„Diskriminierung steht auf der Tagesordnung“

– Fluchtgeschichten sind so individuell wie die Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Heimat verlassen müssen. Eine besonders sensible Thematik sind dabei Flüchtlinge, die in ihrem Herkunftsland aufgrund ihrer sexuellen Identität akut bedroht waren. Für sie ist auch die Situation in den vermeintlich sicheren Ländern alles andere als einfach. „In den Flüchtlingsunterkünften leiden viele unter einem homophoben Umfeld“, sagt Jouanna Hassoun von der Berliner Beratungsstelle MILES (Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule) im Interview mit SIEGESSÄULE.de. Am 04.06. wird die Sozialmanagerin auch bei einer von den QueerSozis und Mechthild Rawert organisierten Veranstaltung über die Situation queerer Flüchtlinge in Berlin auf dem Podium mitdiskutieren.
Sie beraten queere Flüchtlinge. Können Sie ein Beispiel schildern? Ich hatte einmal eine Transgender-Person in der Beratung, bei der ich gegenüber dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) gesagt habe, dass es definitiv nicht zumutbar ist, diese in einer Unterkunft mit anderen Männern unterzubringen. Die Gefahr, dass ihr was angetan wird, ist da einfach sehr hoch – sowohl psychisch als auch physisch. Letztlich waren wir dann erfolgreich. Aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit hat sie schließlich ein Einzelzimmer bekommen. Man muss aber auch klar sagen, dass das nur deshalb bei der Erstregistrierung geklappt hat, weil wir uns nicht haben wegscheuchen lassen. Die MitarbeiterInnen waren uns gegenüber dann aber sehr aufgeschlossen und hilfsbereit.
Stichwort Unterkunft. Gibt es neben den Beratungsstellen auch entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten für queere Flüchtlinge? Nein – und das ist auch das größte Problem, mit dem wir zu kämpfen haben. Immer wieder erzählen uns schwule Männer, die den Großteil der Hilfesuchenden bei uns ausmachen, dass sie sich in ihrer Unterkunft unwohl fühlen. Man muss wissen, dass in den Unterkünften ein homophobes Umfeld vorzufinden ist, in dem Diskriminierung auf der Tagesordnung steht, ohne das pauschalisieren zu wollen. Auch sexuelle Übergriffe/sexuelle Belästigungen kommen vor, so dass manche schwule Flüchtlinge teilweise von Unterkunft zu Unterkunft wechseln müssen.
Gibt es da von behördlicher Seite aus keine Möglichkeiten einzugreifen? Wenn man sensibel genug wäre, auf jeden Fall. Allerdings schauen die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften oft weg. Oder bekommen es nicht mit. Gar nicht unbedingt böswillig, sondern weil sie mit der Thematik einfach überfordert sind bzw. sich schlichtweg nicht auskennen.
Was fordert MILES gegenüber der Politik? Wir haben zum einen die Forderung, dass Betroffene nicht etwa nach Eisenhüttenstadt oder andere ländliche Gebiete verteilt werden, wo sie aufgrund ihrer Herkunft und auch ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden. Wir bekommen deshalb täglich Anfragen aus dem Umland und deutschlandweit, die von uns beraten werden wollen, wie sie es schaffen können, nach Berlin verlegt zu werden. Unter anderem auch, weil wir hier wesentlich bessere Möglichkeiten haben, dass sich die Menschen in die Gesellschaft integrieren und es bessere Hilfsangebote gibt, liegt darin der Kern unserer Forderung. Bei der zweiten Forderung geht es darum, das Asylverfahren bzw. die Registrierung für queere Flüchtlinge zu vereinfachen. Das fängt schon damit an, dass bei der Erstregistrierung, bei der die Flüchtlinge ihre Erlebnisse erzählen sollen, teilweise 20 Personen im Raum sitzen. In dieser Situation die eigene Homosexualität zu thematisieren, ist für die meisten sehr schwierig. Wir wünschen uns deshalb eine Ansprechperson beim LAGeSo speziell für LGBTQ-Menschen.
Das Thema wird morgen im Rahmen der Podiumsdiskussion „FLEEING HOMOPHOBIA - Sexuelle Orientierung und Asyl“ besprochen. Was erwarten Sie sich von der Veranstaltung? Wir erhoffen uns in erster Linie, dass dadurch unsere Forderungen gehört werden und der politische Druck – auch auf die LAGeSo – erhöht werden kann.
Interview: Daniel Segal
FLEEING HOMOPHOBIA - Sexuelle Orientierung und Asyl, Diskussion zur Situation queerer Flüchtlinge in Berlin, 04.06., 19:00, Wilhelm-Leuschner-Saal, DGB-Haus