Künstlerin River Roux im Interview

Intervention im Glaskasten: River Roux gegen das Zweigeschlechtersystem

12. Juni 2025 Lara Hansen
Bild: Fotonoid
„Juice“ von und mit River Roux bei der Premiere in Berliner

Das Solostück „Juice“ ist eine autobiografische Performance über das Leben in einem intergeschlechtlichen Körper von Künstlerin River Roux. Dabei behandelt sie die Themen Begehren, Fetischisierung, (medizinische) Gewalt und Gender-Identitäten. SIEGESSÄULE-Redakteur*in Lara Hansen traf River Roux zum Interview

Ein durchsichtiger Glaskasten, in der Mitte ein Luftreifen. Drinnen: River Roux im Bodysuit, mit gelber Gummijacke und medizinischen Latexhandschuhen. Ihr Blick trifft das Publikum durch die Scheibe. Der erste Akt beginnt mit Prosa und Poesie. Zwischen den Texten rhythmische, elektronische Musik und akrobatische, sinnliche Pirouetten am Reifen.

River, wie kamst du zum Theater? Eher zufällig! Ich war Teil des Berliner Strippers Collective, das waren meine ersten Bühnenerfahrungen als Pole-Tänzerin. Pole tanze ich schon seit etwa zehn Jahren. Später spielte ich in „Happy Nights“ von Lola Arias am Theater Bremen – das war mein Einstieg ins Theater. Dort lernte ich auch Bibiana Mendes kennen, mit der ich später „Juice“ entwickelte.

Was gefällt dir an Pole Dance? Es ist ein sehr körperbetonter Tanz, kraftvoll und zugleich weich. Diese Ambivalenz fasziniert mich. Zudem hatte es eine persönliche Verbindung: Ich war zwölf Jahre lang in der Sexarbeit, da war Pole Dance eine Bewegungssprache, die mir vertraut war.

„Da war diese Koexistenz: ein Begehren, das ich seitens des Publikums verspürte, und gleichzeitig das Bedürfnis, einen Ekel gegenüber meinem Körper zu inszenieren.“

Wie entstand die Idee zu „Juice“? Ich hatte lange als Escort gearbeitet, und später auch in Stripclubs. Dort spürte ich eine starke Spannung: Mein geschlechtsuntypischer Körper löste gleichzeitig Begehren und Irritation aus. Im Escort war das anders. Ich konnte mich vorher online präsentieren – die Leute wussten, worauf sie sich einließen. Im Club dagegen war mein Körper eine „Störung“ in einem Raum, der von heterosexueller Inszenierung lebt. Da war diese Koexistenz: ein Begehren, das ich seitens des Publikums verspürte, und gleichzeitig das Bedürfnis, einen gewissen Ekel gegenüber meinem Körper zu inszenieren, um ihre Heterosexualität zu bestätigen. Ich wollte verstehen, woher das kulturell und historisch kommt, was dieses Nebeneinander von Lust und Abscheu auslöst, das geschlechtsuntypischen Körpern auferlegt wird, und wie es sich auswirkt. Diese Art von Fetischisierung ist in der Sexindustrie sehr ausgeprägt. Daher ist sie eine geeignete Spielwiese, um diese Dynamiken zu erforschen.

Du trittst unter dem Namen River Roux auf – steckt da mehr dahinter? Das war ursprünglich mein Escort-Alias. Ich wollte etwas, das sexy klingt, viel mehr steckt da nicht hinter. (lacht) „Roux“ ist ein Wortspiel – auf Französisch bedeutet es „rothaarig“, was damals zu meinen roten Haaren passte. Als ich später Theater machte, habe ich den Namen einfach übernommen.

In der Performance sitzt du in einem Glaskasten. Was bedeutet dieser Raum? Er verweist einerseits auf Orte der Sexarbeit, etwa Flip-Stages in Stripclubs, ist aber auch symbolisch für historische Ausstellungen geschlechtsdiverser Menschen – sei es zur Unterhaltung oder für medizinische Studien. Die Teilnahme an Menschenausstellungen war für inter* und gender-nonconforming Personen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren, einer der wenigen Wege, Geld zu verdienen. Wir wollten einen künstlichen Raum schaffen, der auf diese Kontexte verweist. Gleichzeitig entsteht eine intensive Blickbeziehung mit dem Publikum, durch die Scheibe ist da aber auch die nötige Distanz.

Bild: Fotonoid
River Roux setzt den „Saft“ – metaphorisch für Steroide, Hormone und Körperflüssigkeiten – in Szene
„Immer gibt es diesen einen Moment, in dem zum ersten Mal gelacht wird – eine Art kollektives Aufatmen.“

Die Blicke des Publikums spielen in deinem Stück eine große Rolle. Wie nimmst du die Reaktionen wahr? Das Publikum reagiert sehr unterschiedlich. Aber immer gibt es diesen einen Moment, in dem zum ersten Mal gelacht wird – eine Art kollektives Aufatmen. Wir brauchen diese Momente des Humors, sonst wird es einfach zu düster. Es kommt auch drauf an, welche Leute im Publikum sitzen. Wenn queere Menschen in der ersten Reihe sitzen, entstehen oft Blicke der Komplizenschaft, ein Wiedererkennen, wie ein Lächeln nach dem Motto: „Oh, ich war schon mal hier!“ oder „Oh, das wurde mir auch schon mal gesagt.“ Bei anderen sehe ich dagegen Irritation, sogar Überforderung, wenn es etwas ganz Neues offenbart. Da kann man im Gesicht ablesen, wie sie eine ganze Palette von Gefühlen durchlaufen.

Warum heißt die Performance „Juice“? Ich suchte einen Begriff mit Bezügen zur Sexarbeit – man sagt, jemand ist „juicy“ oder hat den „juice“. Später fand ich heraus, dass „juice“ im Bodybuilding auch Slang für Steroide ist, also für körperverändernde Substanzen. In einer Szene schleudere ich den „Saft“ – metaphorisch für Steroide, Hormone, Körperflüssigkeiten – gegen die Scheibe in Richtung Publikum. Es konfrontiert: Hier, bitte schön, und was wäre, wenn du es in dir hättest? Was wäre, wenn sich dein Körper verändern würde? Was wäre daran so schlimm?

River Roux: „Juice“
14.+15.06., 20:00
Roter Salon
Volksbühne am Roxa-Luxemburg-Platz

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