Keine innovativen Ideen für Berlin

Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) hat dazu aufgerufen, sich am 12. Juni um 9 Uhr vor dem Bundesrat an einer Kundgebung für die Öffnung der Ehe zu beteiligen. Denn am Freitag werden die Länder im Bundesrat über einen Antrag zur „Ehe für alle“ abstimmen. Doch welche politischen Konsequenzen ergeben sich überhaupt aus dieser Entscheidung und welche Rolle wird Berlin spielen? Inwieweit dieser Tag wirklich eine Bedeutung für die „vollständige Gleichbehandlung der Ehe von gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren“ haben wird, klärten wir im E-Mail-Interview mit Anja Kofbinger, queerpolitische Sprecherin der Grünen.
Anja, über was genau wird im Bundesrat am 12. Juni abgestimmt? Nach dem positiven Referendum in Irland haben sich verschiedene Rot-Grün- regierte Länder überlegt, wie sie die Debatte im politischen Raum in Deutschland führen können. Niedersachsen und Thüringen waren dann die ersten Bundesländer, die zusammen einen Entschließungsantrag „Ehe für alle“ eingereicht haben. Am 12. Juni wird deshalb über diese Entschließung und den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ abgestimmt.
Ist es wahrscheinlich, dass die benötigte Mehrheit von 35 Stimmen erreicht werden kann? Neben den oben genannten Ländern, haben sich inzwischen alle Rot-Grünen und Rot-Roten Bundesländer der Entschließung angeschlossen. Damit gibt es eine Mehrheit von 40 Stimmen. Das reicht!
Warum geht man davon aus, dass sich Berlin bei dieser Abstimmung enthalten wird? Welche Rolle spielen hier die Rot-Schwarze Koalition, die in der Frage nach der Öffnung der Ehe keine einheitliche Position vertritt, und der Regierende Bürgermeister Michael Müller? Üblicherweise vereinbaren Koalitionen, dass sie sich bei unterschiedlicher Haltung enthalten, was faktisch einer Nein-Stimme gleichkommt. So wird es auch in Berlin sein, zumal man die Berliner Stimmen für eine Mehrheit nicht braucht. Meiner Prognose nach wird sich Müller nicht über den Koalitionsvertrag hinwegsetzen, weil er die schweren Verwerfungen scheut, die das in der Koalition erzeugen würde. Das ist ihm die Sache nicht wert. Müller ist kein Visionär, der sich innovative Ideen für Berlin auf die Fahne geschrieben hat. Eine Enthaltung passt sehr gut zu seiner zurückhaltenden Weiter-so-Politik. Bereits Wowereit hatte sich zur Eheöffnung im Bundesrat im März 2013 enthalten.
Wenn es am 12. Juni im Bundesrat eine Mehrheit gibt, welche konkrete Konsequenz hat diese Entscheidung für die Politik und die Öffnung der Ehe? Der Bundesrat kann den Bundestag erst einmal zu nichts verpflichten, aber er kann Gesetzentwürfe in den Bundestag einbringen. Die müssen dann auf die Tagesordnung gesetzt und ganz normal beraten werden. Die Bundesregierung kann (fast) alles ignorieren, sie täte aber nicht gut daran. Interessant wird sein, wie sich die Fraktionen im Bundestag verhalten. Es geht schließlich ein Signal von der zu erwartenden Bundesratsabstimmung aus. Die Frage ist doch: Wird der Fraktionszwang aufgehoben und darf jede Abgeordnete und jeder Abgeordneter nach seinem Gewissen abstimmen.
Interview: Andreas Scholz

Anja Kofbinger
Kundgebung vor dem Bundesrat, 12.06., 09:00, berlin.lsvd.de