Griechenland-Wahl: Entscheidet die LGBTI-Fraktion?

„Lebst du allein auf Korfu?“, fragt der junge, attraktive Kellner des Cafés und schaut mich mit flirtendem Blick an. „Ja, leider“, antwortete ich, „eigentlich wollte mein Freund mit nach Korfu kommen. Hat es sich aber in letzter Minute anders überlegt.“ Plötzlich guckt er nur noch verblüfft, fragt irritiert nach, als hätte er nicht richtig verstanden. Ich muss schmunzeln. Ein derart offener Umgang mit Homosexualität überfordert viele Griechen, sogar so offensichtlich schwule. Queeres Leben findet auf Korfu noch immer überwiegend im Verborgenen statt. In Netzportalen wie Gayromeo sind kaum Gesichter zu erkennen, und in der realen Welt ist eine Alibi-Freundin Pflicht. Noch im letzten Jahr gab es in Korfus gut 100.000 Einwohner-Haupstadt Kerkyra eine winzige Homo-Bar. Ohne Regenbogenfahne oder sonstig verräterischem Hinweis. Leider wurde der sympathische Laden vom eigenen Erfolg überrannt. Ausgelassener, nächtlicher Lärm störte in einer Stadt, in der das Leben überall erst ab zehn Uhr abends so richtig los geht. Die Bar musste schließen. Jetzt trifft man sich wieder an bestimmten Stränden oder privat.
Soviel Prüderie im Jahr 2015, wie kann das sein? In Griechenlands Gesellschaft spielt die Kirche eine tragende Rolle. Zwar sind Griechen meist herzenswarme, fröhliche Menschen, ihr Lebensrahmen – Feiertage, Grundeinstellungen, Gemeinsamkeiten – wird aber stark vom griechisch-orthodoxen Glauben vorgegeben. Und der lehnt Homosexualität strikt ab, schwul gilt als schwach. Soziale Versorgung im deutschen Sinn gibt es zudem nicht, kaum einer riskiert, von Familie oder Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Jedoch hat das Internet auch hier einiges verändert. In den Freundeslisten sind offen lebende LGBTI’s nun für jeden sichtbar, schnell spricht sich herum, wer wen kennt. Und so ist aus dem früheren Verstecken ist ein griechisches „Don’t ask, don’t tell“ geworden. Viele sind damit erst einmal zufrieden, sehen es als ersten Schritt Richtung mehr Offenheit.
Der korfiotische Künstler Leonidas (38), mit dem ich mich in dem Café treffe, ist einer der wenigen, die selbstbewusst schwul leben. Der stämmige, oft süffisant grinsende Mann malt gern Ikonen. Kurioses Korfu. Über die Verklemmtheit der anderen lacht er: „Ja, so sind die Griechen. Jeder redet über jeden, weiß alles. Aber die Fassade darf nicht bröckeln.“ Der schöne Kellner hat inzwischen mitbekommen, dass ich aus Berlin komme. Er beugt sich zu mir herunter, flüstert: „Ich mag Berghain.“ Zwinkert. Wieder muss ich schmunzeln. Dann berichtet Leonidas, dass Alexis Tsipras bei vielen LGBTIss große Hoffnungen wecke. Im Januar opferte Tsipras sein Wahlversprechen, die Syriza werde für LGBTIs eine rechtlich anerkannte Lebenspartnerschaft einführen, noch der Koalition mit der ANEL, einer Art griechischen CSU, stark heimatverbunden und wertkonservativ. Nun, bei der kommenden Wahl, werden die Würfel neu gemischt. Tsipras Vorsprung vor der konservativen Nea Dimokratia ist derzeit minimal, und die ANEL wird es wohl nicht erneut ins Parlament schaffen. Deshalb könnten die Stimmen der LGBTI-Wähler diesmal durchaus entscheidend sein. Außer bei der Syriza finden sich in keinem anderen Parteiprogramm LGBTI-Rechte.
Dass es die nur mit Tsipras geben wird, weiß auch Thanos, einer der Macher vom Gay-Pride in Thessaloniki. Er hatte den immer gewinnend auftretenden Syriza-Anführer einmal persönlich gefragt, wie es denn mit dem Adoptionsrecht für Schwule und Lesben aussähe. „Dafür gibt es in griechischen Gesellschaft noch zu viele Vorbehalte“, antwortete Tsipras ihm unverblümt offen. Betonte dann aber, dass seine Partei die subtile gesellschaftliche Diskriminierung gleichgeschlechtlich Liebender endlich beenden wolle. Immerhin.
Und wie sehen griechische LGBT’s die Wirtschafts-Krise, die ihr Land und auch Europa die ersten sieben Monate 2015 so in Atem hielt? Thanos bestätigt meine Erfahrungen von Korfu ebenfalls für Thessaloniki: Schwul oder lesbisch zu sein, spielt dafür keine eine Rolle. Auch viele aus der LGBTI-Fraktion haben in diesem Jahr, trotz der genannten, schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen, den Patrioten in sich entdeckt. Sie lieben ihr sonniges Land, das gegen die kalte deutsche Sparpolitik so mutig aufmuckte. Dem Hauch von Revolution, kaum jemand konnte sich seiner mitreißenden Kraft entziehen. Allerdings gibt es bei den griechischen LGBTIs auffallend viele überzeugte Europäer, und die wollen endlich mehr Wohlstand. Und eben LGBTI-Rechte. Notfalls von der EU diktiert. Darüber wird nun heftig diskutiert. Im Netz, aber auch schon mal in einem Café. So wie Leonidas, ich, und der nette Kellner, der sich zu uns gesetzt hat, es schließlich tun. Laut und ohne Hemmungen. Ich spüre: Die Hoffnung, dass sich endlich etwas zugunsten von LGBTI’s bewegt, sie wächst. Und wenn nicht nach dieser Wahl, dann eben nach der nächsten. Geduldiges Griechenland.

Frank Jaspermöller war Ende der 90er-Jahre Partyveranstalter in Berlin. Seit 2012 lebt er in Griechenland. Von dort aus arbeitet er als Journalist und schreibt für verschiedene deutsche Publikationen. Voraussichtlich im Frühjahr 2016 erscheint sein erster Roman: „Boxerherz“.