Warum ist Puppy Play so beliebt?
Sie sind wohl das am schnellsten wachsende Phänomen innerhalb queerer, sexpositiver Communitys: die Puppy Player. Binnen weniger Jahre wurden der „Doggy Style“ und das damit verbundene Spiel vom absoluten Underground-Phänomen zum Mainstream: Kein CSD, kaum eine sexpositive Party oder ein Fetisch-Event ohne die Hundemaskenträger*innen und ihre Handler. Doch was fasziniert immer mehr queere Menschen an diesem Fetisch? Und wie sexuell ist das Hundespiel eigentlich? Jeff Mannes hat diese und andere Fragen gestellt
Die Reaktionen ließen nicht allzu lange auf sich warten. Nur wenige Tage nach dem diesjährigen Berliner CSD startete der Verein „Kinderseelenschützer“ eine Petition „für ein Verbot von öffentlich ausgelebter Sexualität und Fetischen beim CSD“. Selbstverständlich mittendrin: die Puppys! Der immer wiederkehrende Vorwurf: Menschen in Hundekostümen würden Kinder gefährden, weil Pup-Play inhärent sexuell wäre.
„Der Mensch hat grundsätzlich Angst vor allem, was er nicht versteht“, kommentiert die Puppy Playerin Pucey das. „Uns wird dann schnell vorgeworfen, wir wären pervers oder pädophil. Das stimmt natürlich nicht. Aber die Menschen vergessen auch schnell: Der CSD ist keine Familienveranstaltung, sondern eine Demonstration.“ Scardi ist ebenfalls Puppy Player und meint: „Die, die sich darüber aufregen, haben sich oft nicht damit auseinandergesetzt und können nicht differenzieren. Nur weil man mit einer Maske herumläuft, heißt das noch nicht, dass man damit auch überall Sex hat.“
„Am Anfang konnte ich damit gar nichts anfangen. Ich fand das ein bisschen komisch.“
Puppy Pucey sah Puppys zum ersten Mal in einer WhatsApp-Story. „Ich dachte gleich: Oh, ist das süß! Ich will das auch!“ Über Chatgruppen kam sie dann in die Szene und traf sich nach grob drei Wochen zum ersten Mal mit Puppy Playern, setzte eine Maske auf und merkte: „Ja, das ist für mich!“ Puppy Scardi kam zum ersten Mal vor vier Jahren auf dem CSD Magdeburg mit Pup-Playern in Kontakt. „Am Anfang konnte ich damit gar nichts anfangen. Ich fand das ein bisschen komisch.“ Scardi fing an, mehr über das Thema zu recherchieren, und merkte Stück für Stück, wie das Interesse stieg. Seit Oktober 2019 ist Scardi nun selbst Puppy.
„Jede fetischistische Form verlangt nach Sichtbarkeit. Sie will nicht immerzu nur im Privaten verharren, sondern sich auch öffentlich zeigen. “
Die Empörung, die Puppys (und deren Handler, also deren „Herrchen“ oder „Frauchen“) immer wieder ernten, ist auch eng mit der gestiegenen Popularität dieses Fetischs verbunden. Und damit auch mit dem Drang der Szene nach Sichtbarkeit und Inklusion. Aus einem Nischenthema innerhalb der BDSM-Community wurde in den letzten Jahren eine weit verbreitete und gut sichtbare Community. „Es handelt sich hierbei um einen relativ neuen, modernen, kreativen Fetisch, der sich nun Sichtbarkeit verschafft“, erklärt Martin Dannecker. Bis 2005 lehrte Dannecker als Professor für Sexualwissenschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich intensiv mit Homosexualität und sexuellen Minderheiten. 1974 war er an der einflussreichen Studie „Der gewöhnliche Homosexuelle“ beteiligt und war außerdem eine bedeutende Figur in der aufkeimenden Schwulenbewegung der 1970er-Jahre. Zur zunehmenden Präsenz der Puppy-Szene auf CSDs und anderen Szene-Events erklärt Dannecker: „Jede fetischistische Form verlangt nach Sichtbarkeit. Sie will nicht immerzu nur im Privaten verharren, sondern sich auch öffentlich zeigen. Das ist hier nicht anders.“ Auf die Frage hin, warum das so ist, zieht Dannecker Vergleiche zur Schwulen- und Lesbenbewegung: „Sichtbarkeit ist der Versuch, sich im gesellschaftlichen Kosmos zu integrieren. So lange etwas davon abgespalten nur im Privaten stattfindet, gelingt diese Integration nicht.“
Um verbreitete Vorurteile abzubauen, hilft eine Auseinandersetzung mit der Frage, was so viele Menschen überhaupt am Puppy-Play fasziniert, wie sexuell dieses Phänomen tatsächlich ist und warum ausgerechnet der Hund die dabei am meisten dargestellte Spezies ist.
