Neuer Roman

Poetisches Gesellschaftsporträt: „Der Kaiser der Freude“ von Ocean Vuong

21. Juli 2025 Christian Lütjens
Bild: Gioncarlo Valentine
Der vietnamesisch-US-amerikanische Essayist, Lyriker und Romancier Ocean Vuong

In Ocean Vuongs zweitem Roman „Der Kaiser der Freude“ beschreibt der 36-jährige Star-Autor wieder den Überlebenskampf eines queeren Außenseiters in der US-Konsumgesellschaft. Kann er dem Erfolgsdebüt „Auf Erden sind wir kurz grandios“ das Wasser reichen?

Es ist quasi unmöglich, über „Der Kaiser der Freude“ zu sprechen, ohne den Vergleich mit „Auf Erden sind wir kurz grandios“ zu bemühen, Vuongs Debütroman, der das Buchjahr 2019 vergoldete und die LGBTIQ*-Community mit seiner großartigen Symbiose aus Poesie, Intersektionalität und queerer Sensibilität verzückte. Als der Autor danach verlauten ließ, er wolle sich fortan wieder auf seine Stammgebiete Poesie und Essay konzentrieren, fürchteten viele, es würde keinen weiteren Vuong-Roman geben. Umso größer war die Spannung, als jetzt „Der Kaiser der Freude“ herauskam.

Vuong erzählt darin die Geschichte von Hai, wie „Little Dog“ im Vorgänger ein Alter Ego des Autors. Die Geschichte beginnt damit, dass der tablettensüchtige und perspektivlose 19-Jährige sich von einer Brücke seiner Heimatstadt East Gladness, Connecticut, in den Tod stürzen will. Doch unter der Brücke lebt eine rüstige 81-Jährige namens Grazina, die Hai vom Springen abhält und dazu bringt, bei ihr einzuziehen – als Ersatz für ihre Pflegerin, die gekündigt hat. Hai sieht darin eine Fügung, eine zweite Chance.

Augenblicke der Menschlichkeit

Er lässt sich auf das Zusammenleben mit der dementen Grazina ein und nimmt einen Job im Home Market an, einem Fast-Food-Restaurant, wo neben seinem autistischen Cousin Sony, der Aluhutträgerin Maureen, dem blauhaarigen Nerd Russki und Grillmeister Wayne die lesbische Hobby-Wrestlerin BJ als Geschäftsführerin das Zepter schwingt. Die kleine Zweckgemeinschaft lässt Hai den täglichen Überlebenskampf in der Konsumgesellschaft der USA aus neuen Blickwinkeln erleben. Sie beschert ihm auch unverhoffte Augenblicke der Wärme und Menschlichkeit innerhalb jenes Krieges, als den er seinen von Lügen und Ängsten überschatteten Alltag empfindet.

Diversität spielt im neuen Vuong-Roman eine große Rolle, aber die zärtliche Erotik der schwulen Sexszenen des Vorgängerromans fehlt. Erst in Kapitel 19 hat Hai zum ersten und einzigen Mal im Buch Sex. Diese Sequenz dient der Vorbereitung eines Offenbarungsdialogs, in dem Hai Grazina von seiner großen Liebe Noah erzählt, der an einer Überdosis gestorben ist. Die Rückblenden in die Zeit mit Noah erinnern stark an die Tabakplantagen-Szenarien aus „Auf Erden sind wir kurz grandios“.

Diversität spielt im neuen Vuong-Roman eine große Rolle, aber die zärtliche Erotik der schwulen Sexszenen des Vorgängerromans fehlt.

Trotzdem ist „Der Kaiser der Freuden“ kein Neuaufguss oder Sequel von Vuongs Debüt. War Letzteres ein 270-seitiges, radikal persönliches Geständnis, ist „Der Kaiser der Freude“ ein 520-seitiges poetisches Gesellschaftsporträt aus Sicht von Menschen, die in prekären Verhältnissen leben und arbeiten. Vuongs Autobiografie als Sohn einer vietnamesischen Einwanderin spiegelt sich darin ebenso wider wie Popkultur, Literaturgeschichte, Welthistorie und Zeitgeist. Zusammengehalten wird all das durch Vuongs assoziationsreiche Sprache. Bezüglich Letzterer verdient das Übersetzungsteam Anne-Kristin Mittag und Nikolaus Stingl ausdrückliches Lob.

Wo die arg flache deutsche Fassung des Originaltitels („The Emperor of Gladness“) die Bezugnahme zum Schauplatz durch ein eindimensionales Harmonieversprechen ersetzt, findet der Haupttext beeindruckende deutsche Entsprechungen für Vuongs poesiegesättigte Sprache.

Ocean Vuong: „Der Kaiser der Freude“
(a. d. Engl. v. Nikolaus Stingl und Anne-Kristin Mittag),
Hanser, 528 Seiten, 27 Euro

Bild: Hanser Verlag

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