Neue Männlichkeiten im Deutschrap: Softboys statt Macker

Deutschrap ist hart, männlich und vor allem hetero – so will es das Klischee. Gestimmt hat das noch nie. Das vorherrschende Männlichkeitsbild hat sich gewandelt: Harte Macker werden von verletzlichen Softboys abgelöst. Offen schwule und queere Männer sind trotzdem noch die Ausnahme. SIEGESSÄULE hat mit zwei erfolgreichen schwulen Berliner Künstlern über ihre Erfahrungen gesprochen
Februar im SchwuZ: Menschen tanzen in knappen Baby Tees und tief sitzenden Jeans zu Trance-Sounds. Wer den 2000er-Look perfektionieren will, klebt sich spontan ein Wassertattoo oder lässt Glitzersteine – Tooth Gems – am Zahn anbringen. Die Initiator*innen der Vroom-Vroom-Party haben an alles gedacht. Mit der Y2k-Ästhetik sprechen sie vor allem junge Queers an.
„Ich will nur ihm gehören, weil er hat mich angeleckt.“
Kurz nach Mitternacht betritt der Berliner Musiker Petermann die Bühne und rappt: „Ich will nur ihm gehören, weil er hat mich angeleckt.“ Die Menge johlt. Petermann gehört zu den wenigen offen schwulen Rappern hierzulande. Musikalisch verortet er sich im New-Wave-Deutschrap, eine Strömung, die sich vom klassischen Straßenrap unterscheidet: melodischer, persönlicher. Im Mittelpunkt stehen Freundschaft, Rausch oder auch Liebeskummer – bislang meist erzählt von heterosexuellen Männern. Nun liefert Petermann die schwule Antwort, selbstbewusst und proud.
Besonders ein Moment aus dem SchwuZ sei ihm in Erinnerung geblieben, sagt Petermann im SIEGESSÄULE-Interview: „Direkt vor dem Auftritt stand ich mit den Dragqueens hinter der Bühne, wir haben zusammen zu den letzten Songs des DJs getanzt.“ Im SchwuZ aufzutreten habe sich wie zu Hause angefühlt, sagt er.
Trashige 2010er-Vibes
Petermanns Ambitionen reichen allerdings über die queere Community hinaus. Schwule würden in der deutschen Kulturlandschaft zwar oft als „lustig“ oder sogar „cool“ gefeiert, meint Petermann – in den Inhalten von Songs seien sie aber kaum vertreten.
„Mit meiner Musik möchte ich vor allem den Mainstream erreichen und uns den Platz in der Musikszene schaffen, den wir verdienen.“
„Mit meiner Musik möchte ich vor allem den Mainstream erreichen und uns den Platz in der Musikszene schaffen, den wir verdienen“, sagt er. Der Drang nach chartfähiger Präsenz bedeutet aber keine Anbiederung. In Songs wie „Bademeister“ setzt Petermann sich ironisch mit dem vorherrschenden Männlichkeitsbild auseinander: „Ich flirte dann mit Typen, als wäre ich der krasseste selbstbewusste Macker oder parodiere Heten und ihre Gangsta-Rap-Klischees.“ Auch ästhetisch spielt er mit Rollenbildern. Als Teil der Gen Z liebt Petermann den trashigen Vibe der 2010er. Inspirationsquelle seien unter anderem seine ungarischen Wurzeln und schmierige Rapper-Typen aus dem ungarischen Musikfernsehen jener Zeit: „Ich parodiere diese Figuren in meiner Musik.“
Kurzer Rückblick: Rap hat in Deutschland eine lange Geschichte. Inspiriert vom US-amerikanischen Hip-Hop kam das Genre in den 1980ern ins Land, lange Zeit blieb es im Underground, oft als Stimme gegen rassistische Diskriminierung. Heute dominiert Deutschrap die Charts – ohne nennenswerte schwule Repräsentation. Auch Rapper Kristof* findet: „Im Deutschrap haben cis Heteromänner immer noch den größten Anteil.“ Das müsse sich ändern.
