PostOstCafé: Oft übersehene postmigrantische Literatur im Rampenlicht

Zum zweiten Mal findet im Studio Я des Maxim Gorki Theaters das PostOstCafé statt. Die Veranstaltungsreihe öffnet in Lesungen und Gesprächen den Raum für literarische Stimmen aus osteuropäischen und postsowjetischen Kontexten. Queere Perspektiven sind durchgehend in das Konzept eingewebt. Die Auftaktveranstaltung unter dem Titel „Elite & Extravaganz“ findet am 28. September statt
Innerhalb postmigrantischer Diskurse sind Menschen mit osteuropäischer oder postsowjetischer Migrationsgeschichte oft unsichtbar. Sie werden als privilegiert und unauffällig wahrgenommen, teilweise als „Vorzeige-Minderheiten“ oder sogar als Teil einer Elite. Das nimmt das PostOstCafé zum Ausgangspunkt, um den Fragen nachzugehen: „Wie spielen Un/Sichtbarkeiten in die Vorstellung von Elite und Extravaganz hinein, und welche Herausforderungen erzeugen sie im postmigrantischen Diskurs insgesamt? Welche literarischen Wege gibt es, die vielfältigen Ebenen von Privileg und Anpassung auszuloten?“
Die Veranstaltungsreihe wird zum zweiten Mal realisiert und gliedert sich in fünf Events. Die Auftaktveranstaltung unter dem Titel „Elite & Extravaganz“ findet am 28. September ab 16:00 im Studio Я des Maxim Gorki Theaters statt. Strukturiert ist das Event als eine Mischung aus Lesung, Diskussion und Erzählcafé: Die Autor*innen lesen aus ihren Texten und diskutieren über die genannten Fragen sowie „mögliche literarische Strategien, um Hierarchien, Unterdrückung und Anpassung zu beleuchten“ – auch das Publikum wird einbezogen.
Mit von der Partie ist die ukrainische Schriftstellerin und Drehbuchautorin Anna Melikova. Sie veröffentlichte 2024 ihren autofiktionalen Debütroman „Ich ertrinke in einem fliehenden See“ über die Herausforderungen einer queeren Liebe vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Elina Penner ist ebenfalls Teil des Programms. Sie schrieb 2022 in ihrem Debütroman „Nachtbeeren“ über ein junges Mädchen, das als Russlanddeutsche nach Minden kommt und Schwierigkeiten hat, in Deutschland Fuß zu fassen. Elli Edich wird das Gespräch moderieren und inhaltlich einordnen. Sie ist Journalistin und auch als Content-Creatorin bekannt, insbesondere für ihre humorvoll überspitzten Videos über Ostblock-Identität.
Im Raum des Studio Я werden Stühle und Tische stehen, auf denen Sonnenblumenkerne und Notizzettel vorbereitet sind. Gäste sind eingeladen, aufzuschreiben, was sie mit dem Begriff „PostOst“ assoziieren; diese Notizen werden später im Gespräch aufgegriffen.
Jenseits von Fremdzuschreibungen
Was heißt PostOst? „Den Begriff schlugen 2019 Juri Wasenmüller und Sergej Prokopkin vor. Wir, das X3-Kollektiv, waren bei dem ersten Treffen in Berlin dabei, bei dem sich Menschen aus postsozialistischen Kontexten dazu austauschten“, erzählt Kuratorin Ani Menua im Gespräch mit SIEGESSÄULE. Sie ist Autorin, Lyrikerin, hostet den „X3podcast“ über PostOst-Themen und kuratiert die Veranstaltungsreihe gemeinsam mit der Autorin Alisha Gamisch.
Hilfreich am Begriff PostOst ist vor allem, dass er ermöglicht, gemeinsame Erfahrungen mit Antislawismus und als migrantisierte Menschen jenseits nationaler Grenzen und Fremdzuschreibungen zu thematisieren. „Die Idee war, innerhalb postmigrantischer Diskurse Sichtbarkeit zu schaffen, denn Menschen aus dem postsowjetischen, postsozialistischen Raum wurden in den Medien meist pauschal als Russ*innen bezeichnet. Der Begriff ist ein Werkzeug dagegen“, erklärt Ani Menua.
„Der PostOst-Kontext ist divers, und diese Diversität ist innerhalb des Literaturbetriebs wenig sichtbar.“
Im Zentrum der Veranstaltung steht die Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb, seinen Normen und Ausschlüssen. „Der PostOst-Kontext ist divers, und diese Diversität ist innerhalb des Literaturbetriebs wenig sichtbar“, so Ani Menua. Deshalb haben die Veranstalter*innen vor allem Schriftsteller*innen mit „diversen Mehrfachzugehörigkeiten in ihrer Migrationsgeschichte oder Biografie“ ausgewählt. Dazu zählen auch queere Perspektiven, die selbstverständlich zum Line-up, Orga-Team und zur inhaltlichen Auseinandersetzung gehören. Statt die Veranstaltung mit „Queerness zu würzen“, ziehen sich queere Perspektiven, wie auch andere Diversitätsmerkmale, durch das gesamte Konzept. „Das ist unser Vorgehen, sozusagen transdisziplinäres Arbeiten, auch mit Perspektiven zwischen verschiedenen gesellschaftskritischen Positionen.“
Ebenso achten die Organisator*innen darauf, eine Mischung aus etablierten und weniger etablierten Autor*innen einzubeziehen. Das PostOstCafé stellt damit die Frage, wessen Geschichten für den Literaturbetrieb in Deutschland als erzählenswert gelten und warum literarische PostOst-Stimmen so rar sind. „Das liegt nicht unbedingt daran, dass es diese Autor*innen nicht gibt, sondern daran, dass das Interesse nicht da ist“, so Ani Menua. „Aber wo kein Wissen ist, ist auch kein Interesse.“
„Wo kein Wissen ist, ist auch kein Interesse.“
Die nächste Ausgabe der Veranstaltungsreihe ist im November. Dann wird es um PostOst und Rassismusdiskurse gehen. Vika Sarangova, Necati Öziri und Djamila Tschastuchin werden beleuchten, weshalb PostOst meist mit weißen Menschen assoziiert wird. Dieser Vorannahme stellen sie die tatsächliche Diversität der Gruppe entgegen, deren Herkunftsgebiet von Ost- über Südosteuropa bis Zentralasien reicht. Sie werden diskutieren, wie Antislawismus und Rassismus zusammenhängen und fragen, wie Solidarität zwischen verschiedenen migrantischen Gruppen – im Literaturbetrieb und darüber hinaus – gestärkt werden kann.
PostOstCafé
Elite & Extravaganz,
28.09., 16:00,
Allies & Alltag,
22.11.,
Studio Я
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