SIEGESSÄULE PRÄSENTIERT

„Wunderkammer“ im Chamäleon: Sinnlich, sexy, kraftvoll

11. Sept. 2015
Freyja Edney, Meisterin der Ringe © Hong Nguyen Thai

Gleich in der Exposition, wenn sich alle Mitwirkenden mit kurzen und sehr prägnanten Miniauftritten bei halbgeöffnetem Vorhang präsentieren, werden Erwartungen geweckt, die mehr als erfüllt werden. Solche an Sinnlichkeit, Nacktheit, auch Androgynität, aber auch an absolute Körperbeherrschung und launiges Entertainment. All das löst Wunderkammer, die Show der Truppe C¡rca spielend ein. Schönheit, Brillanz und Meisterschaft, Poesie, Burlesque und „Kraftmeierei“, aber immer voller Leichtigkeit und Ironie.

Im ersten Teil entspinnt sich ein Figurentheater mit Slapstickeinlagen (beispielsweise ein barfüßiger Stepptanz auf Luftpolsterfolie), Akrobatik, Clownsnummern und Skulpturen aus Menschen, die eigentlich fast unmöglich scheinen: drei auf einer, sogar fünf auf und an einer Person stehend und hängend, Frau stemmt Mann – und es ist keine große Sache. Scheinbar zumindest. Nach einem hinreißend verträumten und doch kraftvollen Adagio am chinesischen Mast (Conor Nell), gibt es Einsichten dahingehend, was ein Akrobat so alles anhat und ausziehen kann. Sein Kollege Scott Grove singt dazu live „Big Spender“. Nicht nur bei diesem Auftritt sorgt der schöne Jarred Dewey für eindeutig schwule Aperçus und Momente.

Wirkt im ersten Teil noch vieles wie skizziert, wie ein Entwurf dessen, wo es hingehen könnte, gewinnen die Agierenden nach der Pause zunehmend an Kontur. Die Hula Hoop-Virtuosin Freyja Edney ist athletisch und zudem komisch, ihre Kollegin Alex Mizzen ist ausgebildete Turnerin und zugleich hinreißende Tänzerin.

Was „Wunderkammer“ auszeichnet, sind die gleichberechtigten Auftritte von Frau und Mann – auf Augenhöhe. High Heels spielen da nur bedingt eine Rolle. Da gehört niemand zum starken oder schwachen Geschlecht. Diese Leute haben den alten Unfug vermutlich niemals gehört. Erotik ist allemal im Spiel, sei es bei einer solistischen Kontorsionsnummer am Trapez mit integriertem Men-Strip oder beim „Duell“ oder besser Pas de quatre dreier Frauen mit einem Mann in der Luft. Der Stärkere gibt nach oder auch nicht. Die Männer sind hier ohnehin auffallend sanft trotz aller Muskelspiele und auch die Ladies dürfen und können verschiedene Seiten zeigen. Dynamik kommt auch durch den Soundtrack. Eine sehr kluge Musikauswahl hat Regisseur Yaron Lifschitz getroffen, von Bach bis Bowie bis zu Laibach geht es da und wirkt dennoch nie gestückelt, sondern leitet von einem Bühnenereignis auf das nächste über. Eine tolle Show, die viel zu schnell vorbei geht.

fh   

SIEGESSÄULE präsentiert: Wunderkammer, bis Februar 2016, Di.–Do., Chamäleon

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