Was ist eigentlich Puppy Play?
Pet Play oder Animal Roleplay ist eine Form des Rollenspiels, bei der Menschen in die Rolle von nicht menschlichen Tieren oder deren Handler (bzw. „Frauchen“, „Herrchen“, Trainer, Owner) schlüpfen, oft, aber bei Weitem nicht immer, in einem sexuellen Kontext. Pet Play hat viele Verbindungen zur BDSM-Gemeinschaft, da es oft mit Elementen von Disziplin oder Dominanz und Unterwerfung spielt.
„Mit uns kann man auch quatschen, weggehen, und Spaß haben, ohne zwangsläufig in der Kiste zu landen.“
Pup Play oder Puppy Play ist eine besondere Form des Pet Play, bei der Menschen in die Rolle von Hunden oder anderen Caniden, insbesondere Hundewelpen, sowie deren Handler schlüpfen. Es scheint, dass der Hund die am meisten verbreitete Spezies beim Pet Play ist. Das Phänomen kommt ursprünglich aus dem BDSM-Bereich, wie auch Puppy Scardi betont: „Es stammt aus Master-Slave-Rollenspielen. Der Master war halt der Handler, Owner oder Trainer. Und der Slave war der Puppy, wobei die damals nicht Puppy hießen, sondern Hund, Köter oder Dog.“ Trotz seiner Wurzeln im BDSM ist Pet Play heute allerdings nicht immer sexuelles Spiel. „Manche leben Puppy Play rein sexuell aus, andere rein sozial. Andere wiederum, so wie ich, wechseln zwischen sexuellem und sozialem Play hin und her“, erklärt Scardi weiter. „Es gibt viele, die Puppy Play komplett ohne Sexualität ausleben“, erzählt auch Puppy Pucey, die selbst eine davon ist. „Die reizt an Puppy Play nicht nur, dass sie eine neue Seite an sich entdecken können, sondern auch, dass sie eine Community vorfinden, die einen so akzeptiert, wie man ist.“
Gefühlt gibt es kaum noch eine queere Party in Berlin, bei der man keine Puppys sieht. Bei CSDs, Fetisch-Events, in Clubs und bei queeren Veranstaltungen: überall trifft man auf Menschen mit den mittlerweile allseits bekannten Hundemasken. Scardi und Pucey glauben, dass dies auch auf die Öffnung für nicht sexuelle Formen von Puppy Play zurückzuführen ist. „Wir sind halt keine rein sexuelle Community“, berichtet Scardi. „Mit uns kann man auch quatschen, weggehen, und Spaß haben, ohne zwangsläufig in der Kiste zu landen.“ Pucey fügt hinzu: „Manche Leute sehen es fast schon als Lifestyle.“
Therapeutische Vorteile
„Manche leben Puppy Play rein sexuell aus, andere rein sozial.“
Pet Play ist weder eine Pathologie noch eine Perversion. Viele Expert*innen sind der Ansicht, dass Pet Play, so wie auch andere Formen von BDSM, Fetischen und sozialem Spiel, Beziehungen und Community-Zugehörigkeit aufbaut. Dies hilft wiederum beim Ausdruck des eigenen Selbst und kann sogar therapeutische Vorteile haben wie zum Beispiel Entspannung oder Achtsamkeit. „Ich mache Puppy Play vor allem aus zwei Gründen“, erklärt Puppy Pucey. „Einerseits finde ich es cool, mit anderen Puppys zusammen spielen und raufen zu können. Ich mag dieses Gemeinschaftsgefühl. Gleichzeitig mag ich aber auch die Zuneigung, die man als Puppy vom Herrchen oder Frauchen erfährt.“ Auch Puppy Scardi betont die Alltagsflucht: „Man kann dabei auf verschiedenste Art abschalten und entspannen.“
„Du gehst in einen Zustand, um diesen Puppy in dir selbst zu spielen“
Beim Spiel lassen sich Pet Player oft in den sogenannten Headspace fallen. In Studien haben sie diesen Headspace als einen „Zen-ähnlichen, präverbalen Zustand“ beschrieben, der es ihnen erlaubt, sich nach einem harten Arbeitstag entspannen zu können. „Du gehst in einen Zustand, um diesen Puppy in dir selbst zu spielen“, beschreibt Pucey. „Damit wendest du dich etwas von deinem Alltag ab und kannst dich für einen Moment so verhalten, wie du es möchtest.“ Auch Scardi betont: „Man kann in eine andere Rolle schlüpfen und das Kind in einem rauslassen. Man wird in diesem Zustand verspielter und lockerer.“ Pucey beschreibt, dass sie es im Alltag in der Regel nicht mag, gekrault zu werden. „Wenn ich aber in meinem Headspace bin, dann möchte ich in dem Moment auch von meinem Herrchen gekrault werden, Lob bekommen oder schmusen. Mit der Puppy-Maske fällt mir das leichter.“ Sexualwissenschaftler Martin Dannecker erläutert: „In der Darstellung des Hundes gibt es vermutlich auch einen unbewussten Wunsch nach einem zärtlichen Umgang. Nämlich so, wie man einen Hund streichelt und der darauf dankbar mit dem Schwanz wedelt.“
