Queere ESC-Highlights

So queer wird der Eurovision Song Contest 2025

3. Mai 2025 Paula Balov
Bild: Edward Degabriele, Pavla Hartmanová, David Urban
ESC-Teilnehmer*innen Miriana Conte (Malta), JJ (Österreich) und Adonxs (Tschechien)

In zwei Wochen ist es endlich so weit: Das große Finale des 69. Eurovision Song Contests steigt am 17. Mai unter dem bekannten Motto „United By Music“ in der St. Jakobshalle in Basel. Die meisten Teilnehmer*innen müssen sich zunächst in den Semifinals am 13. und 15. Mai beweisen, denn von den 37 Acts werden nur 26 im Finale performen. SIEGESSÄULE stellt die queeren Acts vor – und gibt Tipps für Public Viewings

Österreich | JJ: „Wasted Love“

Eine mitreißende Powerballade, eine androgyne Falsettstimme und ein Refrain, in dem sich engelsgleicher Gesang in schwindelerregende Höhen begibt, ehe der Song seinen elektronischen Höhepunkt erreicht – „Wasted Love“ von JJ aus Österreich ist definitiv winner material und steht derzeit zurecht bei Wettbüros und Buchmachern auf Platz 2.

Die Ähnlichkeit zu „The Code“ von Nemo ist schwer zu ignorieren. Schon im letzten Jahr konnte der Mix aus elektronischer Musik und Falsettstimme insbesondere die Jurys begeistern. Anders als die*der nicht binäre Gewinner*in Nemo, ist JJ jedoch ausgebildeter Countertenor und scheint das Opernpathos noch etwas dicker aufzutragen.

Für den Sieg muss sich der queere Shootingstar vor allem gegen die Konkurrenz aus Schweden durchsetzen: Der spaßige Sauna-Hit „Bara bada bastu“ von KAJ gilt als Top-Favorit und wird wahrscheinlich vor allem beim Televoting-Publikum abräumen.

Finnland | Erika Vikman: „Ich komme“

Sängerin: wasserstoffblond und charismatisch. Garderobe: Ein Lack-Outfit, das aussieht als wäre es von der Butcherei Lindinger gesponsert. Bühnenshow: Ein überdimensionaler, goldener Mikrofonständer als Requisit. Der Song: Ein fieser Ohrwurm mit auf deutsch gesungenem Refrain „Ich komme“ und nicht minder zweideutigen Strophen auf Finnisch.

Die Bezeichnung „Camp“ wäre für dieses großartige Fest des schlechten Geschmacks fast eine Untertreibung. Die finnischen Musikproduzent*innen scheinen begriffen zu haben, wie sie mit Humor beim ESC punkten können – das bewiesen schon im letzten Jahr der hosenlose Windows95man und Fan-Favorit Käärijä sowieso.

Erika Vikman, die in Interviews durchklingen ließ, dass sie bisexuell ist, wurde kurz nach Veröffentlichung ihres Songs als Top-Favorit gehandelt. Sie stieg in der Prognose wieder etwas ab nachdem auch die Konkurrenz ihre Beiträge veröffentlichte. Ob es „Ich komme“ an die Spitze schafft, hängt sicher stark von der Performance auf der großen Bühne ab – allerdings dürfte es schwierig werden, hier noch einen draufzusetzen.

Malta | Miriana Conte: „Serving“

Apropos zweideutig: Schon im Vorfeld sorgte Miriana Conte aus Malta für Drama. Ihren Song „Kant“ musste sie in „Serving“ umbenennen und das Wort „Kant“ streichen. Der Grund: Der maltesische Ausdruck für Gesang klingt zu sehr wie das englische Wort „Cunt“ – und dieses Wortspiel war der EBU zu vulgär. Der Ausdruck „Serving Cunt“ ist jedoch nicht sexuell gemeint, sondern würdigt in der Drag-Kultur eine besonders selbstbewusste feminine Performance.

Von der Beschwerde ließ sich die Sängerin, die mit einer Frau zusammen ist, nicht einschüchtern und ersetzte das Wort nun einfach durch „Aaah“. Auf diese Weise hat Miriana Conte den Song nun noch kultiger gemacht – und mit großer Sicherheit werden alle Eurovision-Fans in Basel während ihrer Live-Performance die ursprüngliche Zeile mitgrölen.

