Reportage

Zwischen Freiraum und Ausbeutung: Arbeiten in der queeren Clubkultur

15. Feb. 2024 ( ) s-p-a-c-e
Bild: Jackielynn

Viele LGBTIQ* arbeiten in der Community, zum Beispiel in Clubs. Aber hier erwarten sie nicht nur Safer Spaces, sondern oft auch prekäre Arbeitsbedingungen und Ausbeutung. Das Kollektiv ( ) s-p-a-c-e beschäftigte sich mit Lohn- und Care-Arbeit in der queeren Clubkultur und arbeitet derzeit an der Publikation „SHSHSHSHIFT“, die noch dieses Jahr erscheinen wird. Für SIEGESSÄULE erstellten sie einen Vorgeschmack darauf

Für viele queere Menschen bedeutet die Arbeit im Club mehr als nur den Lebensunterhalt zu verdienen. Clubs sind Milieus, die anders funktionieren als die normierte Gesellschaft. Während Queers an anderen Orten misstrauisch beäugt werden, können sie im Clubbetrieb einen Arbeitsplatz finden, an dem die Differenz zwischen dem eigenen Selbst und dem Umfeld nicht so groß ist. Und mehr noch: In Clubs treffen queere Menschen auf Gleichgesinnte. Sie erleben einen Austausch und eine Freiheit, die ihnen sonst oft nicht möglich sind. Es bilden sich Communitys, Gemeinschaften. Deswegen verstehen viele queere Menschen ihre Arbeit im Club als eine soziale Praxis.

„In den 90ern gab es einen Hype um diese gemeinsame Familie: ,We are one family’. Wir waren alle traumatisierte, versprengte Kinder und die Clubszene war ein Sammelbecken für uns."

Es sind Dynamiken wie diese, die die Magie eines Clubbesuchs ausmachen: das Gefühl von Zusammengehörigkeit, von einem gemeinsamen Erlebnis, das sich im gemeinsamen Raven zur Musik manifestiert. Martin, der seit den frühen 90er-Jahren u. a. als Barkeeper, Booker, Techniker, an der Garderobe und als DJ arbeitet, sagt: „In den 90ern gab es einen Hype um diese gemeinsame Familie: ,We are one family’. Wir waren alle traumatisierte, versprengte Kinder und die Clubszene war ein Sammelbecken für uns.” Und obwohl gerade queere Menschen dafür eine so zentrale Rolle spielen, bleibt ein großer Teil ihrer Arbeit unsichtbar, wird nicht vergütet und bekommt nicht die Anerkennung, die sie verdient.

Zunehmende Kommerzialisierung

Deswegen haben wir – die wir uns selbst zur Clubszene zählen, ob arbeitend oder ravend – mit queeren Clubarbeiter*innen aus unterschiedlichsten Bereichen gesprochen. Wir wollen die Verhältnisse umdrehen und die ermächtigen, die die Arbeit machen, sei es Community-, Care- oder Lohnarbeit. „Das ist eines der Dinge in der queeren Kultur, die generell wirklich problematisch sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute in exponentiell größerem Umfang zur queeren Clubkultur beitragen, als sie dafür entschädigt werden”, erzählt etwa Sarrita, die schon seit knapp 20 Jahren im Nachtleben unterwegs ist. Und das, obwohl sich die Stadt und auch die Technoclubs in den letzten Jahren massiv kommerzialisiert haben. Mittlerweile zählen Clubs wie Opern und Theaterhäuser zu Kultureinrichtungen – ein Status, der mit finanziellen Erleichterungen einhergeht. Doch die ökonomischen Verhältnisse von Clubarbeitenden haben sich kaum verbessert. „Ich bin seit 13 Jahren in der Clubkultur tätig, und ich muss sagen, dass ich das Gefühl habe, dass die Organisator*innen in der Vergangenheit viel großzügiger waren”, erzählt Sampson, der seit 1993 als Barkeeper und Performer arbeitet. „Je mehr Geld sie bekamen, je mehr Status und je mehr kulturelle Anerkennung sie bekamen, desto weniger großzügig wurden sie. Es scheint, als ob die Institutionalisierung der Clubräume das Herzblut aus der Sache herausgesaugt hat, dem Ort der Familie und des Zuhauses, und sich immer mehr auf das Geschäft und das Geld konzentriert hat.” Das mag zum einen daran liegen, dass die Betreibenden von Clubs trotz des neuen Status selbst unter finanziellem Druck stehen. Der entsteht zum Beispiel dadurch, dass viele Clubs sogenannte Zwischennutzungen sind. Was bedeutet: Ein Gelände soll möglicherweise verkauft werden. Bis das geschieht, dürfen Betreibende das Gelände nutzen. Aber sie bekommen nur einen kurzen Pachtvertrag ausgestellt. Eine langfristige finanzielle Planung ist so nur schwer möglich. Zum anderen wirkt sich natürlich auch die Inflation auf die Clubs aus. Vor allem gestiegene Heizkosten und Mieten machen vielen Clubs zu schaffen. Darüber hinaus müssen Clubs oft Investitionen tätigen, um etwa Lärmvorschriften zu entsprechen.

