Von Balkanpop bis experimentelles Theater: Ivo Dimchevs Kunst der Irritation

Ivo Dimchev liebt die Ambivalenz: Er ist Diva und Punk, Aktivist und Entertainer, multidisziplinärer Künstler und Popsänger. Mit seiner Performance „Metch“ bringt der bulgarische Künstler am 11. und 12. September ein Experiment zwischen Konzert, Ausstellung und Auktion auf die Bühne des HAU
Eine Diva mit Pencilschnurrbart, fransiger Untercut-Perücke, hellblauer Fantasieuniformjacke, einem goldgemustertem, bis zum Bauchnabel aufgeknöpften Hemd und goldener Hose betritt die Bühne: Dieser Mann mit extravagantem Gespür für Kleidung und, im Kontrast dazu, minimalistischen Tattoos, heißt Ivo Dimchev. Das war im Januar 2024 bei einem Konzert des Sängers mit Band in der Kantine am Berghain.
Nun kommt der bulgarische Künstler zurück nach Berlin: Am 11. und 12. September tritt er im HAU auf und zeigt im Rahmen der Berlin Art Week seine Performance „Metch“, die zugleich Konzert, Ausstellung, Auktion und ein „obssesiver Dialog mit dem Publikum“ ist, wie es in der Ankündigung heißt.
Im SIEGESSÄULE-Interview erzählt Dimchev, dass ihn die Kunstmesse Art Basel in Miami Beach inspiriert habe. Beschäftigt habe ihn vor allem, dass „Malereien nur für ein paar Sekunden dem Publikum gezeigt werden“ und „wie sehr diese Art von Präsentation die Kunst abwertet und zu einer gigantischen touristischen Attraktion wurde“.
Deshalb überlegte er sich, eine Ausstellung zu konzipieren, bei der die Zuschauer*innen sitzen müssen und so die Aufmerksamkeit auf ein einzelnes Kunstwerk fokussiert wird. Zuerst realisierte er diese Art von Ausstellung in Livestreams, entschied sich dann, basierend darauf die Performance „Metch“ zu entwerfen, die auch seine Songs mit einbezog. Dabei thematisiert er unter anderem die Beziehung von Bewegung und Choreographie und stellt Fragen wie: „Welchen Zweck erfüllt Choreographie?“, „Warum bewegen wir uns auf der Bühne?“ und „Geht es nur um gute Pressefotos?“
„Wie man im Kontext der bildenden Kunst mit Wert umgeht, ist für mich sehr wichtig.“
Am Ende der Show darf das Publikum über die Bilder abstimmen, die in einer abschließenden Auktion landen. „Wie man im Kontext der bildenden Kunst mit Wert umgeht, ist für mich sehr wichtig“, reflektiert Dimchev. Es gehe um die Balance als Künstler*in kreativ zu sein, auf die Welt zu reagieren, aber auch die eigenen Werke zu verkaufen. Er resümiert: „Je mehr wir uns diesen Dynamiken bewusst werden, umso größer ist die Chance, ab und zu eine gute Distanz zu wahren.“

Ivo Dimchev ist ein wahres Multitalent und nicht nur Choreograph und bildender Künstler, sondern auch queerer Aktivist und Singer-Songwriter. Bei seinen Konzerten fragt er vor jedem Song, ob das Publikum lieber etwas „Versautes“ hören will oder ein Liebeslied, denn er hat ein wildes Potpourri aus sexpositiven Themen, gemischt mit gesellschaftspolitischen Fragen zu bieten. Viele Lieder sind auf Englisch, einige auf Bulgarisch. Seine Songs sind tragisch, komisch, superschwul, feministisch und sanft zugleich – und das verpackt in ohrwurmverdächtiger Balkan-Popsongs mit Folk- und Opernelementen.
Seine Stimme verzaubert mit einem atemberaubenden, samtigen Bariton, steigert sich in einen Sopran, der an ein Theremin erinnert. Live wird Ivo Dimchev von vier Musiker*innen mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und Trompete begleitet. Die Konzerte zeichnen sich auch durch vollen Körpereinsatz und humorvollen Showeinlagen aus.
Koryphäe des Avantgarde-Theaters
Ivo Dimchev wurde 1976 in Sofia, Bulgarien geboren und machte bereits mit 13 Jahren in einem Jugendtheaterclub unter der Leitung des Künstlers Nikolai Georgiev erste Erfahrungen mit einer radikalen, avantgardistischen Stilrichtung des Theaters. Ohne Requisiten liegt der Fokus auf der Stimme und physischen Präsenz der Schauspieler*innen. Auch die Grenze zwischen Bühne und Publikum wird aufgebrochen. Diese Ausbildung ist auch heute noch in Dimchevs Shows zu spüren.
Ab Mitte 20 etablierte sich er sich in der avantgardistischen Tanz- und Theaterszene und ist international eine Koryphäe. Er tritt international bei Festivals auf und unterrichtet Masterklassen in unter anderem Budapest, Amsterdam und Wien. Außerdem ist er Gründer der bulgarischen Humarts Foundation und des Projektraums MOZEI in Sofia.
2016 beginnt Dimchev mit Solokonzerten, für die er einige Songs aus dem Performance-Kontext löst und als individuelle Werke präsentiert. Sein erstes Studioalbum „Sculptures“ bringt er 2018 heraus und geht in Europa, Nord,- und Südamerika und Asien auf Tour. Dimchev hat in seiner Karriere über 100 Songs geschrieben, die in dem „Song Book“ verewigt sind. Seine letzten Bühnenarbeiten „Hell/ Top 40“ und „Metch“ entwickelte er als Artist in Resident im La MaMa Experimental Theatre Club in New York.
Die Kunst des Widerspruchs
Dimchev mag es nicht, wenn polarisiert wird. Auch in der Kunst nicht. Für ihn sei das eine „schreckliche Vereinfachung der Welt“. Stattdessen mag er Komplexität und findet es gefährlich, wenn Kreative in die Falle der Vereinfachung tappen. „Es ist ein zu einfacher Weg, negative Energie zu erzeugen und die Welt um sich herum zu dämonisieren.“ Stattdessen will Dimchev auch mit seinen Feinden reden und sie verstehen. Vor allem will er Kunst machen, die sich traut, widersprüchlich zu sein. So wie er selbst.
In seinem Solospiel „Metch“ zeigt sich das allein in der Ankündigung: „Auf Gedeih und Verderb werden diese Menschen meine sehr komplexe und unvorhersehbare Beziehung zu Theater, Tanz, Politik und zeitgenössischer Kunst erleben oder mit ihr zusammenstoßen müssen.”
„Es ist ein zu einfacher Weg, negative Energie zu erzeugen und die Welt um sich herum zu dämonisieren.“
Ein weiteres Merkmal von Dimchevs Kunst ist es, dass er sich auf seine tuntige Art auch für die sexuelle Befreiung seiner Hetero-Freundinnen einsetzt und damit ein großes Bündnis gegen patriarchale Missstände schafft. Er lässt mit seiner Kunst die weltweite regressive Stimmung gegen Queers für einen kurzen Moment vergessen. Und dabei hat er sich trotz seiner Professionalität und provokanten Art, etwas wunderschön Fragiles bewahrt. Vor allem hat er nie aufgehört, alles und sich selbst radikal in Frage zu stellen.
Ivo Dimchev: METCH,
11.09., 20:00 (Premiere),
12.09., 20:00
HAU2
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