Berliner Clubs

Wie gelingt eine diskriminierungsfreie Türpolitik?

6. März 2020 Paula Balov
Bild: Virginia De

Gibt es eine Türpolitik, die nicht ausschließt? Was sind die Anforderungen an Türsteher*innen und wie kann man erreichen, dass sich alle respektiert und sicher fühlen? Paula Balov fragte beim SchwuZ nach, bei dem die Kontrollen an der Tür in den letzten Monaten strenger geworden sind, und bei der Türsteherin und Awareness-Trainerin Nadine Wothe

Berlin gibt sich gern als multikulturelle Stadt, doch die Weltoffenheit endet oft an den Türen der Clubs. Vor allem Menschen mit arabischer oder türkischer Migrationsgeschichte berichten davon, dass sie von Clubtüren mit fadenscheinigen Begründungen abgewiesen werden. Zeit-Journalist Hasan Gökkaya sammelte viele solcher Erfahrungen in seiner Reportage „Geschlossene Gesellschaft“. Auch wenn im Club ein Übergriff passiert, können Betroffene nicht davon ausgehen, dass die Security in Rassismus- oder Sexismusfragen sensibilisiert ist.

Linksalternative und queere Clubs wie About Blank, Mensch Meier oder SchwuZ haben andere Ansprüche an eine Türpolitik als die meisten Mainstreamclubs. Sie nutzen Awarenessstrukturen, arbeiten transparent und mit dem Ziel, einen möglichst diskriminierungsarmen Raum zu schaffen. Begriffe wie „Schutzraum“ und „diskriminierungsfrei“ lehnen viele ab – wie zum Beispiel die Betreiber*innen des SchwuZ. Schließlich könne eine Veranstalter*in nicht garantieren, dass keine Übergriffe passieren. Ziel sei jedoch, so sensibel wie möglich mit dem Thema umzugehen. Das SchwuZ stand in der Vergangenheit schon in der Kritik: 2017 warfen Clubgänger*innen dem Club Rassismus vor, als eine Gruppe Schwarzer Frauen nicht zur „Beyoncélicious“-Party reingelassen wurde, mit der Begründung, sie seien zu laut gewesen.

Die Betreiber*innen des SchwuZ haben sich allerdings aktiv an den Diskursen über Ausschlüsse in der queeren Szene beteiligt, und ihre Praxis und Sicherheitskonzepte stetig angepasst. Der SchwuZ-Geschäftsführer Marcel Weber sieht seinen Club als einen Vorreiter: „Wir setzen uns offen mit der kritischen Diskussion auseinander und arbeiten mit anderen zusammen, um den Status-Quo zu verändern.“ Weil die Clubbetreibenden ihre Ansprüche transparent machen, sind sie angreifbarer als viele Mainstreamläden, die sich eine sensible Türpolitik gar nicht erst nicht auf die Fahnen schreiben. Doch warum scheint es selbst für Clubs mit den besten Absichten so schwer, ihren Ansprüchen gerecht zu werden?

Türsteher*innen benötigen keine Ausbildung


Die Antwort auf die Frage beginnt nicht vor der Clubtür, sondern im Ausbildungsraum. Nadine Wothe ist Türsteherin und Awareness- sowie Diversitytrainerin. Am liebsten arbeitet sie auf queeren Veranstaltungen wie z. B. dem „Queer Summer Splash“. Sie erklärt, wie es in der Branche zugeht: Im Prinzip könne jeder ohne eine bestimmte Ausbildung von einem Club als Türsteher*in angestellt werden. Nur wer über eine Sicherheitsfirma arbeitet, müsse vorher eine Pflichtausbildung machen und nach dem Paragraph 34a der Gewerbeordnung eine Prüfung ablegen. In dieser Prüfung wird u. a. Wissen zum Brandschutz und zum Strafgesetzbuch abgefragt. Diskriminierung sei dort kein Thema und auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gehöre nicht zu den Prüfungsinhalten.

„Der Bedarf an Türsteher*innen, die deeskalativ arbeiten, ist höher geworden.“

Das kritisiert Wothe: Die Diskriminierung, die an Clubtüren passiert, fällt in den Bereich des AGG, „doch wenige Türsteher*innen haben schon einmal davon gehört.“ Ob die Sicherheitskräfte für Rassismus, Sexismus, Homo- oder Transfeindlichkeit sensibilisiert sind, hängt also zum großen Teil von ihnen selbst und von dem Club ab, in dem sie arbeiten. Schulungen und Weiterbildungen gibt es – diese sind jedoch nicht verpflichtend. Dass viele Clubs ihre Mitarbeiter*innen nicht weiterbilden, hat allerdings nicht unbedingt etwas mit Desinteresse zu tun: „Der Bedarf an Türsteher*innen, die deeskalativ arbeiten, ist höher geworden,“ merkt Wothe an. Dabei hänge jedoch die Entscheidung, seinen Mitarbeiter*innen die entsprechenden Kurse zu ermöglichen, oft auch von den finanziellen Mitteln ab.