Das wirkt sich auf die Löhne aus. Im Club arbeiten die Menschen entweder als Angestellte, mit einer Honorierung, die kaum über dem Mindestlohn liegt. Oder sie sind als Minijobber*innen angestellt oder arbeiten als Freelancer*innen – was bedeutet, dass sie auch ihre Gesundheits- und Sozialversicherungen selbst tragen müssen. Aufstiegschancen, die sich finanziell auszahlen, gibt es innerhalb der Clubstrukturen kaum. Selbst wenn sie leitende Positionen mit mehr Verantwortung übernehmen, steigt ihr Lohn kaum mit an. Insgesamt bedeutet die Arbeit im Club für die Menschen nicht nur ein finanziell prekäres Leben, sondern oft auch mangelnde Gesundheitsvorsorge und schlechte Absicherung im Alter.

Queere Kollektive wissen um diese Schwierigkeiten und tun ihr Bestes, die ökonomischen Bedingungen auszugleichen und adäquate Räume für marginalisierte Gruppen zu schaffen. „Die meisten Queer-Partys versuchen, mit den meisten Leuten, die ihre Zeit freiwillig zur Verfügung stellen, so gut wie kostendeckend zu arbeiten”, erzählt Sarrita. „Und es ist kompliziert, denn es gibt größere Veranstaltungen. Aber diese Veranstaltungen unterscheiden sich sehr von den kleineren Veranstaltungen. Es ist einfach eine ganz andere Erfahrung.” Es sei nicht wirklich möglich, eine kleine bis mittelgroße queere Party zu veranstalten, bei der jede*r vernünftig bezahlt werde. Vor allem seit der Pandemie beobachtet Sarrita deswegen zweierlei Entwicklungen: Entweder, die Partys werden viel größer, sodass sie sich finanziell selbst tragen können. Oder sie werden deutlich kleiner und finden eher im Untergrund als in etablierten Clubs statt.

„In den Clubs entsteht ein Machtgefälle, das es so zuvor nicht gab: zwischen der im Club arbeitenden Arbeiterklasse und der den Club konsumierenden Mittelklasse."

Unsichtbare Fürsorgearbeit

Die sich ändernden finanziellen Verhältnisse bringen aber auch noch ganz andere Bedingungen für die Clubarbeitenden mit sich. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, und längst nicht mehr alle, die gern in Clubs gehen möchten, können sich dies noch leisten. Leisten können es sich mittlerweile nur noch Menschen, die der Mittelklasse angehören und ein bestimmtes Einkommen haben. In den Clubs entsteht ein Machtgefälle, das es so zuvor nicht gab: zwischen der im Club arbeitenden Arbeiterklasse und der den Club konsumierenden Mittelklasse. Clubarbeitende erzählen, wie sehr sich das Miteinander verändert, die soziale Bindung schwächer, das Verhalten aufgeladener und aggressiver wird. Dazu kommt, dass mittlerweile eine neue Generation alt genug ist, um Zutritt zu Clubs zu haben: die Gen Z. Eine Generation, die als sehr auf sich selbst bezogen gilt, die mehr auf ihr eigenes Erleben bedacht ist als auf das Drumherum. Auch so verändert sich die Crowd im Club. Und das beeinflusst maßgeblich das Erleben und Erfahren von Community im Club. Auch diese Verhältnisse müssen Clubarbeitende aushalten und abfedern.

„Wir möchten versuchen, den Raum so sicher wie möglich zu gestalten, mit finanziellen, aber auch menschlichen Ressourcen, die wir haben“, sagt Killa, Gründungsmitglied vom Party-Kollektiv Lecken. „Wenn eine PoC-Person zum Beispiel nicht mit einer weißen Person vom Awareness-Team reden möchte, dann springen wir ein und übernehmen diese emotionale Arbeit. Wenn Leute uns vorwerfen, dass wir nicht nur Minoritys für Care-Arbeit anstellen, sagen wir auch, dass wir nicht nur Minoritys mit dieser extra emotionalen Arbeit belasten wollen.” Genau diese Arbeit, die wir als Care-Arbeit, also Fürsorgearbeit, verstehen, bleibt unsichtbar und unvergütet. Dazu gehört auch der andauernde Umgang mit Menschen in Extremsituationen. Viele Clubbesuchende berauschen sich mit Substanzen und geraten so auch mal in körperlich oder mental brenzlige Situationen, in denen Clubarbeitende sie auffangen. Vor allem auf Partys mit queerem Publikum.

Die Arbeit in der Club- und Ravekultur bedeutet für queere und marginalisierte Clubarbeitende nicht nur zu arbeiten, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie ist vielmehr notwendig, um ein soziales Netz der Beziehungen zu knüpfen, die in der heteronormativen Gesellschaft nicht möglich sind. Ein grundsätzliches Verständnis füreinander, gegenseitige Akzeptanz und eine intuitive Sensibilität für auftretende Ereignisse, pragmatische und direkte Konfliktlösung sind Eigenschaften, die queere und marginalisierte Arbeitende mit allen anderen Arbeitenden in der Subkultur teilen. Gerade dieses persönliche Eingebundensein, diese Dringlichkeit und Leidenschaft macht Clubarbeitende allerdings ausbeutbar und hält sie ökonomisch in prekären Verhältnissen. Sie profitieren am wenigsten von der zunehmenden Professionalisierung der Cluborte, von institutionellen Förderungen und der Einstufung von Clubkultur als Kulturgut.

„SHSHSHSHIFT“,
Buch zu einer queeren clubarbeitenden Klasse, voraussichtliche Veröffentlichung: Sommer 2024 im Verlag edition assemblage. Mehr Infos: s-p-a-c-e.xyz

Wer ( ) s-p-a-c-e unterstützen möchte, kann das Buch vorbestellen, ein Artwork erwerben, Anzeigen schalten oder spenden. Kontakt: hello@s-p-a-c-e.xyz

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