Mitarbeitende erzählen

SchwuZ in der Krise: Entlassungen, finanzielle Schieflage und ungewisse Zukunft

8. Juli 2025 Sören Kittel
Bild: Sergio Andretti
Schließfächer wie diese werden bald die Garderobe ersetzen

Die jüngste Entlassungswelle im SchwuZ löste in der Belegschaft große Empörung aus – teils, weil viele Betroffene erst aus der Presse oder auf unpersönliche Weise davon erfuhren. Wir sprachen mit Mitarbeitenden und Geschäftsführung über die Hintergründe und Herausforderungen

Wenn Luka* von seiner Kündigung Wochen später erzählen soll, wird er immer noch wütend: „Alles an dieser Kündigung war blöd“, sagt er. „Der Zeitpunkt, der Stil – das hätte ChatGPT emotionaler formuliert.“ Luka hat in verschiedenen Bereichen des Clubs mehr als 15 Jahre gearbeitet. „Das hat mich total aus den Socken gehauen.“ Schlimm fand er auch die Bitte, „jetzt nicht zu klagen“ – das hätte weder Aussicht auf Erfolg, noch könne sich das SchwuZ das leisten. Luka wörtlich: „Sag mal, wollt ihr mich verarschen?“

Luka heißt eigentlich anders. So wie die fünf weiteren SchwuZ-Mitarbeiter*innen, mit denen die SIEGESSÄULE sprach, will er anonym bleiben. Manche sind nicht von den Kündigungen betroffen, andere stehen jetzt vor erheblichen finanziellen Problemen, wenn sie nicht schnell einen neuen Job finden. Manche trifft das doppelt. Denn angeblich sind unter den 33 Mitarbeiter*innen, die gekündigt wurden – ein Drittel der Belegschaft – viele People of Color, nicht binäre und trans* Personen, die es häufig schwerer haben auf dem Jobmarkt.

Auch Luka zählt zu einer der genannten marginalisierten Gruppen. Er verlangt nicht nur eine Entschuldigung von der Geschäftsführung, sondern auch eine Erklärung für diese diskriminierende Personalpolitik. Auf Nachfrage verweist Katja Jäger, die neue Geschäftsführerin, darauf, dass „das SchwuZ in allen Bereichen viele trans* und BIPoC-Mitarbeitende beschäftigt“ und dass „das ein zentraler Teil unserer Identität und unseres Anspruchs ist, ein möglichst diverses und inklusives Team zu haben“. Von Kündigungen seien sowohl trans* als auch cis Personen betroffen, weiße und nicht weiße.

„Eine überproportionale Betroffenheit einzelner Gruppen lässt sich anhand der vorliegenden Fakten nicht belegen“, sagt Katja Jäger. Grundlage für die Kündigungen sei „Sozialauswahl“ – das bedeutet, dass bei Stellenabbau besonders schutzwürdige Arbeitnehmer*innen nach hinten rücken. Das SchwuZ halte sich an diese Kriterien, sagt Katja Jäger, zu denen gehören: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Grad der Behinderung.

Bereits im August drohte Insolvenz

„Geschlechtsidentität, Herkunft, Religion, Nationalität oder politische Überzeugung dürfen – und sollen – in diesem Prozess keine Rolle spielen“, so die Geschäftsführerin. Stefan Fuerst, erster Vorsitz vom Vorstand des SchwuZ e.V., ergänzt: „Natürlich hätte die Kommunikation bei den Kündigungen besser laufen müssen, aber wir mussten auch schnell handeln.“

„Natürlich hätte die Kommunikation bei den Kündigungen besser laufen müssen, aber wir mussten auch schnell handeln.“

Das letzte Jahr habe das SchwuZ im Minus abgeschlossen, trotz Sparmaßnahmen. Im August wäre es zu spät gewesen, da hätte man schon vor einer Insolvenz gestanden. „Wir haben monatlich Fehlbeträge von 30.000 bis 40.000 Euro erwirtschaftet“, sagt er. Das habe nicht lange gut gehen können.

Mehrere Maßnahmen wurden bereits beschlossen, um Geld an wichtigen Stellen zu sparen. Der reguläre Betrieb der Pepsi Boston Bar wurde eingestellt – die Abende mit den Dragperformer*innen waren oft nicht gut genug besucht und betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Die Türsteher*innen werden demnächst von einer externen Firma kommen. Dass sie sowohl „Queersensibilität“ als auch „Diversitätskompetenz“ haben, sei Bedingung gewesen. Die Kasse wird durch ein SelfCheck-in-System ersetzt, die Garderobe durch Schließfächer ausgetauscht.

Bild: Sergio Andretti
Die Pepsi Boston Bar wurde im letzten Jahr schlecht besucht

Kim* gehört ebenfalls zu den entlassenen Mitarbeiter*innen. Kim arbeitete erst kurze Zeit im Team und sah das SchwuZ auch als eine Art Safer Space. „Ich habe neulich mitbekommen, wie sie schon die Plätze ausgemessen haben für die Schließfächer, da gab es schon erste Tränen“, sagt Kim.