Mensch-Tier-Gegensatz
Um Puppy Play verstehen zu können, müssen wir die komplexe kulturelle Beziehung von Menschen mit anderen Tieren verstehen. Naturwissenschaftlich gesehen ist der Mensch ein Teil des Tierreichs. Wir sind eine Tierart unter vielen. Wenn wir aber von Tieren sprechen – und diese Bedeutung ist vorherrschend – dann meinen wir Millionen verschiedener Arten, vom Wurm bis zum Gorilla, aber den Menschen ausgenommen. Und das, obwohl Gorillas mehr mit Menschen als mit Würmern gemeinsam haben. Die Sozialwissenschaftlerin Birgit Mütherich beschrieb dieses Paradoxon so: „Menschen sind Tiere und gleichzeitig das Gegenteil von Tieren.“
Durch den Großteil der westlichen Philosophiegeschichte hindurch zieht sich die Idee des Menschen als das Gegenteil von allen anderen Tieren: Menschen werden als vernünftig, aktiv, moralisch, zivilisiert und sauber beschrieben. Alle anderen Tiere werden als das Gegenteil beschrieben: triebgesteuert, von Instinkten geleitet, passiv, wild und schmutzig. Dieser Mensch-Tier-Gegensatz ist so sehr in unserer Gesellschaft verankert, dass wir ihn alle unbewusst über unsere Sozialisierung verinnerlichen.
„Puppy Play spielt ja bewusst mit dem Animalischen“
Das Narrativ des Mensch-Tier-Gegensatzes dient nicht nur dazu, nicht menschliche Tiere zu unterwerfen, sondern auch dazu, „das Tier im Menschen“ unter Kontrolle zu bringen. Alles, was uns daran erinnern könnte, dass wir ja doch auch Teil der Natur, Teil des Tierreichs sind, muss unterdrückt und kontrolliert werden. So sollen wir uns beispielsweise immer „zivilisiert“, anstatt wie „wilde Tiere“ benehmen. Das kann auch mit erklären, warum die öffentliche Sichtbarkeit von Puppy Playern manche Gemüter so sehr erhitzt: Menschen, die es wagen, sich freiwillig in die vermeintlich minderwertige Rolle des Tiers zu begeben, stellen diese gesellschaftliche Ordnung – ob bewusst oder unbewusst – infrage. Und das provoziert, wenn auch die Provozierten nicht immer verstehen, warum sie sich denn provoziert fühlen.
„Puppy Play spielt ja bewusst mit dem Animalischen“, erläutert Dannecker. „Das ist natürlich kein strategischer Vorgang. Aber es knüpft an diese Symbolik, an diesen Mensch-Tier-Gegensatz an und bringt ihn gleichzeitig in Bewegung. Die Sichtbarkeit von Puppy Play geht einher mit der Provokation der glücklichen Unterwerfung des Puppys.“„Puppy Play spielt ja bewusst mit dem Animalischen“, erläutert Dannecker. „Das ist natürlich kein strategischer Vorgang. Aber es knüpft an diese Symbolik, an diesen Mensch-Tier-Gegensatz an und bringt ihn gleichzeitig in Bewegung. Die Sichtbarkeit von Puppy Play geht einher mit der Provokation der glücklichen Unterwerfung des Puppys.“
„Man kann das Wilde, das Tierische, rauslassen und die Zwänge der Gesellschaft vorübergehend ablegen.“
Wenn wir diesen Mensch-Tier-Gegensatz verinnerlichen, dann übt das natürlich auch ständig einen meist unbewussten Druck auf uns aus, diesem Bild des zivilisierten Menschen als dem Gegenteil vom wilden Tier zu entsprechen. Der Druck rührt auch daher, dass es stets eine unbewusste Spannung gibt, zwischen dem, was wir sind (eine Tierart unter vielen) und dem, was wir sein sollen (das Gegenteil von Tieren). Es könnte sein, dass Pet Play genau hier ansetzt, indem beim Spiel diese Spannungen aufgelöst werden. Der Effekt dieser Auflösung kann sexueller Natur sein, wenn das Tabu des Zum-wilden-Tier-Werdens Erregung verspricht (wie das nun mal oft mit Tabus ist). Er kann aber auch sozialer Natur sein, zum Beispiel in Form von nicht sexueller Entspannung. Ähnlich sieht es auch Puppy Pucey, die es mag, zusammen mit anderen Puppys beim Spielen „etwas wilder zu werden“: „Ein Puppy ist in der Regel nicht erzogen.
