Zu plakativ?

– „Gleiche Rechte für Ungleiche“ ist das Motto des Lesbisch-Schwulen Stadtfests im Homo-Kiez am Nollendorfplatz. Zum 23. Mal findet das europaweit größte Straßenfest dieser Art statt, mit über 100 teilnehmenden Gruppen und Ständen, fünf Bühnen und ausgiebigem Programm – und mit einem überraschenden Plakat. Das Motiv sind zwei sich küssende Frauen, eine davon trägt Kopftuch. „Gleiche Rechte für Ungleiche“ steht auf Deutsch und Arabisch darüber.
Dass erstmalig ein rein lesbisches Motiv für das Stadtfestplakat gewählt wurde, ist in der Tat besonders. „Beim Stadtfest sind immer mehr Lesben dabei, das wollten wir mal thematisieren“, erklärt Dieter Schneider, der im Auftrag des Regenbogenfonds das Stadtfest organisiert. Und das Kopftuch? „Es gibt doch auch lesbische Muslimas!“ Thematisch soll das Motiv aber nicht verstanden werden, es gibt auch keine besonderen Veranstaltungen, die Bezug darauf nehmen, so Dieter Schneider weiter. „Aber wie immer gibt es einen FrauenLesbenTrans*- Bereich mit eigener Bühne. Hier präsentieren sich Frauenprojekte, das gibt es schon seit Jahren und ist immer sehr präsent.“
Das bestätigt Annette Krüger, die die FrauenLesbenTrans*-Bühne seit sieben Jahren betreut. „Das Stadtfest bietet Jahr für Jahr eine super Mischung aus Politik und Unterhaltung und hat uns immer einen großen Support gegeben“, erzählt sie. Dieses Jahr hat sie etwa als Hauptact am Samstagabend Msoke gebucht, einen Trans*mann aus Tansania, der sich mit Reggae und World Music gegen Sexismus, Homophobie, Transphobie und soziale Ungleichheit einsetzt. „So ein Event hilft auch dabei, andere Realitäten sichtbar zu machen“, erklärt Annette Krüger und erinnert sich an eines der letzten Jahre, als die ModeratorInnen das Publikum in zwei Teile teilten und es dazu animierten, abwechselnd „Smash transphobia!“ und „Smash homophobia!“ zu skandieren. „Viele haben sich danach informiert, was das überhaupt bedeutet.“ Ihr Fazit: „Das Stadtfest sind wir alle! Bringt euch ein, wenn ihr etwas ändern wollt!“
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Kritik. Das Netzwerk „Diskriminierungsfreie Szenen für alle“ beklagt seit 2012 rassistische und transphobe Vorfälle auf dem Stadtfest. „Wir hatten ein Gespräch mit GLADT“, bestätigt Andreas Sucka, der Vorstand des Veranstalters Regenbogenfonds ist und seit 1999 mit Mann-O-Meter am Stadtfest teilnimmt. Das Plakat mit der Muslima sei aber keine Reaktion auf die Kritik der vergangenen Jahre, die Vorwürfe seien sowieso „nicht haltbar“. Das Stadtfest sei eine Plattform für viele verschiedene Projekte, die sich präsentieren, und auf deren Inhalte man keinen Einfluss habe.
Das vermeintlich weltoffene Plakatmotiv stößt ebenfalls auf Kritik. Dies sei eine „Instrumentalisierung“, heißt es bei GLADT (Gays und Lesbians aus der Türkei). Auch LesMigras, der Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung, findet Motto und Plakat besonders in dieser Verbindung „problematisch“. Das Arabisch sei falsch geschrieben, die Offenheit vorgeschoben. „Es geht nur um die eigene Selbstdarstellung und nicht um antirassistisches Engagement, um tatsächliche Zusammenarbeit und Beschäftigung mit unterschiedlichen Lebensrealitäten von Lesben, Schwulen, Bi, Trans* und Inter*“, heißt es in einer Stellungnahme. LesMigras diskutiert noch, ob es unter diesen Umständen am Straßenfest teilnehmen wird. „Weder fühlen wir uns über die Bilder noch über die Ansprache als Ungleiche repräsentiert."
Malte Göbel
23. Lesbisch-Schwules Stadtfest, 20./21.06., ab 11:00, Weitere Infos und Bühnenprogramm unter: stadtfest.berlin