Musik

Nina Hagen wird 60

9. März 2015
Nina Hagen © Jim Rakete

– Man mag über Nina Hagen denken, was man will, aber eines ist sicher: Keine andere Pop-Künstlerin aus Deutschland hat international so nachhaltige Spuren hinterlassen wie sie. Weltweit gilt die gebürtige Berlinerin seit den späten 70er Jahren als die deutsche „Mother of Punk“ – auch wenn ihre Musik nie wirklich dem klassischen Punk oder Post-Punk entsprach. Doch sich in ein stilistisches oder gesellschaftliches Korsett zwängen zu lassen, kam für Nina eh nie infrage. Sie war immer anders – unbequem, revolutionär, feministisch, queer. Am 11. März wird die deutsche Popikone 60 Jahre alt.

Blicken wir zurück. Der Bruch mit Erwartungshaltungen gehörte seit den späten 70er-Jahren zum Konzept Hagen. Nach den ulkigen Nummern ihrer DDR-Karriere wie „Hatschi Waldera“ oder dem unsterblichen „Farbfilm“ explodierte das erste Westalbum der Sängerin (1976 hatte sie aus Solidarität mit ihrem ausgewiesenen Stiefvater Wolf Biermann die DDR verlassen) wie eine Bombe in der spießig-muffigen BRD-Tristesse der späten 70er-Jahre: Auf „Nina Hagen Band“ und dem nicht minder revolutionären Nachfolger „Unbehagen“ – damals noch mit ihrer kongenialen Begleitband, die später als Spliff eine zweite Karriere machen solle – schmetterte Nina ebenso zornig wie virtuos über Feminismus, Abtreibung, Drogenmissbrauch und Homosexualität und brach damit sämtliche gesellschaftlichen Tabus dieser Zeit. Ausgestattet mit der nötigen Trotzigkeit und einer vier Oktaven umfassenden Ausnahmestimme brachte sie Botschaften und Wahrheiten in deutsche Wohnzimmer, deren gesellschaftliche Sprengkraft bis heute nachwirkt. Nina war queer im besten Sinne des Wortes. Unvergessen ihr legendäres Rockpalast-Konzert von 1978 oder der Auftritt in einer Talkshow des ORF ein Jahr später, bei dem sie offen, mutig und äußerst anschaulich über weibliche Masturbation und die Klitoris sprach. Ein Skandal, selbst aus heutiger Perspektive.

Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem in Deutschland verschmähten dritten Album „Nunsexmonkrock“ von 1982, auf dem sie nach der überraschenden Trennung von ihrer Band mit sämtlichen Erwartungshaltungen brach, indem sie auf Englisch sang und den Mucker-Rock der ersten beiden Alben durch düster experimentellen Postpunk ersetzte. Der Rest ist Geschichte: Mit den jeweils in deutscher und englischer Sprache veröffentlichten Nachfolgealben „Angstlos“ (produziert von Disco-Legende Giorgio Moroder) und „Nina Hagen in Ekstase“ zementierte sie ihren Status als international anerkannter Star, 1985 markierte der Auftritt vor 300.000 Menschen bei Rock in Rio einen weiteren Meilenstein ihrer Karriere.

In Deutschland dagegen tat man sich immer schwerer mit Nina Hagen und ihren mitunter kontroversen Thesen zu HIV und Aids, UFOs und Spiritualität. 1989 wurde aber auch hier ihr Album „Nina Hagen“ als Rückkehr zu alter Form gefeiert und die 90er gerieten mit Platten wie „Revolution Ballroom“, „Street“ oder „Return of the Mother“ (2000) zu einer zweiten Blütezeit ihrer Karriere. In den Nullerjahren wurde es dann künstlerisch immer stiller um Nina. Ihre in dieser Zeit veröffentlichten Bigband- und Gospel-Platten enthielten ausschließlich Coverversionen. Obwohl sie immer schon eine besondere Beziehung zu religiösen Erlöserfiguren aller Art hatte, rückte ihr christlicher Glaube spätestens ab 2009 stärker ins Zentrum ihrer Musik und Auftritte. 2011 veröffentlichte sie ihr bisher letztes Studioalbum „VolksBeat“, das von ihrer neu erwachten, obsessiven Liebe zu Gott und Jesus durchdrungen war. Auch wenn ihre relevante künstlerische Phase fraglos der Vergangenheit angehört und es durchaus einfach wäre, sie für ihren derzeitigen Output zu kritisieren, sollte man sie nicht voreilig in die Schublade der skurrilen Ulknudel verfrachten, auch wenn ihre Auftritte in Otto Waalkes „Zwergen-Trilogie“ durchaus dieser Sparte zuzurechnen sind.

Nina Hagen hat künstlerisch viel geleistet, dabei stets streitbar den Finger in die Wunden dieser Gesellschaft gebohrt. Wo andere peinlich berührt schwiegen, sprach sie laut über kontroverse Themen, setzte sich für Menschen- und Tierrechte ein. Das macht sie nicht nur zur Mutter des deutschen Punk, sondern gleichsam zu einer der wenigen queeren Ikonen dieses Landes. Happy Birthday, liebe Nina, und danke für alles!

Jan Noll

„Nina Hagen wird 60 – Brecht-Lieder zur Klampfe", 10.03., 21:00, Berliner Ensemble

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