Berlin Art Week

„Queering the Orthodox“ – Glaskunst aus Georgien von David Apakidze

8. Sept. 2025 Interview: Carsten Bauhaus
Bild: Luka Pantskhava, KVOST

In der Installation „The Knight at the Crossroads“ verbindet David Apakidze die Situation queerer Menschen aus Georgien mit der Mythologie der Heldenreise. Mit SIEGESSÄULE sprach er über georgische Traditionen, Glücksgefühle auf der Tanzfläche und wahren Mut. Ab 10. September im Kunstverein Ost (KVOST)

Warum wurdest du für den Claus Michaletz Preis und das KVOST-Stipendium 2025 ausgesucht? Der Kunstverein Ost fördert Künstler*innen aus Zentral- und Osteuropa. Zur Eröffnung des Kunstherbstes zeige ich meine erste Soloshow, die für meine Galerie in Tiflis geplant war, nun zunächst in Berlin.

Was verbindet oder unterscheidet das Schicksal der georgischen Queers von der klassischen Heldenreise aus der Mythologie? Die Heldenreise ist in diesem Fall weder heroisch noch schön: Viele Georgier*innen verlassen heute das eigene Land, weil sie sich einfach in dem homo- und transphoben Klima nicht mehr wohl und sicher fühlen. Es gibt innerhalb Georgiens eine Diskussion, ob diejenigen, die das Land verlassen, nicht einfach zu wenig Mut haben, um zu bleiben. Zu gehen ist demnach also weitaus weniger heroisch als zu bleiben. Gerade vor zwei Tagen ist ein Freund von mir, ein Künstler und Dragperformer, nach Brüssel gezogen, wie so viele andere. Bei einer so kleinen Community ist das ein großer Verlust, der einen starken Effekt auf unsere nähere Zukunft haben wird.

Was sind die Gründe für die Ausreise? Im letzten Jahr wurden neue Gesetze nach russischem Vorbild beschlossen. Das neue Anti-LGBTIQ*-Gesetz ist dabei sehr allgemein gehalten. Es geht um den Schutz der Familie und von Kindern, um Erziehung und Kultur. Es ist nicht sehr spezifisch, was es umso gefährlicher macht: Alles kann als queere Propaganda gelabelt werden. Wir queeren Aktivist*innen haben das Gesetz studiert, um zu schauen, wie wir auch innerhalb des neuen Rahmens legal agieren können, aber konnten nicht herausfinden, wie. Glücklicherweise wird es anders als das Gesetz gegen ausländische Agenten bisher noch nicht angewandt – aber niemand weiß, was in der Zukunft passieren wird.

„Das Gesetz ist nicht sehr spezifisch, was es umso gefährlicher macht: Alles kann als queere Propaganda gelabelt werden.“

Waren die neueren politischen Entwicklungen vorauszusehen? Dieselbe Regierung hat noch vor zehn Jahren pro-europäische Antidiskriminierungsgesetze erlassen, die Queers und Trans* geschützt haben. Aber seit dem Ukraine-Krieg hat sie eine 180-Grad-Wende hingelegt und agiert nun nicht nur extrem konservativ und populistisch, sondern führt auch Gesetze nach russischem Vorbild ein.

Die Kunst- und Clubszene wurde zum wichtigsten Safe-Space für die georgische Community. Wie ist es dazu gekommen? 2015 fand die erste „Horoom Night“ statt, die heute legendäre queere Partyreihe. Damals habe ich vor Glück geheult, weil plötzlich so viele Queers zusammen gefeiert haben. Vorher hat man sich als queere Person immer allein gefühlt. Es gab keine große Community. Auch deshalb ist heute Berlin ein wichtiges Exil für Queers aus Georgien, weil es stark mit Technoclubs und queerem Underground assoziiert wird.

