Kolumne: Sex-Positionen

Von Algospeak und „Rambazamba“ – Zensur sexpositiver Bildung auf Social Media

2. Mai 2025 Lea Holzfurtner
Bild: Privat
Lea Holzfurtner (@sexcoach.berlin) ist klinische Sexologin und Autorin von „Dein Orgasmus”

Inhalte zu Sexualität, Aufklärung und Feminismus werden zunehmend auf Meta & Co. unterdrückt. SIEGESSÄULE-Kolumnistin Lea Holzfurtner findet das alarmierend, da Social Media vor allem für die junge Generation zum allgemeinen Informationstool geworden ist. Von der Zensur besonders betroffen sind die queere Community und Aktivist*innen – sie weichen zunehmend auf „Algospeak“ aus

Zwischen zwei Coachingsitzungen versuche ich noch schnell eine Story zu einem Buch zu posten. Der Dreh dieses Videos hat mich schon drei Anläufe gekostet, weil ich beim ersten Mal aus Versehen „Orgasmus” ausgesprochen habe, statt mich in meiner Aufklärungsarbeit korrekt selbst zu zensieren.

Im zweiten Anlauf verhaspel ich mich bei meiner Berufsbezeichnung. Klinische Sexologin kann ich auf Insta nicht sein. Ich bin dort „Sologin“. Dann noch schnell gelbe Sterne über das Buchcover, das ich im Video nur unzureichend mit meinen Fingern verdeckt habe. Da ist mir ein „Vulva” durchgerutscht! Und anschließend eine Caption schreiben ohne „böse” Wörter, damit die Plattformen meine Reichweite nicht drosseln oder meinen Account sperren. Das machen sie nämlich regelmäßig bei Kolleg*innen in den Bereichen Aufklärung, Sexwork, Sextoys und Feminismus.

Was sind nun aber „böse” Wörter für den Algorithmus? Es gibt dazu keine öffentliche Liste. Aber Begriffe wie Sex, Vulva, Vagina, Klitoris, bisexuell, queer, Kink, Libido, Porno, Penetration oder Erregung sind erfahrungsgemäß sicher dabei. Auch Begriffe wie Gender, Diversity, Körper, Lust, Trans oder sogar Frau führen dazu, dass Posts schlechter ausgespielt werden. Content wird demonetarisiert, shadowbanned oder gleich gelöscht. Der Hashtag #SexEducation ist auf TikTok in vielen Ländern gesperrt. Ich habe auch Bluesky gefragt, weil die Plattform als Alternative zu Meta gilt, doch bekam keine konkrete Antwort.

Algospeak und Emojis gegen Inhaltsfilter

Aus diesem inoffiziellen Regelwerk hat sich ein fast schon übelriechend süßer Code entwickelt – eine euphemistische Art des Sprechens und Schreibens, um die Inhaltsfilter auf Social Media zu umgehen, auch Algospeak genannt.

Aktvistinnen wie Marie Joan, Sanja Lessia oder Maria Ludovica haben für ihre Communitys kreative Wege gefunden, mit der Zensur umzugehen und nutzen Wortspiele und Emojis: Rambazamba oder 🌶️ statt Sex, 🐚 oder VV (Gesprochen: WieWie) statt Vulva, Selbstentzückung statt Masturbation und 🌽 (engl. corn) statt Porn(o).

Bild: Screenshot Instagram
Marie Joan (@marieejoan) klärt auf Instagram, TikTok und YouTube über sexuelle Inhalte auf und verwendet Algospeak
Inhalte zu Sexualität, Aufklärung und Feminismus werden zunehmend unterdrückt – nicht offen, aber wirksam! Besonders betroffen feministische Aktivist*innen und queere Communitys.

In einer Zeit, in der Social Media eine zentrale Rolle im Informations-Game spielt, alarmiert mich dieser Trend: Inhalte zu Sexualität, Aufklärung und Feminismus werden zunehmend unterdrückt – nicht offen, aber wirksam! Besonders betroffen feministische Aktivist*innen und queere Communitys.

Wieso darf die Platform entscheiden, was wir zum Thema Sex lernen? Die strenge Zensur sexueller Inhalte im Netz basiert auf den US-Gesetzen wie FOSTA (Allow States and Victims to Fight Online Sex Trafficking Act), SESTA (Stop Enabling Sex Traffickers Act) und Section 230(c)(2) des Community Decency Act, der es Plattformen erlaubt, Inhalte zu entfernen, die sie als „obszön, unanständig, lasziv, schmutzig, übermäßig gewalttätig, belästigend oder anderweitig anstößig“ empfinden.

