Kultur

Zerstörerisches Begehren

24. Mai 2014
© Marcus Lieberenz

Willkommen in der Vorhölle! Das Kriegsschiff, das Captain Vere in Benjamin Brittens „Billy Budd“ in die Schlachten gegen die Französische Republik kurz nach der Revolution führt, ist ein schwimmendes Gefängnis. Die Matrosen wurden zwangsrekrutiert, Druck und Gewalt, um das Schreckgespenst einer Meuterei zu bannen, sind an der Tagesordnung. Genau das richtige Biotop für einen hasserfüllten, verbitterten Charakter wie John Claggart, der für Ordnung auf dem Schiff sorgen soll. Alles Schöne und Lebendige zeigt ihm nur noch deutlicher, wie kaputt er selbst ist. Deshalb will er den jungen Matrosen Billy Budd – attraktiv, allseits beliebt und lebensfroh – zerbrechen. Und vielleicht ist es auch Claggarts uneingestandenes Begehren, das er mit Billy ausschalten will. Diese Möglichkeit lässt Britten in „Billy Budd“, komponiert nach einer Vorlage von Hermann Melville („Moby Dick“), im Subtext offen. An der Deutschen Oper zeigt die Neuinszenierung von David Alden die destruktiven Seiten des Begehrens, wenn es nur um Eifersucht und Macht über das Objekt der Begierde geht. Dafür hat Alden diesem Stück Seefahrer-Romantik und schwule Matrosen-Stereotype ausgetrieben: Die Mannschaft bewegt sich vorwiegend im düsteren Schiffsbauch, in Schach gehalten von bewaffneten Eingreiftruppen. An der Spitze dieses faschistoiden Sozialgefüges steht Captain Vere, ein Schöngeist in einer klinisch weißen Edelkajüte. Bei Vere, ebenfalls von Billy angezogen, zeichnet David Alden sehr subtil verstecktes Begehren, etwa wenn der Kapitän in der Gegenwart Billys neckisch auf dem Schreibtisch sitzt und mit den Beinen baumelt oder wenn beide sich gegenüber sitzen und es scheint, als ob Vere gleich zum Kuss übergeht. David Alden gelingt es, die Spannung zu halten, weil er mit der richtigen Dosierung nur andeutet und damit die unterdrückten Gefühle in dieser militärischen Männergesellschaft nur kurz aufblitzen lässt. Sämtliche Sänger und der Chor halten diese Dramaturgie der gewaltsam kontrollierten Emotionen bis zum Ende bravourös durch. Das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles trägt die Spannung mit langem Atem, wobei die Instrumentalfarben gerne noch etwas greller und die Konturen noch ein bisschen schärfer ausfallen könnten. Alles in allem jedoch ein sehr packender Opernabend. Unbedingt sehenswert!

Eckhard Weber

„Billy Budd“, 28., 31.05., 19:30, Deutsche Oper

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