Bühne

Brutale Poesie: Genets „Querelle“ als Kurzoper

16. Juni 2014
© Aras Gökten

Vier Kurzopern an einem Abend: „LoveAffairs“ ist das Werk von jungen Bühnenmenschen, die ein Stipendium der Deutsche Bank Stiftung erhalten haben. Eine der vier Opern ist eine Adaption von Jean Genets Roman „Querelle“, einem der männlichsten Stoffe der Literaturgeschichte. Die Besetzung ist rein weiblich – warum das so ist, und was das für das Stück bedeutet, erkären die Dramaturgin Katinka Deecke, die Komponistin Birke Jasmin Bertelsmeier und die Sängerin Christina Sidak im Interview mit Siegessäule-Chefredakteurin Christina Reinthal

LoveAffairs“ ist das Abschlussprojekt des Stipendienprogramms „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung. Was ist das genau?
Katinka Deecke:
Das ist ein Programm für KomponistInnen, RegisseurInnen, DirirgentInnen, DramaturgInnen und BühnenbilderInnen, das ein Mal im Jahr ausgeschrieben wird. Wer da angenommen wird, hat zwei Jahre lang den Luxus, regelmäßig durch Deutschland und Europa zu reisen, um verschiedene Opern- und Theateraufführungen anzuschauen. Am Ende der zwei Jahre steht dann ein Abschlussprojekt, bei dem die ca. 15 StipendiatInnen gemeinsam einen Abend entwickeln. Dafür haben wir uns in vier Teams aufgeteilt, um mit den zwei KomponistInnen und vier RegisseurInnen unseres Jahrgangs vier neu komponierte Kurzopern zu entwickeln.

Ihr seid in einem der vier Teams zusammen und habt euch für eine Bearbeitung von Jean Genets „Querelle“ entschieden, wie seid ihr darauf gekommen?
K. D.:
Da muss ich für unseren Regisseur Tilman Hecker sprechen, der heute leider nicht dabei sein kann. „Querelle“ war absolut Tilmans Baby. Er ist ein großer Fan französischer Schriftsteller und fasziniert von Genet und seinem Leben. Genet war ein Outlaw, der früh anfing zu stehlen und eine Affinität zur Kriminalität entwickelte. Mit seiner Homosexualität ging er sehr offen um und hat sich auch in seinen Texten explizit mit Sexualität auseinander gesetzt.

Es ist einer der männlichsten Stoffe in der Literaturgeschichte. Ihr besetzt eure Kurzoper komplett mit Frauen. Warum?
K. D:
Das war das Glück der Umstände! Zunächst waren wir von einer anderen Besetzung ausgegangen, aber dann hatte die Deutsche Oper keine männlichen Darsteller zur Verfügung und wir bekamen die Chance, „Querelle“ mit Frauen zu besetzen.
Birke Jasmin Bertelsmeier:
Die Deutsche Oper brauchte alle männlichen Ensemblemitglieder für die Inszenierung der ausschließlich männlich besetzen Oper „Billy Budd“ und uns gefiel der Gedanke sofort, „Querelle“ mit Frauen zu besetzen. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir es uns gar nicht mehr anders vorstellen. Die weibliche Besetzung hat einen besonderen Zauber und meinem Wunsch, eher für tiefe Stimmen zu komponieren, konnten wir durch die vornehmliche Besetzung mit Alt- und Mezzo-Stimmen entsprechen.
K. D:
„Querelle“ ist tatsächlich ein sehr männlicher Stoff, in dem eigentlich nur eine einzige Frau mitspielt. Aber in der ausschließlich weiblichen Besetzung steckt die große Chance, nicht einfach in so ein Genredenken zu verfallen – schwuler Matrosenroman, Hafenromantik etc. Natürlich begibt sich das Stück dadurch in eine Debatte über Rollenaufteilungen und Geschlechtlichkeit. Die Kostüme von Belén Montoliú Garcia zitieren die männlichen Klischees, betonen aber auch die Weiblichkeit der Darstellerinnen. Die Ebenen werden vermischt und die Figuren sind nicht mehr so leicht einem Geschlecht zuzuordnen.

Christina, du singst zwei Rollen in der Kurzoper. Wie findest du es mit diesem Stoff zu arbeiten?
Christina Sidak:
Für mich war „Querelle“ ein unglaublicher Sprung ins kalte Wasser. Ich kam zur ersten Probe und wusste noch nichts Genaues. Das war schon sehr interessant, gerade in dieses Stück so einzutauchen, weil es für uns alle zunächst ein großen Befremden war.

Wie viel Männlichkeit müssen die Darstellerinnen annehmen?
C. S.:
Tilman hat mir relativ schnell klar gemacht, dass es darum nicht geht. Er will nicht, dass wir so klassische Hosenrollen spielen, was für uns alle recht naheliegend war. Denn als Mezzosopran bin ich es gewöhnt, dass ich öfter mal Hosen an habe und auch mit Mädchen rummache. Für mich als Darstellerin gibt es in „Querelle“ schon Momente, in denen ich damit spiele, die Weiblichkeit meines Kostüms durch die Männlichkeit in meinen Bewegungen zu konterkarieren. Es geht aber nicht darum, dass wir Mädels schwule Jungs spielen.

Die Handlung ist ja sehr aggressiv. Wie setzt ihr das um?
B. J. B.:
In der Musik steht die Aggressivität nicht im Mittelpunkt. Es geht um das Ungreifbare des Verbrechens, das Unberührbare und Faszinierende. Leutnant Seblon, eine der Hauptfiguren des Romans, verehrt den Matrosen Querelle, aber die beiden haben keinen echten Kontakt. Faszination ja, aber keinen Kontakt. Aber natürlich geht es auch um den Reiz des Kriminellen und um die Anziehungskraft des Brutalen.

Interview: Christina Reinthal

„LoveAffairs", Premiere am 20.06., 21., 24.–27.06., 20:00, Tischlerei in der Deutschen Oper Berlin

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