Das gibt Unternehmen großen Spielraum, Inhalte zu blockieren, auch wenn sie aufklären oder künstlerisch gemeint sind. Zusätzlich üben konservative Lobbygruppen massiven Druck auf Tech-Konzerne aus. Ergebnis: Eine digitale Prüderie, die sich global ausbreitet. 

Heteronormative Nacktheit ist erlaubt

Spannend ist, dass die Plattformen bewusst keine Unterscheidung zwischen Nacktheit und der Abbildung von Sex im Sinne des Kinderschutzes und Aufklärung oder Kunst machen. Und noch spannender ist es, dass es dazu zwei kleine Ausnahmen zu geben scheint. Erstens wenn „böse” Wörter von normschönen, wenig bekleideten und im Idealfall tanzenden Menschen benutzt werden, greift die Zensur nicht (immer).

Zweitens: Wenn erfolgreiche Influencer*innen zu Mainstream-Themen Sexeducation ausnahmsweise (!) in ihren Contentplan aufnehmen, werden sie dafür nicht abgestraft. Vorausgesetzt, es gab bisher keinen feministischen oder queerpolitischen Diskurs auf dem Account. Denn Sex oder weiblich gelesene Nacktheit sind nur in Kombination mit feministischem Aktivismus unerwünscht. Big VV Energy? Eher weniger.

Die Künstlerin Kate Shaw wird zum Beispiel regelmäßig gesperrt, während Playboy oder heteronormative, unpolitische Nackedeis fast alles zeigen dürfen. Ich vermute mal dreist, das liegt daran, dass Nacktheit für den Male-Gaze fast so gut funktioniert wie Hass und Wut für die Engagement-Rate.

Eine Influencerin hat dazu neulich ein spannendes Experiment gemacht. Kim Hoss’ Storyviews haben sich vervielfacht als sie anfing, sich selbst mit einem Beautyfilter zu bearbeiten und Wörter wie Party, Morgenroutine und GRWM neben künstlich hohem Kichern in ihre Storys einfließen zu lassen – während sie alles feministisch-aktivistische entfernte. Das Selbstexperiment wurde mit dem gleichen Effekt u.a. von Ruth Moschner wiederholt. What the FAQ?

Bild: Privat
Auf den sozialen Medien wie Meta & Co. werden immer mehr Inhalte zu sexpositiver Bildung eingeschränkt
Was macht es mit mir, wenn ich mich selbst zensieren muss, um als Wissens-Multiplikatorin online sichtbar zu bleiben?

Letztes Mal ging es hier in der Kolumne (Was ist Zirklusieren, Pairing, Flexing und Tribbing?) ja um die Wichtigkeit von Sprache. Was macht es also mit mir, wenn ich mich selbst zensieren muss, um als Wissensmultiplikatorin online sichtbar zu bleiben? Was macht die Zensur mit meinen Aussagen, dass Sexualitäten, Identifikationen, Fantasien und Bedürfnisse unglaublich divers, erlaubt, normal und wunderschön sind, wenn ich noch nicht mal das Wort „Sex“ aussprechen darf?

Ist Boykott der richtige Weg? Das Problem dabei ist, die Plattform ist für mindestens einen Teil meines Lebensunterhalts verantwortlich. Sie sorgt dafür, dass mich Medienschaffende finden und zu ihren Projekten einladen wodurch mich dann wiederum Klient*innen finden, die sich Hilfe bei Orgasmus- oder Libidoherausforderungen wünschen. Und das ist ja mein Hauptjob. Ich sehe die großen Firmenaccounts in der Verantwortung, Druck aufzubauen.

Es gibt aber auch neben all dem auch einen positiven Trend: die Vielfalt von Sexualität findet in anderen Medien langsam mehr Raum. Die Schauspielerin Gillian Anderson hat sich nach dem Dreh der Serie „Sexeducation“ inspiriert gefühlt, Fantasien von Frauen auf der ganzen Welt zu sammeln und als Buch zu veröffentlichen. „Harry Potter“-Schauspielerin Jessie Cave (Lavender Brown) verkauft auf OnlyFans stolz Haarfotos, „Babygirl“ erzählt Macht anders und in „Bridgerton“ haben wir eine realistischere Darstellung vom „ersten Mal“ (der Lady Whistledown) sehen dürfen.

Mehr Positivbeispiele fallen mir gerade nicht ein. Ich frag mal Chatty! ChatGPT fängt kurz eine Antwort an, bricht dann aber ab und löscht die Zeilen wieder. Denn: Mein Thema verstößt gegen die Richtlinien.

Lea Holzfurtner (@sexcoach.berlin) ist klinische Sexologin und Autorin von „Dein Orgasmus”. In ihrer Berliner Praxis und im Podcast „Berlin Intim“ coacht sie Menschen mit Klitoris und deren Partner*innen.

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