Film

Stigma Sexarbeit

3. März 2016
Lena Morgenroth und Sobo Swobodnik © Jackie Baier

In seiner neuen Doku „Sexarbeiterin“ porträtiert Sobo Swobodnik die selbstständige und selbstbestimmte Berliner Erotikmasseurin und Domina Lena Morgenroth. SIEGESSÄULE hat mit der Protagonistin des Films und dem Regisseur gesprochen

Lena, warum ist es dir wichtig, als Sexarbeiterin bezeichnet zu werden und nicht als Prostituierte? Lena: Bei „Prostituierte“ denken viele nur an Bordellbetrieb und Straßenstrich. Eine „Sexarbeiterin“ ist auch eine Domina, eine Erotikmasseurin oder jemand, der Telefonsex anbietet. Außerdem ist der Begriff politisch. Wir ergreifen selbst das Wort, um die eigene Realität darzustellen, und fordern, dass sich Regelungen daran ausrichten.

Wie kam es zu deiner Berufswahl? Lena: Ich bin in einer sehr idyllischen Kleinstadt aufgewachsen und später zum Studium nach Dresden gegangen. Mein Informatikstudium habe ich zwar abgeschlossen, aber schon als ich damit anfing, war mir klar, dass ich in diesem Bereich nicht arbeiten will. Ich habe einen ersten Massagekurs gemacht, und bin durch Zufall auf die Webseite eines Erotikmassagestudios gestoßen, auf der nicht darum herumgeredet wurde, dass es um Lust, Orgasmen und sexuelle Dienstleistungen geht. Über fünf Jahre habe ich die Seite immer wieder aufgerufen, auch wenn es für mich damals noch undenkbar war, dort zu arbeiten. Dann lief mein Stipendium aus und ich habe es einfach probiert.

Und wie entstand die Idee zum Film? Sobo: Als ich Lena in einer Talkshow sah, war ich fasziniert von dieser selbstbewussten Frau, die einen Weg eingeschlagen hatte, der sie stigmatisiert, obwohl sie zur Elite unserer Gesellschaft gehört. Das fand ich stark, offensiv und feministisch. Das war der Grund, den Film mit ihr zu machen.

Um bei der Finanzierung des Films zu helfen, soll das Team auch selbst sexuelle Dienstleistungen angeboten haben ... Sobo: Die Teammitglieder des Films haben einen Massagekurs besucht, um dann ihre Dienste anzubieten. Für mich war das der Schocker! Ich habe gemerkt, dass ich keine wildfremden Menschen in ihrer Intimsphäre anfassen kann. Außerdem bekam ich Probleme in meinem familiären Umfeld ... Genau damit aber schlagen sich Sexarbeiterinnen dauernd herum: Was denkt Mami, mein Freund, was der Elternbeirat meines Sohnes? Allein diese Erfahrung zu machen war sehr wichtig. Und wir dachten: Wenn morgen in der Bild-Zeitung steht, Filmteam prostituiert sich, das wäre doch der Wahnsinn. 

Der Film zeigt das unspektakuläre, konfliktfreie Leben einer Sexarbeiterin. Sobo: Ich wollte kein Bestätigungskino machen. Klar, wäre es zum Beispiel interessant gewesen, die Mutter von Lena im Film zu haben, andererseits was erwartest du? Natürlich ist sie nicht begeistert, dass die Tochter sich prostituiert.

Lena, du bietest Erotikmassagen für Männer und Frauen an. Wie würdest du selbst deine Sexualität definieren? Lena: Ich bin pansexuell oder queer und lebe in einer sexuell offenen, polyamoren Beziehung mit einem Mann, was bedeutet, dass sowohl sexuelle Kontakte als auch weitere, wichtige Liebesbeziehungen mit anderen in Ordnung sind.

Gibt es Unterschiede zwischen Kunden und Kundinnen? Lena: Kundinnen kommen seltener nur wegen der Lust.

Wie war es, mit echten KundInnen zu drehen? Lena: Dass für den Film plötzlich diese Kerle mit ihrem Equipment rumstanden, machte es für die männlichen Kunden schwerer, sich zu erregen. Letztlich hatte auch nur einer von ihnen einen Orgasmus.

Es fällt auf, dass von den männlichen Kunden keiner sein Gesicht zeigt. Lena: Die hatten einfach Schiss! Sobo: Und das sagt viel über unsere Gesellschaft aus!

Abgefilmt vom Fernseher, taucht an einer Stelle plötzlich Alice Schwarzer auf. Sobo: Bei der klappt Lena das Messer in der Tasche auf.

Lena, du bist eine privilegierte Mitteleuropäerin, Alice Schwarzers Schwerpunkt liegt auf Zwangs- und Armutsprostitution, auf Menschenhandel. Warum engagierst du dich als selbstbestimmte Sexarbeiterin nicht auch für diese Kolleginnen? Lena: Natürlich gibt es Frauen mit größeren Problemen, aber für die kann ich nicht sprechen. Grundsätzlich finde ich es problematisch, deswegen andere Realitäten ungültig zu machen. Ich zeige meinen Ausschnitt der Realität und du zeigst deinen, und wir sind uns beide bewusst, dass es nur ein Ausschnitt ist. Und weißt du, wann ich echt pissig werde? Wenn Alice Schwarzer eine Gruppe von Frauen vertritt, die sie nicht wirklich kennt.

Wo siehst du dich in zehn Jahren? Lena: Ich habe Sehnsucht nach etwas, das meinen Kopf mehr anregt. Zum Beispiel reizt mich die Frage, ob ich es schaffe, in den Bundestag zu kommen.

Interview: Susann S. Reck

Sexarbeiterin, D 2016, R.: Sobo Swobodnik, mit Lena Morgenroth, ab 03.03. im Kino

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