Berlin

Gewalt gegen queere Geflüchtete: Pressegespräch mit Erzbischof Heiner Koch

15. Jan. 2016
Erzbischof Koch (Dritter von rechts), Jouanna Hassoun von MILES (Zweite von rechts), Ulrike Kosta vom Berliner Caritas-Verband (Zweite von links) und Geflüchtete beim Pressegespräch

In den Community-Medien ist das Thema schon lange präsent, vereinzelt auch in großen Tageszeitungen und Magazinen: Immer wieder erleben queere Geflüchtete in den Sammelunterkünften für AsylbewerberInnen psychische wie physische Gewalt durch andere Bewohner. Und immer wieder wird darauf verwiesen, dass die besondere Schutzbedürftigkeit dieser Gruppe von staatlicher Seite aus zu wenig berücksichtigt werde. Dazu kommt, dass die alltägliche Gefahr, der homosexuelle und trans* Geflüchtete ausgesetzt sind, zwar für die Betroffenen unerträglich ist, in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung fristet das Thema jedoch noch immer ein Nischendasein. Oft hat man den Eindruck, dass zu viele Menschen insgeheim denken, es würde sich hier um ein Luxusproblem handeln. „Die sollen doch froh sein, dass sie überhaupt hier sind“, so der Tenor.

Die Gewalt gegen queere Flüchtlinge ist allerdings kein marginales Phänomen. Beim Pressegespräch im Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) sprach der LSVD von 95 Geflüchteten, die sich allein zwischen August und Dezember 2015 an die Institution wandten und zumeist in den Fluchtunterkünften Opfer homo- oder transphober Gewalt wurden. Das Schockierende daran ist nicht nur die Zahl 95, viel mehr muss man davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl der Gewaltvorfälle immens höher liegt.

Wenn Berlins Erzbischof Heiner Koch, der sich vor dem Pressegespräch mit den anwesenden Geflüchteten unterhalten hatte („eine bedrückende Erfahrung“) also sagt, er wolle seine Kontakte zur Politik nutzen, um „das Thema weiter in den Fokus zu rücken“, klingt das irgendwie gut. Und wenn die ebenfalls anwesende Direktorin des Berliner Caritas-Verbands, Ulrike Kosta, fordert, dass sämtliche MitarbeiterInnen im Flüchtlingsbereich eine „verpflichtende Schulung“ bekommen sollen, auch. Allerdings: Dabei handelt es sich um langfristig angelegte Strategien, die denen, die akut bedroht sind, wenig nutzen.

50 queere Geflüchtete seien inzwischen langfristig sicher untergebracht worden, berichtet Jouanna Hassoun, Projektleiterin beim Zentrum für Migration, Lesben und Schwule (MILES), das zum LSVD gehört. Jeden Tag erreichen sie jedoch 4-6 neue Anfragen, die sie – verständlicherweise – unmöglich alle bedienen kann. Hier wäre jetzt auch der Berliner Senat gefragt – von dem LSVD Berlin-Brandenburg-Geschäftsführer Jörg Steinert allerdings „sehr enttäuscht“ ist. Ein am Vortag geführtes Gespräch mit dem Integrationsbeauftragten Andreas Germershausen sei „ergebnislos“ geendet. Man scheint sich dort nicht zuständig zu fühlen.

Wohl auch deshalb freut man sich beim LSVD über den engen Kontakt zum Erzbistum Berlin, mit dem man auch künftig weiter „im Dialog bleiben“ wolle. Natürlich weiß auch Jörg Steinert, dass dieses Kooperations-Duo vielen nicht besonders schmecken dürfte, tut sich doch gerade die katholische Kirche ansonsten  schwer, wenn es um gleichgeschlechtliche Sexualität geht. „Wir wollen trotz aller Reibungen die Gemeinsamkeiten herausarbeiten“, sagte Steinert.

Die Geflüchteten hatte man zu dem Pressegespräch geladen, um den Betroffenen auch ein Gesicht zu geben. Aus nachvollziehbaren Gründen wurde allerdings verhindert, dass sie vor versammelter Runde mit persönlichen Fragen konfrontiert werden. Stattdessen hatten sie sich dazu bereit erklärt in Einzelgesprächen über ihre Situation zu informieren. Im Gespräch mit Maguy, einer jungen Trans*Frau aus dem Libanon (SIEGESSÄULE.de berichtete), zeigte sich ein trauriges Bild: Noch immer wartet sie auf ihren Asylbescheid und noch immer ist sie auf der Suche nach einer neuen Unterkunft. Einer, in der sie einfach sie selbst sein kann, ohne Kompromisse.

Daniel Segal

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