Queere Teilhabe ohne Substanzkonsum

Queer und Sober: Eine wachsende Szene

22. Mai 2025 Selina Hellfritsch
Bild: MacLaine Back
Tal Se (aka DJ handbag), Sozialarbeiterin bei SONAR nightlife und Kontaktcafé/streetwork BülowEck

Alkohol- und Substanzkonsum sind schon lange mit der queeren Geschichte verwoben, dienen als Bewältigungsmethode oder werden zelebriert. Ob beim Feiern, einer Dragshow, Ausstellung oder Public Viewing, überall wird getrunken und konsumiert. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen, die lieber weniger oder nicht (mehr) konsumieren. SIEGESSÄULE-Redakteurin Selina Hellfritsch fragt: Wie geht queere Teilhabe in Berlin ohne Substanzkonsum?

Immer öfter höre ich von Freund*innen, dass sie mit dem Gedanken spielen, weniger bis gar nichts mehr zu trinken. Eine Studie von 2023 bestätigt: Die Gen Z trinkt so wenig Alkohol wie keine Generation vor ihr. Gerade mal 28,9 Prozent der 18- bis 25-Jährigen geben an, regelmäßig Alkohol zu trinken, also mindestens einmal pro Woche. 2004 waren es noch 44 Prozent. Gründe dafür gibt es viele. Zum einen wurde die Schädlichkeit von Alkohol mehr in der Öffentlichkeit diskutiert und Menschen haben sich ernsthaft damit auseinandergesetzt.

Abstinenz als Trend

Andererseits spielen gerade für die junge Generation Social Media eine große Rolle: Selbstoptimierung und -darstellung stehen an oberster Stelle und Trends wie „Clean Girl“ werden eifrig nachgeahmt. „Clean Girl“ idealisiert einen Lifestyle, bei dem man sich gesund ernährt, Sport treibt und eben weder Alkohol noch Drogen konsumiert. Was auf den ersten Blick gesund erscheint, ist auf den zweiten dann doch mehr Optimierungswahn als Realität. Die Kampagne „Dry January“, bei dem das Jahr trocken gestartet wird, Trends wie „Dry Dating“, bei dem man erste Dates lieber nüchtern angeht, und „Sober Curious“, bei dem größtenteils auf Alkohol verzichtet wird, tragen trotzdem dazu bei, den eigenen Konsum zu hinterfragen.

Demgegenüber stehen allerdings die Zahlen und Erfahrungen von vielen Queers: Sowohl jugendliche als auch Erwachsene weisen meist einen höheren Alkohol- und Substanzkonsum auf als der heteronormative Mainstream. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Oft ist das Verhalten auf Minderheitenstress und Stigmatisierung zurückzuführen.

„Gay bars became our churches. It’s where we got together to be ourselves. And alcohol was always there.““

Blicken wir auf Zeiten, in denen Homosexualität staatlich verfolgt wurde und Queers von den Straßen verdrängt wurden. Damals fanden sie Zuflucht in Bars und Clubs. Wie mein Kollege Walter Crasshole im Januar für The Berliner schrieb: „Gay bars became our churches. It’s where we got together to be ourselves. And alcohol was always there.“

Bild: Maclaine Black
Gerade mal 28,9 Prozent der 18- bis 25-Jährigen geben an, regelmäßig Alkohol zu trinken

Bis heute zieht sich die Verbindung von queerer Kultur und Alkohol- beziehungsweise Drogenkonsum nicht nur durchs Nachtleben, sondern ist im Alltag angekommen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Queers, die sich mit ihrer Sucht auseinandersetzen und dem exzessiven Konsum den Rücken kehren.

So zum Beispiel Vlady Schklover und Momo Strödecke, die zusammen die „Lemonade Queers“ gegründet haben – eine sober Partyreihe im SchwuZ, die schon lange kein Geheimtipp mehr ist. Momo Strödecke hat außerdem mit Connecting Passions eine Community Site aufgebaut, bei der unter dem Namen „Charming Theys“ verschiedene Dating-Formate angeboten werden – auch Sober Dating Events. Vlady Schklover ist wiederum Co-Gründer von The Sober Space, einer Anlaufstelle für nüchterne Menschen auf Partys und Festivals, die auch einen gemeinsamen Telegram-Chat bereitstellt. Bereits im letzten Jahr haben die Lemonade Queers einen Sober Space auf dem Whole Festival etabliert, und so wie es aussieht, wird es davon bald mehr geben.

Trend: Sober curious

Sofort nachdem ich mit meiner Recherche angefangen habe, ist das Thema wie ein Selbstläufer, und ich finde viele Angebote und Vernetzungsmöglichkeiten. Wie von Sober Dancefloor, die auf Instagram einen internationalen, queer-friendly Online-Space für die Sober-Kultur anbieten. Dabei werden auch jedes Mal „sober curious“ Menschen angesprochen, um diejenigen zu erreichen, die erste Schritte in diese Richtung gehen möchten. So auch die neue Party „I Am The Drug“ vom Void Club und dem Kollektiv Einfach Techno. Oder die sober Raves von Tender Sesh. Genauso setzen etablierte Partyreihen wie „Lunchbox Candy“ mittlerweile auf eine Sober-Version, die „Sugar free“-Edition.

Nicht nur die Nachfrage, auch das Angebot scheint zu steigen, und die Veranstalter*innen schaffen dabei nicht nur einen Safer Space für die Sober-Community, sondern ermutigen andere dazu, neugierig auf nüchternes Feiern zu sein. Ein wichtiger Ansatz, denn queere Teilhabe entsteht vor allem in der Zusammenarbeit und nicht in Abgrenzung zueinander. Mich ermutigt das, auch mal nüchtern feiern zu gehen und meine sober Freund*innen mehr zu unterstützen. Und vielleicht errichten wir dadurch neue „churches“?

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