Andere Mitarbeiter*innen, die schon seit 30 Jahren dabei sind und ihren Job behalten durften, klingen optimistischer. Sie sagen, dass der Club in seinen fast 50 Jahren schon ganz andere Krisen gemeistert habe. Als der queere Club im Jahr 2013 zum Beispiel vom Mehringdamm nach Neukölln gezogen ist, haben viele erwartet, dass es nicht funktionieren würde – das stimmte aber nicht. Warum also der Publikumsschwund?

Aus der Community und von den Mitarbeiter*innen verweisen viele zuerst auf die Türpolitik, die immer strenger geworden sei: Mal seien Gäste nicht reingelassen worden, weil sie nicht die „richtige“ Einstellung zu Gaza hätten, mal sei ein 70-jähriger Gast gebeten worden, seinen Gehstock zur Seite zu legen, um sich abtasten zu lassen, und mal seien Gäste, die Tickets für eine gebuchte Veranstaltung hatten, misstrauisch gefragt worden, ob sie „wirklich Teil der queeren Community“ wären. Nur Einzelfälle oder fehlendes Feingefühl des Personals?

Wie viele Clubs leidet auch das SchwuZ unter der Inflation: Feiern wird zum Luxus, die Gäste werden weniger und trinken weniger.

Ein anderes Thema, das von Besucher*innen kritisch gesehen wurde, sind die Preise. Mit der Garderobe kostet der Eintritt mittlerweile 20 Euro, obwohl im Gegensatz zu anderen Clubs das SchwuZ meist schon gegen 6:00 Uhr schließt. Wie viele Clubs leidet auch das SchwuZ unter der Inflation: Feiern wird zum Luxus, die Gäste werden weniger und trinken weniger.

Die 29,90-Abo-Karte des SchwuZ soll zwar gut angekommen sein, doch da viele Firmen inzwischen eine Abo-Regelung haben, ist sie kein Selbstläufer. Auf Nachfrage sagen Katja Jäger und Stefan Fuerst, dass sie sich einen günstigeren Eintrittspreis in Zukunft vorstellen können. Beide wollen nach vorn schauen. „Manche von denen, die uns vor ein paar Wochen sehr laut angeschrien haben, sind zum Teil schon proaktiv auf uns zugegangen“, sagt Fuerst. Er möchte neue Partyreihen entwickeln, will ein breiteres Musikspektrum und setzt auch auf Kooperationen. Jäger hätte gern wieder eine monatliche FLINTA*-Party, die es seit der Einstellung von L-Tunes nicht mehr gegeben hat. Die letzte Dykes* Gone Wild, die unregelmäßige Nachfolgerin der alten Lesbensause, fand im Februar statt – die Website führt ins Leere.

Erhalt eines Safer Spaces

War die schwierige finanzielle Lage des SchwuZ in all den letzten Jahren nicht vorhersehbar? Laut einer internen Untersuchung, die Mitte Juni unter SchwuZ-Mitgliedern die Runde machte und auch SIEGESSÄULE zugespielt wurde, zeigten die bis März 2025 übermittelten Controllingdaten von 2024 „keine akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit“ für das SchwuZ an. Wörtlich: „Erst nach tiefergehender Prüfung durch die neue Geschäftsführung zeigte sich, dass diese Zahlen in Teilen nicht stimmig waren.“ Gab es methodische Mängel bei der Erhebung dieser Daten? Oder wurden hier Daten manipuliert, geschönt?

„Erst Mitte April 2025 sei der volle Umfang der finanziellen Schieflage bekannt geworden.“

„Erst Mitte April 2025 sei der volle Umfang der finanziellen Schieflage bekannt geworden“, heißt es weiter. Die ehemaligen Chefs hatten das sinkende Schiff bereits verlassen: Marcel Weber ging Ende 2024, Florian Winkler-Schwarz wechselte im März 2025 zum LSVD Berlin-Brandenburg, wo er ebenfalls Geschäftsführer wurde. Auf Anfrage von SIEGESSÄULE will sich Ersterer nicht äußern. Auch Winkler-Schwarz möchte „nicht zu internen Unterlagen“ Stellung beziehen, betont aber in seiner E-Mail: „Ich habe in enger Abstimmung mit dem Vorstand stets verantwortungsvoll gehandelt. Die Umsatzzahlen der SchwuZ Kulturveranstaltungs GmbH sind öffentlich einsehbar. Für meine Amtszeit liegt eine schriftliche Entlastung durch den Vorstand vor.“

Mittlerweile ist Lukas Wut etwas verraucht. Er kann sich vorstellen, irgendwann wieder im SchwuZ aufzulegen. „Es geht schließlich auch um den Erhalt eines Safer Spaces in Zeiten, in denen diese immer weniger werden“, sagt er. Allein wegen des Geldes habe er den Job ja nie gemacht. Kim klingt eher besorgt, wenn sie*er an die Zukunft denkt: „An einem Wochenende habe ich gesehen, wie sich Leute in die Schlange stellten, die eigentlich Hausverbot haben.“ Als diese dann an der Tür vom noch alten Personal erkannt wurden, sagten sie grinsend: „Na ja, bald seid ihr ja weg.“

* Name geändert

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