„Beim Puppy Play spielt Passivität eine große Rolle“
Dementsprechend macht man als Puppy halt manchmal Sachen, die man als Mensch nie machen würde. Wenn man in diesem Headspace ist, dann ist einem relativ egal, was um einen herum passiert.“ Puppy Scardi betont „das Tierische“, das man beim Puppy Play zulassen kann: „Manche leben das auch intensiver aus, indem sie zum Beispiel zu Hause auf allen Vieren essen oder trinken.“ Scardi sieht das Brechen dieses Tabus, des Mensch-Tier-Gegensatzes, als metaphorische Grenzüberschreitung: „Man kann das Wilde, das Tierische, rauslassen und die Zwänge der Gesellschaft vorübergehend ablegen.“
„Beim Puppy Play spielt Passivität eine große Rolle“, betont Dannecker. „Diese passive Rolle wird über den Hund symbolisiert. Man stellt sich dar und zeigt: Ich bin ein sexuelles Spielzeug.“ Und weiter: „Etwas, das vielleicht in der Biografie eines Menschen als passiv erlebt wurde, wird beim Puppy Play in Szene gesetzt. Das kann dann durchaus auch wieder als Triumph über die Passivität gewertet werden. Man dreht die Situation um: Aus der passiven Rolle, in die man gedrängt wurde, wird eine Demonstration der Passivität. Daraus ergibt sich dann auch ein Gewinn an Aktivität und Souveränität.“
Warum Hunde?
Es gibt zwar auch Horse Play, Cat Play, Pig Play, Fox Play und andere Formen des Pet Play. Doch Puppy Play scheint unangefochten an erster Stelle zu stehen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist sicherlich der, dass die Domestizierung keiner anderen Tierart so sichtbar im Leben der meisten Menschen ist, wie die des Hundes: „Der Hund ist kulturell gesehen ein hoch besetztes Objekt“, betont Dannecker. „Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich ja andauernd Menschen mit Hunden durch die Gegend laufen.“
Ein weiterer Grund ist sicherlich auch die symbolische Bedeutung des Hundes, die er mit anderen Tierarten teilt: „Man weiß ja, was es bedeutet, wenn man sagt: Du bist ein Hund! Es ist eine Abwertung“, erklärt Dannecker. „Man könnte jetzt ausholen und darauf verweisen, dass der Hund in manchen Kulturen auch als unrein gewertet wird. Auch damit spielt Puppy Play wahrscheinlich.“
„Man muss uns nicht fürchten, denn wir Puppys beißen nicht“
Angesprochen auf die eingangs erwähnten Diskussionen um die Sichtbarkeit von Puppys auf CSDs, meint Dannecker: „Wenn man Vielfalt ernst nimmt, dann gehört Puppy Play einfach dazu. Wir können ja nicht einfach eine Grenze ziehen und sagen, das wäre jetzt nicht Teil der Szene und nur bürgerliche Schwule, Lesben und Queers sind bei der sichtbaren Vielfalt gemeint.“ Dannecker zieht einen Vergleich zu vergangenen Diskussionen über Sichtbarkeit: „Komischerweise regt sich ja mittlerweile niemand mehr über flamboyante Frauendarsteller und Draqueens bei den CSDs auf. Das war früher anders. Die sind mittlerweile viel mehr akzeptiert, weil man sich auch daran gewöhnt hat. Und so sind auch Pet Player bei CSDs eine Gewöhnungssache.“
„Man muss uns nicht fürchten, denn wir Puppys beißen nicht“, fasst Puppy Pucey diese Debatte zusammen. Und Scardi meint: „Wer sich über uns aufregt, soll doch erst einmal bei uns nachfragen und sich informieren.“
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