Politik

Zurück in den Schrank! – Die Wahlen in Frankreich

10. Dez. 2015
Titelseite des Magazins L'Humanité

Keine Frage, das Ergebnis der französischen Regionalwahlen vom Sonntag ist beunruhigend. In sechs von zwölf Regionen liegt der rechtsextreme Front National (FN) von Marine Le Pen vor den Konservativen und Hollandes Sozialisten. Entsprechend titelten so unterschiedliche Zeitungen wie die kommunistische L‘Humanité und der konservative Figaro einträchtig: Le Choc. Doch kommt der „Schock“ gar nicht so überraschend. Bereits bei den Europawahlen 2014 schickten die französischen WählerInnen den FN mit 25 Prozent als stärkste Kraft ins europäische Parlament. Die zweite Runde der Regionalwahlen kommenden Sonntag verspricht keine Hoffnung auf Besserung – und 2017 stehen in Frankreich die Präsidentschaftswahlen an. Keine guten Vorzeichen. Nicht nur für Frankreich.

Nein, auch hierzulande gibt es keinen Grund, selbstgefällig („Tss, die Franzosen!“) über den Rhein zu schielen. Laut Umfragen steht in Deutschland die AfD bei über zehn Prozent. Und ihr Zulauf könnte größer werden. Gerade auch aus der Community, wo sich immer häufiger – bislang vorwiegend in der Form einiger mehr oder weniger prominenter Spalter und in den Kommentarfunktionen von Communityforen – ein gefährliches Liebäugeln mit den Niederungen rechter Abschottungsparolen feststellen lässt, ein Hadern mit den Errungenschaften und Werten der offenen, liberalen Zivilgesellschaft.

Die Nationalisten und neuen Rechten gehen geschickt vor. So gelang es Marine Le Pen, ihrer Partei nach außen ein moderates Antlitz zu verpassen, wie mit ihrer offiziellen Rede zum 1. Mai 2011, in dem sie Nationalismus bewusst modern und integrativ zu artikulieren weiß: „Ob Mann oder Frau, heterosexuell oder homosexuell, christlich, jüdisch oder muslimisch – wir sind alle erst mal Franzosen!“. Ein Blick ins Parteiprogramm des FN verspricht geradezu das Gegenteil – inklusive Angriff auf die liberalen Freiheitsrechte von Frauen, LGBTs und anderen Minderheiten. Die rechte Taktik, auf dem Marsch durch die Institutionen Kreide zu fressen, die auch die Rechtspopulisten hierzulande gut beherrschen, verfängt dennoch entsprechend. So bekannte beispielsweise Matthieu Chartraire – Mr. Gay 2015 der schwulen Zeitschrift Têtu – gegenüber der linksliberalen Tageszeitung Liberération auf Nachfrage seine Sympathie für den FN. Der Skandal war gemacht, die Aufmerksamkeit sicher und „Mr. Gay“ entblödete sich nicht, trotzig sodann in die Partei auch einzutreten. Dieses Jetzt-erst-recht der vermeintlichen Tabubrecher ist beunruhigend.

Die Rechtsextremen erscheinen ausgerechnet für jene wählbar, deren Lebensentwurf den Rechten doch seit jeher als Angriff auf die traditionelle Familie und die Gesellschaft schlechthin gilt. Die „rosa Schafe“ in der FN-Parteifamilie tragen dazu bei, der Partei einen pseudoprogressiven Anstrich zu verleihen: So wurde der Vizevorsitzender des Front National, Florian Philippot, 2014 vom Magazin Closer geoutet. Sein Schwulsein hat er nie dementiert, wohl aber gegen die „Verletzung der Privatsphäre“ geklagt. Gerüchte über diverse homosexuelle Regional- oder Bezirkskandidaten machen immer mal wieder die Runde, was im neuen FN aber nicht zum Parteiausschluss führt – solange die Betreffenden Diskretion nach außen wahren. Das gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das repressive, antiemanzipatorische Klima, das nach einem Sieg des FN auf republikanischer Ebene droht: Zurück in den Schrank.

Die Gründe für den Triumph der französischen Rechtsextremen verorten Wahlanalysten in der Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, der schwachen französischen Wirtschaft, hoher Arbeitslosigkeit und unleugbar massiven Integrationsproblemen, wo man die arabischstämmige Minderheit in den abgehängten Vorstadthochburgen zu lange sich selbst und dann dem wachsenden Einfluss islamistischer Kräfte überlassen hat. Nicht zuletzt die Terroranschläge vom Januar und nun vom November in Paris dürften dazu beigetragen haben, dass der FN mit seiner martialischen Abschottungsrhetorik nun leider allzu vielen als echte Alternative erscheint. Das Liebäugeln der LGBTI-Community mit Rechtspopulisten und deren rassistischer Hetze geschieht dort, wo man sich real oder imaginär mit homophoben Tendenzen (auch) aus muslimischen und migrantischen Milieus konfrontiert sieht. Und doch ist das genau die falsche Antwort.

Die islamistische Agenda lässt sich gerade nicht mit jener der klassischen Rechten bekämpfen. Denn: Beider Opfer ist die offene freiheitlich-liberale Bürgergesellschaft, die es Frauen sowie LGBTIs und anderen Minderheiten erst ermöglicht, relativ frei zu leben. Ein Kokettieren mit rechten Ideologien verbietet sich für die Community von selbst. Genauso wie der permanent nöligen Distanzierung und Relativierung von „westlichen“ Werten das Wort zu reden, die zuvorderst das Versprechen universaler Menschenrechte darstellen. Die Flüchtlinge – die neuen EuropäerInnen – aus den Bürgerkriegsgebieten geben dem recht: Sie fliehen zuhauf nach Europa – nicht etwa nach Iran, Saudi-Arabien, Russland oder in die Golfstaaten. Es geht nun also darum, hier wie im Rest Europas gemeinsam mit Flüchtlingen das zu verteidigen, was Europa (noch) vor anderen Teilen der Welt auszeichnet: das Versprechen der universalen Menschenrechte – für alle!

Melanie Götz

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