In Nadine Wothes Workshops lernen Türstehende deeskalierende Kommunikation und den bewussten Umgang mit Körpersprache. In Antidiskriminierungskursen werden sie dazu angehalten, die eigenen Vorurteile zu reflektieren. „Wir werden ja nur gerufen, wenn was schief läuft und das vermittelt uns ein verzerrtes Bild von der Realität“, sagt Wothe. „Es ist wichtig, diese Ressentiments immer wieder zu hinterfragen.“ Im Idealfall solle die Entscheidung, wer reingelassen wird, nicht nur vom ersten Eindruck abhängen. Durch Nachfragen können Sicherheitsleute einschätzen, ob die Besucher*innen den Club gezielt aufgesucht haben oder mit dem Klientel vertraut sind. Dennoch gibt es Situationen, in denen Türstehende stressbedingt in nur wenigen Sekunden Entscheidungen treffen müssen.

Hinter einer gelungenen Türpolitik steckt ein diverses und eingespieltes Team

Das SchwuZ bildet nach eigenen Angaben seine Sicherheitsleute „diskriminierungssensibel“ aus. Jen Pahmeyer ist seit einem Jahr Sicherheitsbeauftrage und selbst Türsteherin im SchwuZ. Das interne Team besteht aus acht Personen, hinzu kommen Sicherheitskräfte von externen Dienstleistern. Das sei laut Pahmeyer eine Herausforderung, da die externen Mitarbeiter*innen immer wieder wechseln. Hinter einer gelungenen Türpolitik stecke meist ein eingespieltes Team: Im Idealfall können sich die Mitarbeiter*innen in ihren Stärken ergänzen. In einem diversen Team finden sich unterschiedliche Perspektiven und auch ein größerer Pool an Sprachen – das kann hilfreich sein, um eine Situation besser einzuschätzen.

Die Sicherheitsbranche sei allerdings nicht sehr divers, berichtet Nadine Wothe: „Viele, die den Job machen, sind weiß. Und was die Geschlechterverteilung betrifft – nun ja, ich bin meistens die einzige Frau.“ An einigen Clubtüren seien die Geschlechterverteilungen aber inzwischen diverser.

Berlin braucht „Türsteher*innen mit Samthandschuhen“

Seit Oktober letztes Jahres hat das SchwuZ die Sicherheitsstandards erhöht und führt am Einlass Bodychecks durch. Entgegen der Befürchtung halten sich Beschwerden bisher in Grenzen, auch wenn es zum Beispiel in den sozialen Medien Kritik daran gab, dass Frauen* von männlichen Türsteher*innen abgecheckt werden. Doch den SchwuZ-Betreiber*innen sei es wichtig, keine Geschlechterrollen zuzuschreiben, weshalb weiblich gelesene Personen nicht nur von Frauen* untersucht werden.

Wer nicht untersucht werden will, kann seine Sachen hinter einem Vorhang auspacken. Ziel war eine Stimmung zu kreieren, in der sich Gäste trauen zu sagen, wenn sie nicht angefasst werden wollen. Laut Pahmeyer wurde diese Praxis positiv aufgenommen. Berlin brauche mehr Türsteher*innen mit Samthandschuhen.

Neben der Türpolitik gehört auch Awareness zu einem diskriminierungssensiblen Sicherheitskonzept dazu. Jen Pahmeyer hat die Awarenessstruktur im SchwuZ konzipiert. Auf jeder Party läuft eine Sicherheitskraft durch die Floors und ist per Funk mit ihren Kolleg*innen verbunden. Ihre Aufgabe ist es, in medizinischen Notfällen schnell zu handeln und bei Übergriffen zu intervenieren. Darüber hinaus soll sie sich um die Betroffenen kümmern und ihnen weitere Ressourcen, z. B. Informationen über Beratungsstellen, mitgeben. „Awareness ist unser Selbstverständnis, das nicht erst zum Einsatz kommt, wenn die Clubtür aufgeht, sondern auch unter Kolleg*innen umgesetzt wird“ erklärt Marcel Weber.

Im Awarenessbereich sei besonderes Fingerspitzengefühl gefragt, findet Nadine Wothe. Dazu gehöre auch das selbstverständliche Fragen nach den Pronomen oder Sensibilität dafür, dass traumatisierte Menschen unter Umständen schneller emotional reagieren. „Eigentlich sind wir die Sozialarbeiter*innen der Nacht.“

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