SIEGESSÄULE PRÄSENTIERT

„SuperQueeroes“ im Schwulen Museum*

21. Jan. 2016

Wie der Titel „SuperQueeroes – Unsere LGBT*-Comic-Held_innen“ erkennen lässt, geht es in der Ausstellung im Schwulen Museum* um SuperheldInnen fernab der Gendernorm. „Hurra, endlich!“, dürften manche Comic-Interessierte begeistert seufzen, ist dies doch deutschlandweit die erste umfassende Ausstellung ihrer Art. Doch auch für alle anderen gilt: Ein Besuch der „SuperQueeroes“ erweitert den Blick, denn die Entwicklung und Behandlung von LGBT*-Charaktere im Medium Comic ist nichts weniger als ein Spiegel politischer, sozialer und gesellschaftlicher Prozesse. SIEGESSÄULE hat mit Kevin Clarke aus dem Vorstand des Schwulen Museums* und dem amerikanischen Journalisten, Blogger und Künstler Justin Hall (Herausgeber der Anthologie „No Straight Lines“, in der er queere Comics aus rund 4 Jahrzehnten sammelte) zwei der Kuratoren der Ausstellung befragt. 

Welches war euer erster Comic? Justin Hall: Im Gegensatz zu den meisten Amerikanern wuchs ich mit Tim und Struppi und Asterix auf und ich liebte sie! Ebenfalls war ich in jungen Jahren besessen von Superhelden-Comics: Die fantastischen Vier, Flash und – mein Favorit – Wonderwoman. Erst zu High School-Zeiten, als ich die alternative Comicszene mit Love and Rockets oder Elfquest entdeckte, realisierte ich, dass auch ich unbedingt Comics machen will. Kevin Clarke: Als 12-Jähriger habe ich mich total in Superman und Christopher Reeve verliebt. Deswegen verschlang ich alles, was ich zum Thema Superman finden konnte, unter anderem ein Sammelband mit allen alten Superman-Comics aus den 40er-Jahren. Die fand ich faszinierend vor allem wegen der Darstellung der Stadt Metropolis (New York). Ich träumte davon, einmal an einem solchen Ort zu leben und zwischendurch mit Superman durch die Luft zu fliegen.

Wo habt ihr das erste Mal ein persönlich interessantes queeres Thema im Comic entdeckt? Justin Hall: Sowohl Love and Rockets als auch Elfquest hatten queere Themen und Charaktere, damals eine Seltenheit. Anschließend entdeckte ich die queere Underground-Comic-Szene mit „Dykes to Watch Out For“ oder „Stuck Rubber Baby“ und das veränderte mein Leben. Außerdem beeinflussten mich natürlich auch schwule Erotikcomics wie „The Hun“ oder die Bilder von Tom of Finnland. Kevin Clarke: Bei Ralf König. Speziell seine „Lysistrata“ zählt zu meinen All Time Favorites. weil ich diese schwule Umdeutung eines griechischen Klassikers einfach genial finde. Und zum Schreien komisch! Mein Einstieg in die Welt der US-amerikanischen queeren Comics war „Al Qaeda’s Super Secret Weapon“, eine Agentenparodie über einen sexy islamistischen Fundamentalisten, der sich in der Schwulenszene New Yorks verirrt – und „bekehrt“ wird. Das Buch ist von David Zelman, erschienen bei Northwest Press, über den ich dann auf weitere Bücher gestoßen bin wie Justin Halls „Glamazonia - Uncanny Adventures of a Super-Tranny“  Das Wort „Tranny“ auf dem Cover hat in Amerika viel Protest ausgelöst, aber ich möchte diesen Comic trotzdem zeigen. Die Figur Glamazonia ist auch zentral auf unserem Poster zu sehen.

Welches Ausstellungsstück begeistert euch persönlich am meisten oder findet ihr am wichtigsten? Justin Hall: Die Originale von Howard Cruse begeistern mich immer wieder, denn das Format seiner verlegten Bücher ist zu klein, um seiner Kunst gerecht zu werden: All die Texturen und Schraffuren hat er per Hand hergestellt. Seine Werke ordentlich gerahmt und gehängt zu sehen, ist etwas Besonderes. Kevin Clarke: Besonders freue ich mich über eine Collage von Ross Johnston mit dem Titel „Secret Identities“, die wir vom Leslie-Lohman Museum in New York als Leihgabe bekommen haben. Da sieht man, wie Superman und Batman Sex miteinander haben (mit einer riesigen Tube „Anal Lube“). Dieses Kunstwerk ist von 2001, wunderbar frech und wunderbar ironisch. Und zwischen all den Comicheften eine willkommene Abwechslung. Wichtige Exponate haben wir natürlich viele. Wenn ich also eins hervorheben sollte, dann vielleicht die Originalausgabe des Buchs „Seduction of the Innocent vom US-Psychiater Fredric Wertham. Es kam 1954 heraus. Darin verdammt er Comics mit dem Hinweis, Geschichten um Batman und Robin oder Wonder Woman würden Homosexualität propagieren und die Jugend zu gefährlichem Verhalten verführen. Das Buch initiierte eine massive Selbstzensur der US-Großverlage, die bis ins neue Millennium reichte. Dieses als wissenschaftliche Arbeit daherkommende Pamphlet leibhaftig zu sehen, das so viel Unheil ausgelöst hat, finde ich wichtig.

Mit welcher/m Comic-Künstler oder Comic-Künstlerin würdet ihr gerne Zeit verbringen und wie? Justin Hall: Ich hatte bereits das Glück vielen meiner Vorbilder im Comic-Bereich zu begegnen. Ich hoffe sehr, Ralf König und Nazario (Pionier des spanischen Underground Comics, Anm. d. Red) persönlich kennen zu lernen, um sie darüber zu befragen, wie es ihnen gelang schwule Ikonen mit derart nachhaltiger Bedeutung zu gestalten. Kevin Clarke: Mein Traum wäre es, mit Ralf König in eine Aufführung der Operette „Im weißen Rössl“ zu gehen, damit er anschließend eine schwule Comic-Version davon zeichnet – so wie er das mit „Lysistrata“ getan hat. Ich glaube, das könnte extrem lustig werden. Und definitiv queer, denn das Stück ist von seinen schwulen Schöpfern Erik Charell und Hans Müller schon so angelegt. König könnte das quasi auf die Spitze treiben – und für ein heutiges Publikum neu offenlegen.

Interview: Simone Veenstra

„SuperQueeroes“, Ausstellungseröffnung am 21.01., 19:00, 22.01.–26.06., Schwules Museum* 

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