Kommentar

Sexkaufverbot: Wenn Moral wichtiger ist als Menschenrechte

14. Okt. 2025 Jeff Mannes
Bild: picture alliance / IPON | Stefan Boness
Demo zum Internationalen Hurentag in Berlin. Der rote Regenschirm ist ein Symbol für Sexarbeit

CDU und CSU wollen Sexkauf nach dem Nordischen Modell verbieten und das im Koalitionsvertrag mit der SPD verankern. Das gelang bisher nicht, doch zeigen die Debatten: Rechte von Sexarbeitenden werden mit Moralismus statt Fakten diskutiert. Sexualpädagoge Jeff Mannes kommentiert

Wenn diesen Monat das Pornfilmfestival zum 20. Mal eröffnet, feiert es Fantasie, Lust und Vielfalt. Gleichzeitig geht in Europa mit dem Nordischen Modell an manchen Orten die Diskussion in die entgegengesetzte Richtung. Was einst von einigen Radikalfeminist*innen sowie (Erz-)Konservativen als „Fortschritt“ für Frauen verkauft wurde, ist in Wahrheit eine Katastrophe! Das Nordische Modell ist eine Form der Abschaffung der Sexarbeit. Bestraft werden nicht Menschen, die Sex verkaufen, sondern deren Kund*innen. Verfechter*innen dieses Modells behaupten, es gehe um den „Schutz”, ja sogar die „Rettung” der „armen Frauen in der Prostitution”. Zudem soll es Menschenhandel bekämpfen.

Anstieg von Gewalt

Doch in Studien aus Ländern wie Kanada oder Irland, die das Nordische Modell eingeführt haben, zeigt sich klar: Es ist nicht nur wirkungslos, sondern verschärft die Situation. Empirische Daten belegen, dass die Kriminalisierung von Kund*innen die Sexarbeit in den Untergrund drängt – mit gravierenden Folgen für Sexworker in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Gesundheit. So sinken die Möglichkeiten, Kund*innen im Vorfeld einzuschätzen oder riskante Praktiken wie Sex ohne Kondom abzulehnen. Das Ergebnis sind ein Anstieg körperlicher und sexualisierter Gewalt sowie erhöhte Risiken für HIV und andere STIs.

Empirische Daten belegen, dass die Kriminalisierung von Kund*innen die Sexarbeit in den Untergrund drängt.

Vergangenes Jahr unterhielt ich mich dazu mit Angela Jones, Professor*in an der State University of New York. Jones betonte, dass diese Gesetze gezielt marginalisierte Menschen betrafen und Ungleichheiten verstärkten. Jones bezeichnete die Kriminalisierung der Sexarbeit als Teil eines anhaltenden Krieges gegen die Armen: Gesetze aus den USA (FOSTA: „Fight Online Sex Trafficking Act“ und SESTA: „Stop Enabling Sex Traffickers Act“) haben dazu geführt, dass weltweit Konten von Sexarbeitenden eingefroren oder gekündigt werden. Plattformen wie Mastercard, PayPal oder Cash App weigern sich, ihre Zahlungen zu bearbeiten. Das treibt Sexarbeitende immer tiefer in finanzielle Unsicherheiten.

Kürzlich sprach ich mit einem Freund darüber: Wíner Ramírez Díaz ist Soziologe und Sozialarbeiter in Paris, wo ebenfalls das Nordische Modell herrscht. Er meinte: „Sexarbeit berührt unsere Vorstellung von Sex. Ist Sex unterdrückerisch? Oder ist er ein Raum der Freiheit und des persönlichen Ausdrucks? Diese Debatte ist mit heterosexuellen Normen verbunden: Warum muss Sex existieren? In welchem Kontext muss er existieren? Der Staat entscheidet, welche Berufe ‚würdig‘ sind, anerkannt zu werden, und welche unsichtbar bleiben müssen.” Diese Debatte sei nicht neutral. Sie ist mit dem historischen Willen verbunden, Körper zu kontrollieren: von Frauen, BIPoC und LGBTIQ*.

„Der Staat entscheidet, welche Berufe ‚würdig‘ sind, anerkannt zu werden, und welche unsichtbar bleiben müssen.“

In Schweden wurde das Nordische Modell jüngst auf Online-Dienste ausgeweitet: Strafbar machen sich Kund*innen nun auch, wenn es um virtuelle statt physische sexuelle Handlungen geht. Auch in Deutschland gibt es Stimmen, die diese Praxis fordern.

CSU-Politikerin Dorothee Bär stellt gern Zusammenhänge zwischen Sex­arbeit und Kindesmissbrauch her und erklärt, Selbstbestimmung bei der Sexarbeit sei „eine absolute Mär“. Einer Sexarbeiterin in einer Talkshow warf sie letztes Jahr vor, von „der Lobby“ bezahlt zu sein, weil diese sich ehrenamtlich (!) als Aktivistin für die Rechte von Sexarbeitenden engagiert. Na, vielen Dank auch für den Respekt!

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