Jahresausblick

Hallo 2016!

3. Jan. 2016
Daniel Segal

Ein Leben ohne Klaus Wowereit? Kaum vorstellbar. Und wenn man sich den Michael Müller nur mal anschaut – Berlin ist spätestens zu Silvester out. Mit genau dieser Befürchtung sind viele in das letzte Jahr gestartet. Gut 365 Tage später ist klar: Berlin ist Berlin geblieben – und keine Angst, auch 2016 wird so viel gefeiert, gesoffen und gefickt werden wie eh und je. Und wenn man die Anziehungskraft unserer Stadt an der Anzahl von Billigairline-Landungen bemisst, muss sich Berlin auch darüber nun wirklich keine Sorgen machen. Und das ganz ohne neuen Flughafen, der – nebenbei bemerkt – auch 2016 noch auf seine Eröffnung warten wird. Also alles locker im neuen Jahr?

Äh nein. Denn da gibt es eben doch ein paar Dinge, über die wir uns sehr wohl Sorgen machen müssen: Da wäre das Thema Flucht. Im Jahr 2015 sind rund 79.000 Menschen in Berlin angekommen, die vor Krieg und Terror in ihren Heimatländern geflüchtet sind und eine lebensgefährliche Reise auf sich genommen haben, um sicher zu sein vor Gewalt und Tod. Dass Geflüchtete bei ihrer Registrierung im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) oft wochenlang auf einen Termin warten müssen – unfassbar! Dass auch die Genehmigung des – ohnehin spärlichen – Taschengelds teilweise ewig dauert – unerträglich! Liebes 2016, sag dem Senat bitte, dass das sofort aufhören muss! Und bitte sag der Regierung, dass wir noch mehr Geld brauchen, um die Geflüchteten vor uns zu schützen. Im soeben abgelaufenen Jahr gab es bundesweit 800 (erfasste) Übergriffe auf Flüchtlinge und Fluchtunterkünfte.

Eine ganz andere Dimension der Gewalt erleben dagegen immer wieder homosexuelle und trans* Flüchtlinge. Nach einer traumatisierenden Flucht in die vermeintliche Sicherheit erleben sie in den Sammelunterkünften häufig Ablehnung und Übergriffe durch andere Bewohner. Berlin muss es 2016 schaffen, dass geflüchtete LGBTIs sicher bei uns leben können. Für uns als BerlinerInnen lautet die Aufgabe in diesem Jahr dagegen, die neuen Queers in der Stadt noch stärker in der Community aufzunehmen. Wie schaffen wir es zum Beispiel, dass ein schwuler Mann aus Syrien genauso feiern gehen und eine Nacht lang alles vergessen kann wie jeder andere, für den 8 Euro Eintritt oder mehr keine größere Ausgabe bedeuten? Geld darf keine Hürde zur Teilhabe sein.

Eine gute Gelegenheit, geflüchtete Mit-BerlinerInnen nicht nur abstrakt über die Medien zu erleben, sondern wirklich ins Gespräch zu kommen, wird im Sommer der CSD sein, der in diesem Jahr wegen der Fußball-Europameisterschaft erst am 23. Juli stattfinden wird. Das Motto 2016: „Danke für nix. “ Die einen finden's super, die anderen doof, alles wie immer also. Die BefürworterInnen jedenfalls denken, damit würde gut rüberkommen, dass wir uns für die – ohnehin noch immer nicht erfolgte – Umsetzung von Artikel 3 des Grundgesetzes („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) nicht zu bedanken brauchen. Stichwort: Ehe für alle. Und da hat sich ja gerade Berlin im letzten Jahr bekanntlich nicht mit Ruhm bekleckert. Die Stimmenthaltung der Hauptstadt-GroKo im Bundesrat hat viele mehr als enttäuscht. Umso aufmerksamer sollten wir deshalb auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September blicken. Wird die Berliner SPD erneut mit der CDU koalieren? Und wenn ja, wird sie sich künftig trauen, stärker für ihre Überzeugungen einzustehen?

2016 ist also einiges los. Letzlich kommt es darauf an, dass wir am Ende des Jahres sagen können, dass Berlin ein bisschen besser geworden ist, und zwar für alle! Auf meiner Wunschliste steht dieses bescheidene Ansinnen auf jeden Fall ganz oben.

Daniel Segal

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