Im neuen Musikvideo zu ihrem bombastischen Femme-Popsong inszeniert sie sich als Megastar in einem reißerischen Fernsehbericht, in dem die Öffentlichkeit darüber spekuliert, was genau sie „servieren“ möchte. Zwei Dragqueen-TV-Moderatorinnen sagen: „She’s an icon. She’s a legend. And she is the moment.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Belgien | Red Sebastian: „Strobe Lights“

Auch wenn sich schon einige Künstler*innen daran versucht haben, ist Techno immer noch eher selten beim ESC. Red Sebastian aus Belgien präsentiert mit „Strobe Lights“ nun eine Hommage an die Techno-Kultur die 90er. Was als leiser Popsong beginnt steigert sich schnell zu einem pulsierenden Club-Banger.

Der queere Sänger möchte, wie er in Interviews erklärt, die Eurovision-Arena in einen großen Rave verwandeln – passend dazu wird seine Performance durch Stroboskoplicht und eine Hebebühne verstärkt. Seine Gesangstechnik, die von einem sanften Bass bis Kopfstimme reicht, perfektionierte er unter anderem bei dem queeren Musiker Gustaph, der 2023 für Belgien den 7. Platz belegte.

Für eine gute Platzierung von „Strobe Lights“ spricht nicht nur das starke Ergebnis im Vorentscheid, bei dem er mit deutlichem Vorsprung gewann und sowohl die Jury als auch das Televoting-Publikum überzeugen konnte, sondern auch die Tatsache, dass nur wenige Beiträge in diesem Jahr ein ähnliches Genre bedienen.

Tschechien | ADONXS: „Kiss Kiss Goodbye“

Als Kontrastprogramm zum Falsett aus Österreich, tritt für Tschechien Adonxs mit einer samtigen Bariton-Stimme an. Der Song „Kiss Kiss Goodbye“ bündelt James-Bond-artiges Pathos – inklusive Streicher und Surfrock-Gitarre, mit eingängigem Dance-Pop.

Auf der Bühne trägt Adonx ausgefallene androgyne Kleidung und fällt vor allem mit Tanzbewegungen auf, die vom Voguing inspiriert zu sein scheinen. Adonxs' ESC-Beitrag ist sowohl gesanglich als auch in der Inszenierung stimmig. Ob das ausreicht, um sich von der Menge abzuheben, wird sich im Semifinale am 15. Mai zeigen.

Der in Prag lebende slowakische Sänger ist nicht nur für seine Musikkarriere bekannt (er gewann u.a. 2021 die tschechische Castingshow „Superstar“), sondern auch für seinen LGBTIQ*-Aktivismus. So war er beispielsweise das Gesicht einer Kampagne gegen Queerfeindlichkeit in der Slowakei und wirkte 2022 in einer Gedenkveranstaltung für zwei Opfer eines homophoben Anschlags in Bratislava mit.

Kroatien | Marko Bošnjak: „Poison Cake“

Während Kroatien im letzten Jahr mit Baby Lasagnas „Rim Tim Tagi Dim“ den zweiten Platz belegte, muss das Land 2025 zittern, ob es ins Finale kommt. „Poison Cake“ des bosnisch-kroatischen Sängers Marko Bošnjak ist einer der eigensinnigsten Beiträge in diesem Jahr. Der Mix aus kinderliedartigen und düsteren Passagen sticht zwar heraus, doch scheint die Komposition ziemlich unausgereift. Besonders der monotone Refrain, der ausschließlich aus der Titelzeile „Poison Cake“ besteht, lässt Tiefe vermissen.

Für einen Einzug ins Finale spricht immerhin die Ausstrahlung des schwulen Sängers, der bereits seit seinem elften Lebensjahr auf der Bühne steht. Erwähnenswert ist außerdem, dass sich Marko Bošnjak in Kroatien selbstbewusst als Teil der LGBTIQ*-Community für queere Sichtbarkeit einsetzt.

Ob „Poison Cake“ am Ende überzeugt, wird maßgeblich von der Live-Performance abhängen. Gelingt es der Show, das musikalische Chaos und die Lyrics über tödliche Rache visuell stimmig auf die Bühne zu bringen, stehen die Chancen gut, Marko Bošnjak am 17. Mai im Finale wiederzusehen.

