Protestwelle in der Türkei: Es geht auch um die Rechte von LSBTI

Die Protestwelle in der Türkei nahm an einem äußerst schwulen Ort ihren Lauf: Wie der Tahrir-Platz in Ägypten, wo vor zwei Jahren das Ende des Mubarak-Regimes eingeleitet wurde, ist der Gezi-Park in Istanbul seit Jahrzehnten ein Cruisinggebiet schwuler Männer.
Hier stehen auch die teils uralten Bäume, die UmweltaktivistInnen retten und das dort geplante Shoppingcenter verhindern wollen. Nach massiven und brutalen Polizei-Einsätzen geht unterdessen ein breites Bündnis von Menschen gegen die Erdogan-Regierung (AKP) auf die Straße, darunter auch LGBTI-Gruppen.
Im siegessaeule.de-Interview: Hakan Taş (Sprecher der Berliner Linksfraktion für Inneres, Partizipation und Flüchtlinge), der 1993 nach der Organisation des ersten Istanbuler Prides des Landes verwiesen wurde und sehr eng mit LSBT-AktivistInnen in der Türkei zusammenarbeitet.
Was bedeuten die Proteste für die LSBTI-Community in der Türkei, vor allem vor dem Hintergrund, dass am 30. Juni im Gezi-Park der Pride Istanbul stattfinden soll?
Mir wurde berichtet, dass die Polizei im Moment gezielt Schwule, Lesben und Transgender inhaftiert, um sie vor dem CSD in Istanbul einzuschüchtern. Es haben wohl auch gezielt Razzien in LSBTI-Lokalen stattgefunden. Die Regierung bestätigt das nicht, aber von Einzelpersonen erreichen uns dementsprechende Nachrichten. Der CSD soll verhindert werden. Wir werden uns aber nicht einschüchtern lassen, der CSD findet auf jeden Fall am 30. Juni in Istanbul statt.
Der Gezi-Park ist seit Jahrzehnten ein Treffpunkt von Schwulen. Und das weiß die Polizei natürlich, und wie sie es auch in der Vergangenheit immer wieder versucht hat, will sie die Schwulen und Lesben vom Stadtkern weg in die Randbezirke vertreiben. Sie sollen im Stadtbild nicht zu sehen sein, und das ist durchaus auch ein Ziel der AKP-Regierung. Erdogans AKP geht gegen Lesben und Schwule auch deshalb so hart vor, weil sich LSBTI insgesamt sehr stark mit UmweltaktivistInnen und anderen NGOs solidarisieren. LSBTI sind immer vorne mit dabei, wenn es Proteste gibt.
Werden die LGBTI-Gruppen denn im Gegenzug auch von den anderen DemonstrantInnen unterstützt?
Ja. Seit 1993 findet ja der CSD in Istanbul statt, beim allerersten bin ich ja damals in der Türkei festgenommen und abgeschoben worden, ich war einer OrganisatorInnen. Mittlerweile haben wir aber ein breites Bündnis in der Türkei erreichen können. Und bei den jetztigen Protesten sind auch LSBTI-Gruppen dabei, die Regenbogenfahnen tragen. Leider fehlt den LSBTI in der Türkei die Unterstützung von außen. Sie wünschen sich ähnliche Hilfe, wie in anderen europäischen Ländern üblich ist. Insbesondere in diesem Jahr, weil sie ein massives Vorgehen der Polizei und Regierung fürchten.
Wie kann die Unterstützung konkret aussehen?
Insbesondere die politisch Verantwortlichen sollten dort vor Ort sein, ihre Solidarität bekunden und an der Demonstration teilnehmen, so dass sich die türkische Regierung vielleicht zurückhält und gegen den CSD nicht hart vorgeht.
Wie kann man die türkische Community als Privatperson unterstützen?
Berlin ist Partnerstadt von Istanbul. Wenn wir in Berlin für Menschenrechte kämpfen, müssen wir das in unserer Partnerstadt, eigentlich auf der ganzen Welt auch tun. Und Istanbul ist nur zweieinhalb Stunden von Berlin entfernt, insofern kann man leicht anreisen und an der Demonstration teilnehmen. Man kann den CSD Istanbul aber auch finanziell unterstützen, über Lambda Istanbul.
Hoffst du, dass die jetzigen Proteste auch die Situation von LGBT in der Türkei verbessern?
Gestern hat der Ministerpräsident Erdogan (AKP) im Fernsehen erklärt, er würde die Menschenrechte achten – ich denke, er missachtet sie. Aber Lesben und Schwule müssen das Recht haben, überall in der Stadt, überall in der Türkei zu leben, und das muss er sicherstellen.
Interview: Christian Mentz