Dieser Weg wird kein leichter sein: Jamie-Lee Kriewitz gewinnt den ESC-Vorentscheid
„Dieser Weg wird kein leichter sein, ... ohne Xavier müssen wir tapfer sein“, sang Barbara Schöneberger zum Auftakt des deutschen ESC-Vorentscheid und spielte damit auf die zurückgenommene Nominierung von Xavier Naidoo an. Ein bisschen mehr ironische Selbstkritik hätte der NDR ruhig aufbringen können. Aber so ganz ist in den Redaktionsräumen immer noch nicht angekommen, dass es wohl kaum die cleverste aller Ideen war, einen Sänger, der eine Textzeile wie „Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist“ absondert, zu einem Event zu schicken, das zu einem erheblichen Teil von seinen homosexuellen Fans getragen wird.
Sei's drum! Nach den Protesten um die direkte Nominierung Naidoos entschied also mal wieder ein Vorentscheid darüber, wer für Deutschland zum ESC fahren darf. Moderatorin Barbara Schöneberger schmiss sich wie gewohnt ans schwule Publikum ran. Dazu reichte bereits der Spruch, dass Joko und Klaas auch zwei Schwestern wären und schon lag ihr der Saal zu Füßen. Im Grunde sind wir also doch relativ leicht zufriedenzustellen. Unterstützt wurde sie aus dem Off von ESC-Legende und -Kommentator Peter Urban, dessen sonst treffsichere und angemessene Bissigkeit hier schmerzlich vermisst wurde.
Mit zwei halbnackten Tänzern versuchte Helene-Fischer-Double Ella Endlich, beim Publikum zu punkten. Ihr seelenlos-krampfiger und enorm unsympathischer Schlagerpop hatte glücklicherweise keine Chance in das Finale der besten Drei zu kommen. An einem gnadenlos auf Gefälligkeit getrimmten Mix aus gregorianischen Gesängen und Pop versuchte sich das Musikprojekt Gregorian samt hoher „Kastratenstimme“. Selbstverliebt sangen sie: „We Are The Masters Of Chant“ und zählten im Einspieler in bester Dieter-Bohlen-Manier ihre Plattenverkäufe und Erfolge auf. Sie erinnerten daran, dass der Vorentscheid – mehr noch als der eigentliche ESC – meist daran appelliert, niederen Gefühlsregungen wie Häme und Spott vorm Bildschirm freien Lauf zu lassen. In derart tief gelegene Regionen des musikalischen Trashs stießen aber nur wenige an diesem Abend vor. Es blieb in der Regel bei weitgehend austauschbarem Allerweltspop, der unauffällig vorbeirauschte. Mit dabei waren zum Beispiel noch die Band Keoma mit der offen lesbischen Sängerin Kat Frankie, deren „Night Drive Pop“ – wie sie ihre Musik selbst definieren – von vornherein keine großen Chancen auf den Sieg eingeräumt wurde. Ebenso wie der Ralph-Siegel-Nummer „Under The Sun We Are One“, dargeboten von Laura Pinski, die mit viel Pomp und Pathos daherkam. Das ist zwar immer noch der Motor, der den ESC antreibt, aber in derart altbacken produzierter Form auch dort schon seit Jahren nicht mehr konsensfähig.
Im Finale konnte sich dann wenig überraschend die 17-jährige „Voice of Germany“-Gewinnerin Jamie-Lee Kriewitz durchsetzen gegen Alex Diehls in drei Sprachen vorgetragenen Friedenssong „Nur ein Lied“, das er kurz nach den Terroranschlägen von Paris schrieb, und einer Meat-Loaf-artigen Rocknummer von Avantasia. Aufgebrezelt als Manga-Girl und mit björkiger Stimme, wenngleich meilenweit von den musikalische Ambitionen der isländischen Künstlerin entfernt, gab sie ihr Voice-Gewinnerlied „Ghost“ zum besten, das an eine Mixtur aus Rihannas „Umbrella“ und Jennifer Lawrence „The Hanging Tree“ erinnerte. Ob es dafür endlich wieder mehr als null Punkte gibt, steht noch in den Sternen, aber es war sicherlich die beste Wahl, die an diesem Abend getroffen werden konnte.
as
Eurovision Song Contest, 10.-14.05 in Stockholm