Berlin kneift

Mit der heutigen Entschließung im Bundesrat gibt es eine klare Aufforderung an die Bundesregierung, sich mit dem Thema Eheöffnung zu befassen. Ein weiterer Schritt in Richtung Gleichbehandlung ist getan. Das ist gut und wichtig – ebenso wertvoll ist auch die Tatsache, dass durch diesen Vorgang die Debatten wieder angeheizt wurden. Es fühlt sich gut an, wir bewegen uns vorwärts. Aber auch wenn dieser Beschluss ein großer Erfolg ist, wird klar, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.
Seit Jahren habe ich schon dieses Murmeltiergefühl. Es scheint als würde ich jeden Morgen mit derselben Radiomeldung geweckt werden: „Konservative befürchten den Untergang der traditionellen Familie und finden, die Institution Ehe ist Menschen vorbehalten, die Kinder bekommen wollen.“ Ich bewundere die zahlreichen AktivistInnen und PolitikerInnen, die nimmermüde dagegen halten. Mich persönlich bringt es zur Verzweiflung, dass die Gegner und Gegnerinnen der „Ehe für alle" mit immerwährender Dreistigkeit dieselben blutleeren Argumente in den Äther spucken. Sie tun ja gerade so, als sei die Zahl der Eheschließungen auf eine bestimmt Anzahl pro Jahr beschränkt, und dass dann nichts mehr für sie übrig bliebe, wenn all die Homos kämen und nun auch noch heiraten dürfen. Was genau passiert da eigentlich, dass ihnen diese Absurdität nicht klar wird. Immerhin nahm sich Staatsminister Michael Roth (SPD) die „Frechheit“ raus bei der Debatte am Donnerstag im Bundestag per Zwischenruf von der Regierungsbank anzumerken, dass ja auch Frau Merkel keine Kinder habe. Es bleibt zu befürchten, dass außer einer Rüge für Herrn Roth nicht viel passieren wird.
Trotz all dieser Beharrlichkeit haben wir einen durchaus positiven Beschluss im Bundesrat. Dieser hat zunächst lediglich eine symbolische Bedeutung, entscheiden muss der Bundestag. Aber wo wir gerade bei Symbolen sind: Welches Signal sendet eigentlich die Tatsache in die Welt, dass ausgerechnet Berlin sich bei dieser Abstimmung enthalten hat? Eine Weltstadt, die zu einem solchen Thema die Klappe hält? Eine Metropole, die sich damit schmückt, offen für alle Kulturen und Lebensweisen zu sein, kneift bei der Frage nach der Eheöffnung, kurz nachdem Irland – also ein kleines überwiegend katholisches Land, das insgesamt ungefähr so viele Einwohner hat wie Berlin – mir nichts, dir nichts die Ehe für alle eingeführt hat? Und noch schlimmer: Ein Bürgermeister, der einer Partei angehört, die sich vollkommen einig darüber ist, dass Schwule und Lesben nicht anders behandelt werden sollen als Heteros, hebt bei dieser wichtigen Abstimmung nicht seine Hand? Herr Müller, so geht es nicht! Genau wie sein Vorgänger ruht sich unser amtierender Bürgermeister auf eine Klausel im Koalitionsvertrag mit der CDU aus. Denn das wäre wohl das wichtigste aller Zeichen in dieser Debatte gewesen, dass nämlich die Partei, die im Wahlkampf 100% Gleichstellung versprach, dieses Versprechen einlöst und dabei einen kleinen oder meinetwegen auch größeren Rumms in der Koalition riskiert. Zum Glück haben wir Michael Müllers Mut nicht gebraucht: Der Bundestag muss die Eheöffnung in seine Tagesordung aufnehmen.
Christina Reinthal