Mit den Storys erfolgreicher Rapper konnte Kristof* sich nie identifizieren. Trotzdem begann er schon früh mit Rapmusik und produzierte Beats – sein eigenes Schwulsein blieb dabei lange außen vor. „Mein Umfeld war sehr straight, das hat mich beeinflusst“, erklärt er gegenüber SIEGESSÄULE. Erst seit dem Umzug aus Hilden in NRW nach Berlin habe er sich besser gefühlt mit seiner Sexualität und dann auch mit schwulem Rap begonnen. Sein Schwulsein ist dabei nicht nur Thema in Songs wie „Böser Junge“, auch auf der Bühne spricht Kristof* Queerness gezielt an. Beim Publikum komme das gut an, meint er, auch außerhalb von Community-Konzerten.

Schwule Identitäten sichtbar machen
Petermann, Kristof* oder auch ein weiterer Berliner Künstler wie Baran Kok stehen für eine neue Bewegung im Rap: Sie machen schwule Identitäten sichtbar und schaffen Identifikationsfläche. Den Weg dafür geebnet haben internationale Stars wie der US-Rapper Lil Nas X, der sich 2019 als schwul outete. Auch für Petermann war dessen Erfolg in den USA eine Inspiration: „Wenn das dort funktioniert, warum sollte es hier nicht auch klappen?“ Eine echte spürbare Community sieht Petermann hierzulande allerdings nicht: „Jeder will irgendwie der Erste sein, der richtig durchbricht – der erste erfolgreiche schwule Rapper in Deutschland.“
Aktuell startet Baran Kok mit eingängigen Sounds etwa zu seinem Song „Herr Officer“ auf TikTok durch. Die Plattform ist zu einem wichtigen Hebel für queere Sichtbarkeit geworden. TikTok ermöglicht schnelle Reichweite ohne Label. Dass Managements bei Signings auch nach TikTok-Zahlen gehen, erhöht aber den Druck auf die Artists. Kristof* erklärt dazu: „Ich mache lieber Musik, als sie zu promoten.“ Er sei okay damit, wenn es langsam laufe. Beim ständigen Vergleichen mit anderen Artists auf Social Media würde man nur verbittern. Man kann jedenfalls festhalten: Schwule Rapper werden gerade (endlich!) sichtbarer. Sie werden vom Publikum gefeiert. In der Industrie muss sich aber trotzdem noch viel bewegen.
„Für mich wäre Deutschland dann queerfreundlich, wenn ein queerer Artist einen richtigen Banger landet – der von der Deutschrap-Masse gefeiert wird.“
Petermann erklärt: „Für mich wäre Deutschland dann wirklich queerfreundlich, wenn es ganz normal wäre, dass auch mal ein queerer Artist einen richtigen Banger landet – und der dann auch von der Deutschrap-Masse gefeiert wird.“ Eines ist klar: Die Banger sind längst geschrieben. Kristof* etwa released am 2. August den Sommersong „on my shit“. Petermann geht am 4. Juli mit seiner neuen Single „Mischkonsum“ an den Start.
Aneignung queerer Kultur
Ein weiteres schwieriges Thema in der Deutschrap-Szene sei die Aneignung queerer Kultur durch Hetero-Artists. Mit soften Gute-Laune-Rap-Crews wie „01099“ hat sich seit spätestens 2020 die Stimmung in der Mainstream-Szene verändert. Viele heterosexuelle Rapper setzen sich seither aktiv mit ihrer Männlichkeit auseinander. Dabei spielen manche sogar mit queeren Codes, lackieren sich die Nägel oder treten im Crop-Top auf. „Aber oft steckt da keine echte Queerness dahinter, sondern eher so eine kalkulierte Offenheit oder Ambivalenz“, findet Petermann. Und auch für Kristof* fehlt bei vielen seiner heterosexuellen Kollegen ein echter Shout-out an die queere Community.
Seitens der Labels, aber auch vonseiten anderer Künstler muss sich also trotz aller Fortschritte noch einiges tun – das schmälert aber nicht die momentane Motivation der drei hier von uns interviewten Artists. „Wenn einer von uns viral geht – so richtig viral! –, dann wird man nicht mehr an uns vorbeikommen“, sagt Petermann. Man darf die Entwicklung also gespannt weiterverfolgen.
Folge uns auf Instagram
#Baran Kok#Deutschrap#Identität#Kristof*#Macker#Musik#Männlichkeit#Neue Männlichkeiten#Petermann#Queere Männlichkeit#Schwul#Softboys