Weitere Highlights

Neben dem bereits erwähnten Sauna-Hit aus Schweden steht auch Frankreich mit der gefühlvollen Ballade „Maman“ ganz oben auf der Favoritenliste. In ihrem Lied wendet sich Sängerin Louane an ihre verstorbene Mutter und erzählt, dass sie nun ihren Platz im Leben gefunden hat.

Zu den skurrilsten (und auch unterhaltsamsten) Songs in diesem Jahr zählt zweifellos der estnische Electro-Swing-Beitrag „Espresso Macchiato“ von Tommy Cash. Dieser hat die wohl seltsamsten Dance-Moves des Wettbewerbs und lyrische Perlen wie „Life is like spaghetti, it's hard until you make it“ zu verantworten.

Erwähnenswert ist außerdem der disco-angehauchte Popsong aus den Niederlanden „C'est La Vie“ von Claude, der ebenfalls hoch gehandelt wird. Als Insider-Tipp in der ESC-Fanbase gilt der oft übersehene albanische Beitrag „Zjerm“ von Shkodra Elektronike, der traditionelle Musik mit Electronica verbindet.

Und Deutschland? Mit „Baller“ des Geschwisterduos Abor & Tynna schickt Deutschland einen überraschend mitreißenden Electro-Track ins ESC-Rennen – und das erstmals seit 18 Jahren wieder auf Deutsch, was international gut ankommt. Die schwachen Live-Vocals beim Vorentscheid, wahrscheinlich bedingt durch eine anhaltende Kehlkopfentzündung, waren jedoch enttäuschend. Ob Gesang und Performance am Schluss überzeugen steht in den Sternen.

Public Viewing: ESC-Finale am 17.05.

Screening und Drag-Show mit Judy LaDivina,
19:30, Tipsy Bear

Tipsy Bear lockt nach Prenzlauer Berg zur Livestream-Party des Eurovision-Finales. Dragqueen Judy LaDivina sorgt mit Lipsync-Performances beliebter Eurovision-Hits für Stimmung, bevor ab 21 Uhr das Finale live übertragen wird. Eintritt: 12 Euro, Einlass ab 18 Uhr – Ankunft bitte bis 19 Uhr.

Nicht ohne meine Windmaschine, Screening mit Jurassica Parka u.a.,
21:00, BKA Theater

Unter dem Motto „Nicht ohne meine Windmaschine“ lädt das BKA-Theater zum Public Viewing des Eurovision-Finales ein. Ab 21 Uhr führen Berliner Drag-Ikone Jurassica Parka und ESC-Experte Ralph Morgenstern mit Humor und Fachwissen durch den Abend. Eintritt frei!

Bild: Jurassica Parka

Screening mit Anna Klatsche & Victoria Bacon,
20:00, SchwuZ

Auch in diesem Jahr überträgt das SchwuZ das ESC-Finale live auf der Großbildleinwand. Ab 21 Uhr führen die Lästerschwestern Anna Klatsche und Victoria Bacon als ESC-Expert*innen durch den Abend. Im Anschluss geht’s weiter mit der Party Femme Top by Miss Ivanka T. inklusive ESC-Floor. Eintritt: 20 Euro.

Screening mit Gundel Schlauch & Cathérine,
20:00, AHA

Am 17. Mai laden Gundel Schlauch und Cathérine zum betreuten Public Viewing des ESC-Finales in die AHA ein. Was nicht fehlen darf: das beliebte Live-Voting des AHA-Publikums. Der Eintritt ist frei, Spenden sind gern gesehen. Einlass ist ab 19 Uhr, Beginn um 20 Uhr – aufgrund begrenzter Plätze empfiehlt sich frühes Erscheinen.

Eurovision @ Queensday,
21:00, Queensday Straßenfest, Benkertstraße 24, 14467 Potsdam

Auf nach Potsdam zum Demonstrieren und Eurovision gucken! Am 17. Mai findet ab 12:00 der CSD in Potsdam statt, ab 14:00 beginnt das Queensday-Straßenfest (inspiriert vom niederländischen Koninginnedag) im Holländischen Viertel mit Showprogramm und Streetfood. Das Highlight des Abends ist die Liveübertragung der ESC-Show ab 21:00.

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Update 12. Mai 2025

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