Bild: Luka Pantskhava, KVOST
Buntglashelm, getragen von Mikhako Darichinni, David Apakidze, KVOST

Der Club, in dem die „Horoom“-Partys stattfinden, heißt Bassiani. Oft wird er mit dem Berghain verglichen. Findest du den Vergleich berechtigt? Es ist wirklich ein magischer Ort, ähnlich wie das Berghain. Andererseits ist es sehr authentisch georgisch und einzigartig. Der Club ist unter der Tribüne eines Fußballstadions untergebracht und als Tanzfläche dient ein stillgelegtes Schwimmbecken. Das Bassiani ist nach einer mittelalterlichen Schlacht benannt, wo eine kleine Gruppe von Leuten über eine Überzahl siegte. Im übertragenen Sinne vereint dieser Underground-Club eine kleine Gruppe von Leuten, die eine große Veränderung bewirken. Tanzen ist ein wichtiger Teil der georgischen Identität, den wir dort für uns reklamieren. Auf der Tanzfläche geht es wirklich verrückt zu. Man kann sich dort verlieren und trotzdem vereint fühlen, mit all den anderen Tanzenden. Ich habe dort lange gearbeitet, es war wie ein Zuhause für mich. Es wurde auch zum Ort meiner ersten künstlerischen Erfahrungen, etwa durch die Gestaltung von künstlerischen Dragperformances.

„Tanzen ist ein wichtiger Teil der georgischen Identität, den wir dort für uns reklamieren.“

Was für Arbeiten zeigst du in der Ausstellung? Die gezeigten Objekte sind alle sehr stark mit meinen Erinnerungen und Gefühlen der letzten Jahre verbunden. Im Zentrum der Ausstellung steht ein Motorradhelm, als Sinnbild für eine moderne Ritterrüstung. Das Visier habe ich mit einer Transflagge aus Kirchenglas umgestaltet, die in der Mitte ein Einschussloch aufweist. Die Arbeit ist entstanden, als Kesaria Abramidze, eine bekannte trans Frau, von ihrem Ex-Freund ermordet wurde – kurz nach der Einführung des neuen LGBTIQ*-Gesetzes.

Buntglas ist ein wiederkehrendes Merkmal deiner Arbeiten. Was fasziniert dich an dem Material? Ich benutze traditionelle Elemente der orthodoxen Kunst- und Kulturgeschichte, die ich mir – wie zum Beispiel Buntglas – aneigne und uminterpretiere. Die Strategie dahinter nenne ich „Queering the Orthodox“. Als ich Kunstgeschichte studierte, ging es viel um mittelalterliche Kunst, gegen die ich zunächst starke Emotionen, ja fast Aggressionen entwickelte. Als ich nach einer Ausdrucksform suchte, ist mir bewusst geworden, dass ich dennoch als Georgier mit diesen Traditionen irgendwie verbunden bin. Gleichzeitig habe ich sehr viel versteckt Queeres in der traditionellen georgischen Kunst entdeckt. Zusammen mit Freund*innen habe ich im Rahmen unseres queeren Kunstprojekts „Fungus“ ein Buch herausgegeben, das hundert Jahre queere georgische Kunstgeschichte beschreibt – wobei diese Kunst natürlich vorher nie als queer gelesen wurde. Die Herausgabe wurde sogar im georgischen Parlament diskutiert und diente wahrscheinlich als einer der Vorwände für die neue Gesetzgebung.

„Ich habe sehr viel versteckt Queeres in der traditionellen georgischen Kunst entdeckt.“

Du bist jetzt für das Stipendium viereinhalb Monate in Berlin. Planst du auch darüber hinaus zu bleiben? Ich habe tatsächlich früher mit dem Gedanken gespielt, Tiflis auch zu verlassen. Aber jetzt, da mein Land versucht, uns loszuwerden, habe ich beschlossen zu bleiben – zumindest solange ich dort ungefährdet leben kann. Ich bleibe – und reisen wird nur meine Kunst, wie für diese Ausstellung jetzt.

David Apakidze: The Knight at the Crossroads,
11.09.–27.11.,
Mi–Sa, 14:00–18:00, KVOST,
Leipziger Str. 47, Mitte
Vernissage und Preisverleihung: 10.09., 18:00
kvost.de

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