Bericht vom neunten Verhandlungstag

Prozess gegen HIV-Arzt: Hausdurchsuchung bei SIEGESSÄULE

4. Juni 2021 Sascha Suden
Bild: Sascha Suden
Verhandlungsraum im Amtsgericht Tiergarten

Im Prozess gegen eine Berliner HIV-Arzt wegen mutmaßlichem sexuellen Missbrauch beanstandete der Richter am neunten Verhandlungstag die Art und Weise wie die Verteidigung den Zeugen befragte. Dabei ging es auch um eine Kleinanzeige in der SIEGESSÄULE

Seit neun Prozesstagen hat die Verteidigung im Gerichtssaal 501 ein Ziel im Prozess gegen den angeklagten HIV-Arzt, den fünf Patient*innen angezeigt haben, weil sie ihm sexuellen Missbrauch vorwerfen: die Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeugen, den mutmaßlichen Opfern. Wer gedacht hatte, dass es bei einem Gerichtsprozess ausschließlich um Wahrheitsfindung ginge, ist in diesem Fall eines besseren belehrt worden. Verteidiger Johannes Eisenberg scheint vor allem darauf bedacht zu sein, die Zeugen zu verunsichern und vorzuführen. Selbst Richter Rüdiger Kleingünther wurde es am Donnerstag, den 03.06., bei der weiteren Befragung des Zeugen Lars (Name von der Redaktion geändert) zu bunt: „Sie unterstellen bei allem was der Zeuge sagt, dass es bösartig ist“, wurde er laut und versuchte Eisenberg zur Ordnung zu rufen.

Zeugen lassen sich nicht provozieren

Doch obwohl er die „die Art und Weise“, wie Eisenberg die Zeugen anging, beanstandete und meinte, „ich weiß, das machen sie gerne, aber es ist nicht gemäß der Prozessordnung“, ließ er sie dennoch durchgehen. Es gab kein Ordnungsgeld für ungebührliches Verhalten oder sonstige Maßnahmen. So konnte der Verteidiger die Zeugen immer wieder mit den gleichen Fragen im Stakkatorhythmus bombardieren. Zum Beispiel zur Krankengeschichte der Zeugen und scheinbaren Unstimmigkeiten in ihrer Darstellung der mutmaßlichen Missbrauchssituationen. Dabei schienen ihn die Antworten nicht zu interessieren. Eher machten die Fragen den Eindruck, dass sie die Zeugen in einem schlechten Licht darstellen sollten. Doch die während des Prozesses vernommen Zeugen Lars und Martin (Namen von der Redaktion geändert) ließen sich nicht provozieren oder aus der Ruhe bringen.

So nahm Zeuge Lars es gelassen hin, als der Verteidiger gebetsmühlenartig immer wieder dessen Sexualkrankheiten ansprach. Auch als er nach seinem Drogengebrauch gefragt wurde, konterte er mit der Bemerkung, dass er dem angeklagten Arzt im Vertrauen erzählt habe, dass er bestimmte Substanzen konsumiere „und nicht gedacht habe, dass es gegen mich verwendet wird.“ Der Zeuge betonte, dass er „nie drogenabhängig war." Und er fügte hinzu: „Ich bin Akademiker. Ich brauche meinen Kopf“. Mit dem Zeugen Lars sagte heute das letzte mutmaßliche Opfer des Angeklagten vor Gericht aus.

Die vor Gericht noch nicht gehörte Zeugin, Frau G., die den Arzt wegen mutmaßlichen Missbrauchs angezeigt hatte, wird voraussichtlich nicht aussagen müssen. Ihr Gesundheitszustand lasse eine Befragung nicht zu und laut dem Gutachten einer Psychologin, die die Vernehmungsfähigkeit der Zeugin überprüfte, kann aufgrund der Belastung des Prozesses auch ein Suizid nicht ausgeschlossen werden. Ob ihre Aussage bei der Ärztekammer zu dem mutmasslichen Missbrauch verlesen wird, wurde noch nicht entschieden.

Kleinanzeige in der SIEGESSÄULE

Zeuge Lars wurde am Donnerstag auch zu einer von ihm aufgegebene Kleinanzeige in der SIEGESSÄULE befragt, in der er nach weiteren mutmaßlichen Opfern des Angeklagten gesucht hatte. Eisenberg versuchte, ein Komplott des Zeugen gegen den Angeklagten zu beweisen, gleichwohl das Wort "Komplott" an diesem Verhandlungstag nicht fiel. Er redete davon, dass Lars behauptet habe, das Lebenswerk des Angeklagten zerstören zu wollen. Lars erwiderte: „Das hört sich total schräg an und ich wüsste nicht, warum ich das gesagt haben sollte“. Er habe auch kein Komplott geschmiedet. Er habe auf der Facebook-Seite der SIEGESSÄULE nach weiteren mutmaßlichen Opfern des Arztes suchen wollen, um seine Glaubwürdigkeit zu stärken, sollte es mehrere mutmaßliche Opfer geben. Die SIEGESSÄULE habe ihn informiert, dass dies an dieser Stelle nicht möglich sei. Deshalb traf er sich ein Mal mit Chefredakteur Jan Noll zu „einem Meinungsaustausch“. Er nahm das Angebot der SIEGESSÄULE an, eine kostenlose Kleinanzeige im Printmagazin zu schalten, um weitere mutmaßliche Opfer zu finden.

Der Zeuge nannte es „einen Medienskandal“ wie im Fall des angeklagten Arztes mit der Presse umgegangen wurde. Er erwähnte dabei die Artikel von Buzzfeed über diverse vermeintliche Missbrauchsfälle durch den Angeklagten, die 18 Monate aus dem Netz genommen werden mussten, obwohl diese laut Zeuge so „detailliert und plausibel“ gewesen seien. In den Verlagsräumen der SIEGESSÄULE veranlasste Eisenberg sogar eine Hausdurchsuchung, um Beweismaterial zu besagter Kleinanzeige zu beschlagnahmen. Dies habe Lars in seiner Meinung bestärkt, dass es „eine gefährliche Sache für Zeugen“ sei, auszusagen. Er selbst habe Angst davor gehabt, etwas zu unternehmen. Schließlich gehe der Angeklagte angeblich „mit geballter finanzieller Kraft und juristischen Aktionen gegen“ Zeugen vor. So sei eine Dragqueen wegen übler Nachrede verurteilt worden, weil sie auf Facebook behauptet hatte, der Angeklagte habe sie angeblich während der Behandlung in seiner Praxis missbraucht.

Belastendes Verfahren

Lars habe eigentlich ein Strafverfahren umgehen wollen und darauf gehofft, dass die Ärztekammer gegen den mutmaßlichen Missbrauch des Arztes vorgehen werde und er damit für sich „die Belastung des Strafverfahrens vermeiden“ könne. Nachdem aber die Ärztekammer seiner Auffassung nach keine Konsequenzen gezogen habe und der Angeklagte habe weiter praktizieren können, habe er sich für einen Strafprozess entschieden und ebenso gegen eine Einstellung des Verfahrens gegen die Zahlung einer Geldsumme. Am Ende der Befragung wollte seine Anwältin noch wissen, wie die Folgen des mutmaßlichen Missbrauchs für ihn wären. Er gab an, dass er sowohl psychisch belastet als auch in seiner beruflichen Tätigkeit behindert sei: „Das raubt mir Kraft, schränkt mich ein und stresst mich“. Sein Fazit: „Dieses anstrengende Verfahren hätte ich mir gerne erspart.“

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