Cocktails und Gloryholes

Soft Clubbin in der Schwulenszene

21. Nov. 2025 Patsy l’Amour laLove
Bild: Unsplash / Stansilav Ivanitskiy
Die Soft-Clubbing-Kultur dreht sich um Drinks am frühen Abend

Alle reden derzeit vom Bar- und Clubsterben in der Szene. Insolvenzen hier, Schließungen da. Oft heißt es, jüngere Homosexuelle würden nicht mehr ausgehen, lieber privat feiern, ihre Dates über Apps klarmachen statt per Augenkontakt an der Theke. Aber das stimmt nicht ganz, wie Polittunte und SIEGESSÄULE-Autorin Patsy l’Amour laLove bei ihrem Bar-Scroll feststellte

Eine solche Recherche fordert natürlich immer einen persönlichen Preis. Beim Thema Soft Clubbing war mir sofort klar: Es geht an die Tuntensubstanz. Mein schwuler Informant Horst hatte mich gut vorbereitet und erzählte aus seiner Stammbar Heile Welt in Schöneberg. Dort etabliere sich der neue Trend, sagte er: früh am Abend ausgehen, weniger Billig-Pils, dafür hochwertige Drinks mit Namen wie „Watermelon Man“. Ausgehen ja, aber zu zivilen Zeiten und in einem Umfeld, das menschliche Wärme ausstrahle.

Ist das jetzt die neue schwule Subkultur? Das, was übrig bleibt von der einstigen disruptiven Utopie?

In der Heilen Welt heißt es deshalb dienstags „After Work Party“, im Hafen nebenan gibt’s die Variante „Ein Schiff wird kommen“ als Schlagerparty zum Mitsingen, im Blond locken mittwochs um 20 Uhr Bingo-Abende mit dem Versprechen „games and fun and more“. Ist das jetzt die neue schwule Subkultur? Das, was übrig bleibt von der einstigen disruptiven Utopie? Ich kralle mich innerlich an meinen zwei Schachteln Kippen fest und dem billigen Wodka Energy vor mir am Tresen des Pussycat in der Kalckreuthstraße – seit den 1960ern Homobar mit Urgestein Donna an der Theke. (Oh, nehmt mir nicht dieses Kleinod der Homosexuellen!)

Jäh reißt mich die Stimme meiner ebenfalls sehr schwulen Freundin Jörg aus dem Karussell der Sorgen. Er sitzt neben mir und entgegnet unverblümt: „So ein Schmarrn. Mit Leuten, die dieses Soft Clubbing machen, könnte ich so gar nichts anfangen.“ Als Stammgast auf den Slings dieser Stadt wirkt er zutiefst befremdet vom Gedanken auszugehen, um nicht wenigstens ein klein wenig zu eskalieren.

Und er sinniert: „Ich bin mir sicher, diese Softclubber treffen wir dann spätnachts sowieso alle im Bulls!“ Ich stimme Jörg zu und verabschiede mich mit einem charmanten Lächeln in Richtung Nolli. Dabei denke ich noch mal an Horst: Der Finanzberater hat in Berlin schon viel gesehen und ist sich sicher, dass die schwule Szene aktuell einen radikalen Wandel durchläuft – den er aber positiv bewertet. Als Chance für die Zukunft.

Die soziale Wärme des Slings

Max Taubert, seit 2019 Betreiber der Heilen Welt, spricht im SIEGESSÄULE-Interview sogar von einer Gastrorevolution in den letzten fünf Jahren, die sich unter anderem darin äußert, dass die Gäste immer speziellere Cocktailwünsche hätten. Eine Sache bleibe jedoch konstant: „Leute brauchen menschliche Interaktion, Wärme und Nähe – und die finden sie bei den neuen Soft-Clubbing-Abenden hinreichend.“

„Leute brauchen menschliche Interaktion, Wärme und Nähe – und die finden sie bei den neuen Soft-Clubbing-Abenden hinreichend.“

Während ich an Jörg und die soziale Wärme des Slings denke, stoße ich mit einem Freund in der Heilen Welt mit meinem sehr gelungenen Whiskey Sour an. Um uns rum: gemischtes Publikum, jung und alt, männlich, weiblich und alles dazwischen. Im Unterschied zu einer regulären Heterobar habe ich hier sofort das Gefühl, dass niemand mit der Wimper zuckt, wenn wir laut und beherzt über Fisting und Ficken sprechen.

Irgendwie passt Soft Clubbing zu meinem Klischee von der Gen Z: feiern auf mildem Niveau, bloß kein Exzess. Aber ging es früher beim schwulen Ausgehen nicht auch um Kontrollverlust, ums Abtauchen in absurde Parallelwelten? Nun gut – man kann ja auch unter Softclubbern hart feiern, entgegnet Max. Ein paar Schritte neben der Heilen Welt steht man schließlich im nächstbesten Hardcoreladen und starrt in Glory Holes, wo man an ganz anderen Wassermelonenmännern saugen kann.

Ich bin absolut verwirrt. Starben nicht gerade noch die Schwulenclubs? Und nun ist auf einmal von größerer Vielfalt die Rede – von schicken Bars mit schwulem Touch auch in Mitte, wo etwa das Saint Jean, das Coven oder das Betty F. ihr Publikum ohne große Werbung anziehen. Überall steht auch dort der Cocktail im Mittelpunkt und mit ihm das Soft-Clubbing-Konzept einer neuen Ausgehgeneration.

Wie mir scheint: Noch ist die schwule Subkultur nicht komplett totzukriegen. Doch die Bars, die Corona und den Szenewandel überlebt haben, sind gezwungen, sich neu zu erfinden. Das bestätigt auch Heile-Welt-Max: Für immer mehr Wochentage versucht er neue Früh-am-Abend-Formate zu konzipieren. „Vorbereitet sein“, sagt er, „denn wie David Bowie so schön meinte: The future belongs to those who hear it coming.“ Die Zukunft gehöre definitiv nicht denen, die Altem nachtrauern und glauben, alles gehe ewig weiter.

Am Ende meines Bar-Crawl-Abends bin ich besänftigt, lockere die eigene innere Handbremse und entschwinde in die Nacht – zur Sicherheit noch auf ein bis drei Absacker bei Donna im Pussycat, das den Trend des Soft Clubbing nicht mitmacht und trotzdem (noch) existiert. Stößchen!

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