beinahe die Party verpasst. Sie war bereits restlos ausverkauft, als er davon erfuhr, aber er hat es geschafft, eine Karte von jemandem abzukaufen. Er kommt hier „mindestens fünfmal pro Jahr“, wohnt derzeit in NRW.

„Meine erste Nacht im SchwuZ war ein Breaking-Point für mich.“

Der aus dem streng katholischem Honduras stammende Schwule hatte vor ein paar Jahren ein Aha-Erlebnis im Club: „Meine erste Nacht im SchwuZ war ein Breaking-Point für mich. Da habe ich zu mir gesagt: ‚Es gibt keine Ausrede, du lebst nun das Leben, das du willst‘“, erzählt er. Heute Nacht will Carlos auf jeden Fall „bis zum Ende“ bleiben.

Amy Strong weint und lächelt

An den Decks beendet die Drag-DJ Amy Strong ihr Set mit Céline Dions „Titanic“-Lied. Alle strecken ihre Handys aus der Tasche. Ein wunderschönes Meer aus Lichtern füllt den Hauptfloor. Die Dragqueen hat ihre imposante blonde Perücke abgenommen, sie weint und lächelt gleichzeitig. Ein junger Mann weint und drückt sein Gesicht an den Bizeps seines Freundes. Der nächste DJ spielt „One More Time“.

Hinterm Tresen des Techno-Dancefloors leeren sich die Kühlschränke. Es ist 6 Uhr, ein Teil der Gäste ist gegangen, an der Garderobe bildet sich eine lange Schlange. Vor dem großen, herzförmigen Cheers-Queers-Neonlicht werden pausenlos Selfies und Gruppenbilder gemacht. Auf dem kleinen Dancefloor wird gefühlt zum dritten Mal des Abends „Lady Marmalade“ gespielt. „Voulez-vous coucher avec …“ – Stop, bitte.

„Es ist wie die Titanic: Hat man einen Eisberg gerammt, geht man runter.“

Für J., Anfang 20, „ein bisschen slutty“ angekleidet, wie er selber sagt, war die Musik „das große Problem“ im SchwuZ, selbst wenn es für ihn persönlich keine Rolle spielte. „Ich informiere mich nicht, ich gehe einfach jeden Freitag und Samstag ins SchwuZ. Und wenn die Musik schlecht ist, dann unterhalte ich mich mit den Leuten.“ Er arbeitet sehr viel unter der Woche, der Club war „ein Ventil“. Er habe das Ende kommen sehen, sagt er: „Vor einem halben Jahr war der Laden leer, es gab meistens ältere Leute, nicht die hübschen Jungs.“ Das SchwuZ hätte man nicht retten können, denkt er: „Es ist wie die Titanic: Hat man einen Eisberg gerammt, geht man runter.“

Bild: Sergio Andretti
Mit einer fast zweistündigen Dragshow verabschiedeten sich Anna Klatsche, Kaey, Lola Rose, Foxglove und die Dragstreet Boyz vom SchwuZ

„SchwuZ war so toll für alle zusammen“

Um 7 Uhr ist der Club noch halb voll. Auf der Haupttanzfläche küssen sich schwule Paare. „Free From Desire“ ertönt zum x-ten Mal. Draußen gibt es das typische dreckig graue Licht des Berliner Winterhimmels. Am Ausgang des Clubs, neben dem Trottoir, brennen Grablichter. Auf einem herzförmigen Karton mit Lametta steht: „Berlin stirbt aus.“ Daneben hat jemand geschrieben: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende. Bis bald, SchwuZ.“

Um 10 Uhr schreibt mir Ella: „Also, Anna Klatsche hat noch das Closing-Set gerockt, und dann gab’s noch drei Lieder, und das letzte Lied war ‚Ich liebe das Leben‘. Viele haben geheult, wir lagen uns in den Armen. Bin völlig erledigt. Dann gab’s aber noch mal Musik, aber da bin ich weg. Wo treffe ich denn all die Jungs wieder? SchwuZ war so toll für alle zusammen, jetzt wieder lesbisch dümpeln.“

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Update 3. Nov. 2025

Korrektur zu den Dancefloors: Alle Floors waren auch vor der letzten Party häufig geöffnet.

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